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Im Lager funkts

Otto Versand startet Pilotprojekt - Datenschützer fordern gesetzliche Regelung für die umstrittene RFID-Technologie

Der Volksmund sagt: Ein bisschen Schwund ist immer. Dem Versandhaus Otto wurde der Schwund ein bisschen zu viel. Ausgerechnet hochwertige Produkte wie Notebooks, Digitalkameras oder Handys verschwinden immer wieder auf wundersame Weise auf dem Weg zum Kunden. Um den Verlusten auf die Spur zu kommen, setzen die Hamburger nun auf RFID-Chips.

Informationen über den Kunden sind in den Labels nicht enthalten", versichert Andreas vom Bruch, Sprecher des mit dem Projekt befassten IT-Dienstleisters Siemens Business Services. Auf dem Weg zwischen der manuellen Warenkonfektionierung und den Hermes-Depots werden die Smart Labels vier Mal ausgelesen. "Sollte ein Päckchen plötzlich verschwinden, weiß man zumindest, auf welchem Teilstück der Lieferkette das passiert ist", erklärt vom Bruch. Der Kunde findet schließlich in seiner Sendung ein Informationsblatt, das ihn über den Funkchip im Karton informiert. Auch auf eine Hotline zum Thema RFID weist Otto die Käufer dort hin. "Seit der Sache mit der Metro hat man ja dazugelernt", sagt Alexander vom Bruch.

Die "Sache" ereignete sich im Februar. Metro hatte Aktivisten des Bielefelder Bürgerrechtsvereins Foebud nach Rheinberg eingeladen. Dort betreibt der Handelsriese seinen "Future-Store", der zeigen soll, wie ein Supermarkt einmal aussehen könnte. Die Bielefelder gehören zu den entschiedensten Kritikern einer unkontrollierten Einführung der Funklabels. In einem Positionspapier warnen sie vor den Gefahren für Bürgerrechte und Privatsphäre. In Rheinberg wollte Metro die Skeptiker davon überzeugen, dass eine Verknüpfung von personenbezogenen Daten mit Produktinformationen nicht möglich sei. Zudem wollten die Metro-Manager demonstrieren, wie sie die sendenden Sticker am Ladenausgang ihrer Daten berauben, indem diese mit Nullen überschrieben werden.

Bereits diese Vorführung geriet zum Flop: Die individuelle Seriennummer, die jeder Chip seit seiner Fertigung mit sich trägt, wollte sich nicht deaktivieren lassen. Richtig ins Staunen kamen die Bielefelder dann, als sie später eine Payback-Kundenkarte des Future-Store unter ein Röntgengerät legten. Zwischen den Plastikschichten entdeckten sie auch dort einen RFID-Chip. Darauf hatte der Konzern weder im Future-Store, noch in den allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen. Nach heftiger Kritik aus unterschiedlichsten Lagern nahm Metro die funkenden Rabattkarten schließlich vom Markt.

Foebud-Sprecher padeluun freut sich über die Transparenz, die Otto jetzt gegenüber den Kunden an den Tag legt. "Gratulation", schmunzelt er, "ein großes Lob für unsere Arbeit." Eine präzise Kennzeichnung sei immer eine zentrale Forderung gewesen. Doch Foebud will mehr: Ein Gesetz müsse her, das den Einsatz von Funkchips regelt und eindeutig vorschreibt, welche Daten gespeichert werden dürfen und wie lange. In Kalifornien gibt es bereits Regeln. Dort ist es beispielsweise nur erlaubt, Daten auf Chips zu schreiben, die bereits über den üblichen Barcode zur Verfügung stehen.

Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, fordert einen Zusatz zum Datenschutzgesetz, der auf die Funker abzielt. "Dazu gehören eine Kennzeichnungspflicht für Produkte mit Chip, sowie das Recht, die darauf gespeicherten Informationen einsehen zu können und den Transponder nach dem Kauf permanent deaktivieren zu lassen", sagt seine Sprecherin Ira von Wahl. Auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hatte die Bundesregierung allerdings verlauten lassen, sie sehe keinen Handlungsbedarf in Sachen RFID. Foebud arbeitet derweil auf der nächsthöheren politischen Ebene. Vorig Woche erklärte Foebud-Mitarbeiterin Rena Tangens in Brüssel ihr Anliegen den Datenschutzbeauftragten der einzelnen EU-Länder. "Dort ist das auf offene Ohren gestoßen", freut sich padeluun.

Für Wirbel in Fachkreisen sorgte kürzlich der Hildesheimer Lukas Grunwald gesorgt. Er zeigte auf einer Konferenz, wie leicht jedermann den Inhalt eines Standard-Smart-Labels manipulieren kann. Dazu benötige man nur einen handelsüblichen RFID-Leser, einen gängigen Pocket-PC und die von Grunwald und seinem Partner Boris Wolf entwickelte Software RFDump. Laut Grunwald ist es kein Problem, mit seiner Technik "kreative Preisgestaltung" auszuüben. So könne der Preis-Chip im Karton eines High-End-DVD-Players mit den Angaben eines Restposten-Gerätes überschrieben werden - berührungslos und aus mehreren Metern Entfernung. Auch die Altersfreigabe einer Film-DVD ließe sich so nach unten "korrigieren".

Ob die Otto-Beschäftigen mit den Möglichkeiten dieser Technologie vertraut sind, ist nicht bekannt. Foebud will jedenfalls noch 2004 einen RFID-Reader für jedermann anbieten. Erhältlich im Buchhandel, gemeinsam mit einem Buch über die RFID-Technologie.

www.rfdump.org ; www.foebud.org/rfid;

www.future-store.org

Kasten:

Kabellose Datenübertragung

RFID steht für Radio Frequency Identification, zu deutsch: Funkfrequenzidentifizierung. Die Technik erlaubt es, Daten ohne Berührung und über eine Distanz von mehreren Metern zu übermitteln. RFID-Chips sind klein, flach und können daher auch aufgeklebt oder in Stoff eingewebt werden. Passive RFID-Chips benötigen keine eigene Stromversorgung, sondern werden aus dem elektromagnetischen Feld der Lesegeräte gespeist.

Zur Zeit liegt der Einzelpreis für einen Standard-RFID-Chip bei rund 50 Cent, die Hersteller glauben, ihn bald auf ein Zehntel reduzieren zu können. Besonders in der Logistik hofft man auf die Technik. Die kleinen Funker sollen helfen, die Kette zwischen Produzent, Lager und Verkaufsraum zu optimieren. Beispielsweise sollen zukünftige Verkaufsregale automatisch ihren Warenbestand ans Lager melden. Der Begriff "Smart Tag" oder "Smart Label" wurde von der Industrie erfunden, um die technische Abkürzung RFID zu ersetzen.

Datenschützer weisen darauf hin, dass die Funkdaten auch heimlich gelesen werden können. Durch Verknüpfungen mit Informationen von Kundenkarten oder Personalausweisen, die ebenfalls zukünftig mit Funkchips ausgestattet sein könnten, sei es möglich, gänzlich unbemerkt Verbraucherprofile anzulegen. ixt

Mario Sixtus

Frankfurter Rundschau , 07. September 2004
Original: URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/computer_und_internet/netzwerk/?cnt=499875

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