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Vertracktes Kartenspiel

Das Ticketing zur WM 2006 ist das größte Problemfeld der Organisatoren

Mit einem Angebot von 812.000 Tickets beginnt am 1. Februar, 00.00 Uhr MEZ, der Verkauf von Eintrittskarten für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Der Zeitpunkt der Bestellung entscheidet nicht über die Zuteilung, dennoch wird der Ticketerwerb zum Lotteriespiel.

Die Server erfreuen sich bester Obhut. Eine "FM200 Löschanlage", eine Hardwareüberwachung im Data Center und auch eine "redundante Klimaanlage" gibt es in den Räumen von Tiscali in Frankfurt. Ebenso eine unterbrechungsfreie Spannungsversorgung oder - natürlich - eine Einbruchmeldung. In dem Rechenzentrum darf schließlich nichts schief gehen, wenn die Server, das Herzstück der Firma CTS Eventim AG, ihrer härtesten Belastungsprobe ausgesetzt werden: dem morgen beginnenden Kartenverkauf für die WM 2006.

"Diese Massen von Bestellungen zu bewältigen, ist auch unsere größte Herausforderung", gesteht Klaus-Peter Schulenberg ein. Und gleichzeitig beruhigt der Chef des weltweit zweitgrößten Ticketvermarkters alle Bedenkenträger, die beim Internet-Ansturm auf die ersten 812 000 erhältlichen Karten einen Zusammenbruch der Systeme befürchten. "Wir haben weltweit 15 000 Server im Einsatz, an allen wichtigen Einwahlknoten der Erde." Virtuelle Warteräume, die die Server entlasten. Allein 28 CTS-Mitarbeiter sind mit der Operation betraut, die Hälfte zusätzlich eingestellt, zehn IT-Spezialisten. Ein großer Aufwand für das größte Problemfeld des deutschen Organisationskomitees (OK). Kein Thema ist so diffizil wie dieses. Und nirgendwo herrscht so viel Unsicherheit. Etwa in der Kardinalfrage, ob die Karten später weitergegeben werden dürfen. "Prinzipiell", so beteuert der für das Ticketing zuständige OK-Vize Horst R. Schmidt, "sind die Tickets nicht übertragbar", zur Weitergabe sei die Zustimmung des OK erforderlich.

Aber in welchem Fall unter welchen Voraussetzungen eine Karte (etwa an Verwandte? - im Krankheitsfall?) wie und wann übertragen werden darf, vermochte der Ticketing-Experte bei der Pressekonferenz vor einer Woche nicht zu sagen. Selbst im OK, so erklärt ein Insider, sei die Verunsicherung ziemlich groß, bei der Weitergabe der Tickets "wissen die Herren selbst noch nicht genau Bescheid". Auch die Rückgabe soll nur auf Goodwill-Basis geschehen, so der heutige Stand. Intern wird längst darüber nachgedacht, wie ein Konzept für den Umtausch geschaffen wird, das greift, wenn die Karten ausgeliefert sind - sechs bis acht Wochen vor dem Turnier.

Es gibt ja auch dringendere Probleme: Schon in der ersten Verkaufsphase wird die Nachfrage 20- oder 30-mal so groß wie das Angebot sein. Spiel für Spiel werden dann am 15. April unter notarieller Aufsicht die Gewinner mittels eines vom TÜV zertifizierten Verfahrens elektronisch ausgelost. Immerhin scheint verhindert, dass die Datenmenge einer begehrten Zielgruppe, Millionen bestellwütiger Fußballfans, missbraucht wird. CTS verspricht, die Daten jener sofort zu löschen, die bei der Internet-Lotterie leer ausgehen. Und nur wer ausdrücklich in die Nutzung seiner Daten einwilligt, wird später von den Fifa-Sponsoren mit werblicher Zuwendung bedacht. "Mehr Seriosität geht nicht", versichert Schulenberg.

