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Katherines Kreuzzugt gegen Wal-Mart, Metro & Co.

Eine amerikanische Verbraucherschützerin kämpft gegen "Schnüffelchips" und drängt internationale Handelsriesen in die Defensive

Nein, ihr Alter lässt sie sich nicht entlocken, ihren Geburtsort schon gar nicht. Persönliche Daten sind Katherine Albrecht heilig. Und wenn es sein muss, riskiert die kämpferische Verbraucherschützerin aus Boston dafür sogar einen veritablen Kreuzzug. Den italienischen Mode-Multi Benetton hat sie vor einem Jahr empfindlich getroffen, auch der weltgrößte Handelskonzern Wal-Mart wich zurück.

Dabei wirkt die junge Harvard-Doktorandin, die kürzlich erst ihre Dissertation zum Thema "Kundenkarten" abgeliefert hat, alles andere als verbissen. Brav sitzt sie in ihrem grau-rosa karierten College-Pullover Journalisten gegenüber und erklärt für jedermann verständlich, weshalb wir schon in naher Zukunft allesamt zu Opfern globaler Spitzeldienste werden. "Uns droht eine Welt der permanenten Überwachung", sagt sie und wirft ihr kastanienrot gefärbtes Haar über die Schulter.

Es ist ein winziges Warenetikett, glaubt sie, das künftig die Visionen von George Orwell wahr werden lässt. Radiofrequenz-Identifikations-Tag nennen es die Fachleute, Schnüffelchip die Gegner. Dessen Funktionsweise in Supermärkten oder Kaufhäusern ist simpel: Hersteller oder Händler speichern wichtige Produktdaten wie Herstellungsort, Farbe, Preis oder Verfallsdatum auf einem fingernagelgroßen Halbleiter. Anschließend verstecken sie, je nach Produkt, den flachen Datenstreifen in Schuhsohlen, Verpackungen oder unter dem Preisschild. Funkt ihn ein passendes Lesegerät an, gibt er dem Warenwirtschaftssystem seine Daten preis. Über Online-Verbindungen erfahren Hersteller somit früh, wenn einem Regal der Leerstand droht.

Setzt sich die Technologie durch, das hat die Unternehmensberatung A.T.Kearney errechnet, könnten allein Deutschlands Einzelhändler ihre Lagerkosten pro Jahr um sechs Milliarden Euro senken. Damit verbundende Preissenkungen kämen womöglich auch den Kunden zugute.

Die Chips kosten heute weniger als 50 Cent

FÜr die ursprünglich aus dme Zweiten Weltkrieg stammende Technologie, die Kenner mit der Buchstabenfolge RFID abkürzen, hat sich jahrzehntelang niemand interessiert. Vor fünf Jahren noch blieben Anbieter der Erkennungssysteme auf Handelsmessen regelmäßig auf ihren intelligenten Chips sitzen. Erst seitdem Hersteller wie Texas Instruments, Alien Technologies, Hitachi und Philips RFID-Tags zu erschwinglichen Stückpreisen von 50 Cent auf den Markt warfen, zeigen sich Handelskonzerne wie Konsumgüterlieferanten elektrisiert.

Katherine Albrecht ebenso. Als sich der Modeanbieter Benetton vor einem Jahr entschloss, RFID-Chips in seine Produkte der Marke "Sisley" einzunähen, ging die selbst ernannte Verbraucherschützerin zum Gegenangriff über. Im Internet rief sie Kunden auf, einen Bogen um die Läden der Kette zu machen. Nach drei Wochen gaben die Italiener auf. Die Chips wird es vorerst, so versprachen sie, nicht geben.

Wenig später forderte die streitbare Dame sogar die Billigwarenhauskette Wal-Mart und damit den größten Einzelhändler der Welt heraus. Der hatte in einer Filiale in Massachusetts heimlich mit dem Rasierklingenhersteller Gilette den Testbetrieb von RFID-Chips aufgenommen. Albrecht dokumentierte dies anhand von Fotos - und veröffentlichte sie in der Tageszeitung "Boston Globe". Eine Flut von E-Mails und Anrufen erreichte wenig später Wal-Marts Konzernzentrale in Arkansas. Man werde die Etiketten künftig nur noch für die Lagerlogistik verwenden, erklärte das Management daraufhin der Presse.

