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Vorsicht Schnueffelchips!

Funk-Etiketten verraten einiges über uns. IT-Experten haben erforscht, was sich gegen die Tücken der Technik tun lässt.

Schon heute stecken sie in elektronischen Wegfahrsperren und automatischen Garagentoröffnern: Mikrochips, die sich per Funk ansteuern lassen, leisten nützliche Dienste. In ein paar Jahren sollen sie Supermärkte und Speditionen erobern und als intelligente Etiketten und schlaue Paketaufkleber die derzeitigen Strichcodes ersetzen. Doch Experten befürchten einen massiven Missbrauch der "RFID-Chips" und denken über wirksame Datenschutz-Strategien nach. Am Mittwoch präsentierte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Berlin eine Studie zu den Chancen und Risiken der Funkchips.

Derzeit muss das Kassenpersonal jedes Stück einzeln in die Hand nehmen, um den Strichcode über den Laser zu führen. Ganz anders soll es in Zukunft laufen: Dann geht der Kunde mit vollem Einkaufswagen durch einen Spezialscanner. Dieser liest alle Funk-Etiketten, die auf Käse, Brot und Eier kleben, errechnet die Summe und bucht sie umgehend vom Konto ab. "Das ist die Vision von Konzernen wie Metro oder Wal-Mart", sagt Dirk Henrici von der TU Kaiserslautern, er hat an der BSI-Studie mitgewirkt. "Ganz so weit ist man nicht, noch ist die Technologie nicht zuverlässig genug."

Zu Hause scannt der Kühlschrank den Joghurt

Dennoch reichen die Ideen bereits weiter. So könnten die elektronischen Preisschilder zusätzliche Infos speichern wie Haltbarkeit oder Gebrauchsanweisung. Zu Hause scannt der Kühlschrank den Joghurt und gibt Alarm, wenn das Verfallsdatum näher rückt. Das Etikett in den Jeans verrät der Waschmaschine, bei wie viel Grad das gute Stück zu reinigen ist. Auch in Unternehmen dürften sich die billigen Funkchips durchsetzen: Kaufhäuser würden ihr Inventar automatisch erfassen, Paketdienste ihre Sendungen präzise verfolgen.

Das Problem: "Wenn jedes Produkt mit einem Chip ausgestattet ist, wäre es denkbar, dass Informationen gelesen werden, die nicht unbedingt gelesen werden sollen", fürchtet Henrici. So könnten Mitmenschen, die es gar nichts angeht, mit einem Lesegerät herausfinden, dass jemand ein Toupet trägt oder eine Vorratspackung Viagra in der Aktentasche hat. Letzteres scheint absehbar: Der Pharmakonzern Pfizer will seine Potenzpille via RFID gegen Fälschungen schützen. Die Erlaubnis der US-Zulassungsbehörde FDA liegt seit Montag vor.

Flächendeckend Lesegeräte

Eine weitere Tücke sieht die BSI-Studie darin, dass Rasierapparate, Kameras oder Autos Austauschteile künftig nur noch vom selben Hersteller akzeptiert werden könnten. Das würde durch einen im RFID-Chip gespeicherten, speziellen Autorisierungsschlüssel geschehen. Sollte dereinst die Republik flächendeckend mit Lesegeräten bestückt sein, ließen sich im Prinzip Wege und Aufenthaltsorte der Mitbürger verfolgen - dank stets wiedererkennbarer Funkchips in Schuh oder Armbanduhr.

Angesichts dieser Risiken plädiert Henrici dafür, den Elektro-Etiketten keine konkreten Daten über Hersteller und Produktname aufzuprägen, sondern nur abstrakte Zahlencodes. Die sollen dann nur berechtigte Personen mit Zugriff zu vertraulichen Datenbanken enträtseln können.

Trotzdem bliebe das Problem, dass man jemanden anhand eines Funketiketts identifizieren und verfolgen könnte: Der Code im Pulli ist zwar abstrakt, aber eindeutig. "Man könnte Verfahren entwickeln, bei denen der Code nicht konstant bleibt, sondern regelmäßig geändert wird", schlägt Henrici vor. "Das wäre natürlich mit einigem technischen Aufwand verbunden."

Gefahr der Industriespionage

US-Experten dagegen betonen die Gefahr der Industriespionage. "Ein Unternehmen könnte mit Lesegeräten ausspähen, welchen Warenbestand der Konkurrent auf Lager hat oder wie gut sich bestimmte Produkte verkaufen", sagt Stephen Weis vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Auch ist es möglich, Funk-Etiketten zu kopieren, zu imitieren oder zu verändern. "Theoretisch könnte ein Wettbewerber durch das Manipulieren einiger Funkchips eine ganze Logistikkette zum Zusammenbruch bringen."

Zwar ließen sich Abhörmanöver und Fälschungsversuche erschweren, würde man Chipdaten digital verschlüsseln. Doch eine Codierung, die nicht von jedem Hobby-Hacker geknackt wird, kostet Geld. Das aber widerspricht dem Drang der Wirtschaft, die Chips zu Centbeträgen einzukaufen. Also empfiehlt Weis, die Technik von morgen mit der Sicherheit von gestern zu schützen: Warum nicht Videokameras darüber wachen lassen, ob sich ein Industriespion mit Lesegerät an kostbares Wirtschaftsgut heranschleicht?

© 2004 Financial Times Deutschland

Frank Grotelueschen

Financial Times Deutschland, Hamburg , 18. November 2004
Original: http://www.ftd.de/tm/rd/1100336582601.html?nv=se

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