Was aber ist mit dem seriösen Umgang der Karten-Kontingente, die VIPs und Sponsoren, Verbänden und Funktionären zugeschlagen sind? Jaime Byrom, dessen Agentur in Korea und Japan eine abenteuerliche Ticketverteilung zustande brachte, der aber noch immer in dieser Frage bei der Fifa Sitz und Stimme hat, meint, eine Personalisierung sei weder Funktionären noch VIPs zuzumuten. Also auch Sponsoren nicht? Und werden afrikanische oder osteuropäische Verbände der Verlockung widerstehen, nicht benötigte Kontingente brav an die Fifa zurückgeben statt gewinnbringend an Ticket-Broker zu verhökern?

Dann hätten Fifa und OK endgültig das, was sie eigentlich vermeiden wollen: einen blühenden, unkontrollierbaren Schwarzmarkt. Die Aussicht des OK, einen Handel beispielsweise beim Internet-Auktionshaus Ebay zu verhindern, ist schon aus rechtlichen Gründen gering. Bleibt nur die Drohkulisse, stichprobenartig am Einlass den Personalausweis zu kontrollieren und mit dem Ticket zu vergleichen. Was wiederum Datenschützer für das heikle Thema sensibilisiert hat. Die Personalausweisnummer auf die Karte zu drucken, ist Datenschutzbeauftragen ein Dorn im Auge. Und auch die in den Tickets implementierten RFID-Chips (Radio Frequency Identification) lösen Sorgen aus, obwohl damit nur die elektronische Zugangskontrolle durchführt werden soll.

Fangruppierungen sprechen dennoch von "Schnüffel-Chips". "Wem das Losglück schließlich Tickets beschert, der wird zusätzlich zum Versuchskaninchen einer neuen Überwachungstechnologie", stellen die Verantwortlichen des Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF) fest. Sie befürchten, dass mittels RFID detaillierte Bewegungs- wie auch umfassende Kundenprofile möglich werden. "Damit wäre der gläserne und total überwachte Fan Wirklichkeit." BAFF will vermeiden, dass diese Systeme über die Weltmeisterschaft hinaus in den Stadien verbleiben. Das Regierungspräsidium Darmstadt als Datenaufsichtsbehörde hat nach FR-Informationen darauf hingewiesen. Mit Magengrummeln stimmten die Datenschützer zur WM den RFID-Chips zu, "für die Zeit danach ist das nicht als Zustimmung zu werten", heißt es.

Neben der Angst wächst der Unmut. Von skandalöser Kartenvergabepraxis und Ticket-Chaos sprechen die Anhänger, Politiker machen mobil. "Ich kann den Unmut sehr gut verstehen, wenn all die Millionen Fans, die durch ihre Steuergelder den Bau der teuren WM-Stadien erst ermöglicht haben, nun bei der Kartenvergabe praktisch leer ausgehen", kritisiert CDU-Chefin Angela Merkel. Merkel appelliert an den DFB, er möge sich bitte im Dialog mit den Sponsoren bei der Fifa für die Fans einsetzen. Weiterer Kritikpunkt: Warum wird nicht die Auslosung am 9. Dezember abgewartet, um effektiver verkaufen zu können? Das Gros bestellt in den ersten drei Verkaufsphasen "blind" - bislang steht nur fest, dass Deutschland als Gruppenkopf A 1 am 9. Juni 2006 in München, 14. Juni in Dortmund und 20. Juni in Berlin spielt. Wahrscheinlich ist auch, dass Brasilien als Gruppenkopf F 1 gesetzt wird. Aber was verbirgt sich unter Begegnung 14, G 3 -G 4 am 13. Juni in Frankfurt? Oder unter Partie 40, D 2-D 3 in Köln? Großes Rätselraten. Gut möglich, dass Euphorie in Ernüchterung umschlägt und der vermeintliche Gewinn zur Niete in Form der Partie vom Kaliber Ecuador gegen Usbekistan mutiert.

So bleibt das Ticketing das Problemfeld der WM 2006, nicht nur "weil es sich um eine reine Mangelverwaltung handelt" (OK-Vize Wolfgang Niersbach). Oder mit Worten von Franz Beckenbauer gesprochen: "Bis aufs Ticketproblem geht's uns gut."

[ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005, Erscheinungsdatum 31.01.2005

Frank Hellmann

Frankfurter Rundschau, 31. Januar 2005
Original: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/sport/sport/?cnt=624927

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