"Völlig überzogen", nennt Datenexperte Jörg Pretzel, Chef des Kölner Strichcode-Lizenzgebers CCG, Albrechts Einsatz gegen die Chips. Auch beim Euro-Handelsinstitut hat man wenig Verständnis. dort heißt es: Von den Chips gehe keinerlei Gefahr für die Datensicherheit aus. Wer beispielsweise seinen Nachbarn ausspionieren wolle, müsse zuvor den Code seiner Einkaufsstätte knacken - ein fast unmögliches Unterfangen.

Die Katherine Albrecht ficht das nicht an. Auch Großbritanniens größte Supermarktkette Tesco ist inzwischen in ihr Visier geraten. Unterstützt durch die Tageszeitung "Guardian" stoppte sie dessen ersten RFID-Test vorigen Herbst in Cambridge, einen zweiten beendeten die Briten nach massiven Protesten in Leicester und Sandhurst.

Metros "Future Store" wird auch kontrolliert

Albrechts Organisation Caspian ("Consumers Against Supermarket Privacy Invasion And Numberin") ist ein kleiner Verband, weit entfernt von der Größe, die etwa Greenpeace oder Robin Wood hat. Von Albrecht vor fünf Jahren gegründet, beschäftigt die Organisation nach eigenen Angaben gerade drei hauptamtliche Mitarbeiter. Man habe Mitglieder in allen US-Bundesstaaten und in weiteren 25 Ländern, sagt Albrecht, auch in Deutschland.

Beiträge zahlt niemand. Sponsoren gibt es nicht, beteuert die Aktivistin. Woher die Gelder für den Protest kommen, weiß nicht einmal die PR-Agentur Fleishman-Hillard. Deren Öffentlichkeitsarbeiter waren in den USA von der Konsumgüterindustrie eingeschaltet worden, um Caspians Angriffe abzuwehren.

Bescheidene Einnahmen dürfte Albrecht durch den Verkauf zweier Videocassetten erzielen, die über die Internet-Seite "endtime.com", einem Webportal des christlich-fundamentalistischen Sektengründers Irvin Baxter Jr. Die Bewegung, die sich auf Prophezeihungen aus dem Buch der Offenbarung stützt, hat ihren Sitz in Richmond, Indiana. Nicht weit davon unterhält auch Caspian eines seiner zwei Büros.

Außenstehenden ist unklar, was Albrecht zu derart missionarischem Eifer antreibt, der sie jetzt auch nach Deutschland führt. Vor einigen Wochen ließen sich die Datenschützer drei Stunden lang von Managern des Metro-Konzerns druch deren "Future Store" in Rheinberg führen. Im Beisein von Top-Model Claudia Schiffer hatte Deutschlands größter Einzelhändler dort vergangegenes Jahr stolz einen Supermarkt eröffnet, in dem allerhand neue Technik zum Einsatz kommt - auch RFID.

Doch anders als bei Schiffer gab es von Albrecht anschließend nur Tadel. In der Rheinberger Kundenkarte hatte sie einen RFID-Chip entdeckt, der sich jederzeit leicht mit personenbezogenen Daten beschreiben ließ. Der Düsseldorfer Konzern handelte rasch - und zog die Karte aus dem Verkehr.

Für die Metro ist der Ärger damit nicht vorbei. Denn beim Erschlißen von Finanzquellen üben Albrechts deutsche Kooperationspartner weit weniger Zurückhaltung als ihr US-Vorbild. Es sei ein Gutachterausschuss zu gründen, forderten sie per E-Mail, der über die Technologie wachen soll. Und teilten der Metro mit: "Bis zum 20. Februar erwarten wir die Zusage der Finanzierung des oben geforderten Gremiums." Gezahlt hat der Konzern bislang nicht.

C.Schlautmann

Handelsblatt, 23. April 2004
Original: Nicht bekannt

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