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RFID-Chips, kleine Brüder und schmutzige Bomben

Die Debatte um das Vorpreschen von Wirtschaft und Politik beim Einsatz der RFID-Technik zur Kennzeichnung von Gütern und zur Brandmarkung von Tieren und Menschen geht unvermindert weiter. Am gestrigen Montagabend kam es in Berlin zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Befürwortern der funkenden Mini-Chips auf Basis der "Radio Frequency Identification"-Methode aus der Wirtschaft und Gegnern aus dem Lager der Bürgerrechtler bei einer Diskussionsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung[1] zum Thema "Smart Chips: kleine Brüder oder große Chance?".

Der Bochumer Technikberater Hartmut Keuper erklärte das Drängen von Daten- und Verbraucherschützern auf ein Moratorium[2] vor der voreiligen Implementierung der "Schnüffelchips" als verfehlt. "Stop RFID -- das ist lächerlich", sagte er. Padeluun, der Bielefeder Aktivist vom Verein FoeBuD[3] (Hauptinitiator der Kampagne stoprfid[4]), hielt dagegen: "Sie können machen was Sie wollen, die Chips werden so zumindest nicht kommen."

"So" steht für die Bürgerrechtler für den jüngsten Sündenfall der wirtschaftlichen Nutzung von RFID-Tags, der von der Metro in ihrem Future-Store[5] heimlich praktizierten und erst nach Protesten von FoeBuD wieder eingestellten[6] Verknüpfung von Rabattkarten mit den umstrittenen Identifizierungschips. Da sich damit eine nahtlose Verbindung zwischen gekauften Waren und einem personalisierten Dokument herstellen lasse, habe dieser Schritt die bereits problematische Profilbildung hinter dem Rücken der Verbraucher noch verschärft, urteilte der Bundesdatenschutzbeauftragte[7] Peter Schaar. Der mit Kundenkarten begonnene Prozess laufe "dem Menschenbild des Grundgesetzes zuwider", denn er mache den Einzelnen durchschau- und manipulierbar.

"Metro hat die Grenze überschritten und sich einen Bärendienst erwiesen", bekräftigte Schaars Kollege in Brandenburg, Alexander Dix. Die "massenweise Erhebung von Daten", für die Smart-Tags häufig genutzt werden, sei in Deutschland schon aufgrund des gesetzlich gegebenen Grundsatzes der Datensparsamkeit zu beschränken. Die Datenschützer fordern eine Kennzeichnungspflicht für RFID-Chips. Zum anderen machen sie sich dafür stark, dass Verbraucher die Überwachungswerkzeuge nach dem Passieren der Kasse im Laden deaktivieren können.

Vertreter aus der Wirtschaft versuchten um Vertrauen zu werben und Mythen rund um die kleinen Brüder zu widerlegen. "Kein Unternehmen hat vor, mit den Daten einen Missbrauch zu begehen", erklärte Jörg Pretzel, Geschäftsführer der Centrale für Coorganisation[8], die sich um die Standardisierung der Funk- Transponder kümmert. Im Publikum löste das allerdings nur Gelächter aus. Laut Pretzel geht es der Industrie hauptsächlich um eine verbesserte Logistik, wo er allein in Deutschland Einsparpotenziale von 5 bis 8 Milliarden Euro durch eine leichtere Erkennung von Paletten und Umverpackungen sieht. Funketiketten auf Einzelwaren bewarb der Unternehmer aber auch: mit ihnen könnten Mängelgüter rasch zurückgeordert oder die Schadensrückverfolgung für die Verbraucher erleichtert werden. Zudem gehe es um die Diebstahlsicherung.

Noch kann RFID nicht den universellen Barcode ersetzen, betonten die Wirtschaftsgesandten. "Die große Euphorie ist rückläufig", verkündete Fritjof Walk von der Transponderfirma Feig Electronic[9]. Nach wie vor gebe es technische Probleme. So seien die normalen, passiven Tags oft nicht weit genug auslesbar. 80 Zentimeter sei die Regel, zwei bis drei Meter das Höchste der Gefühle. Laut Pretzel liegt die Leserate der Chips auch noch lange nicht bei 100 Prozent. Dazu kommt, dass die Preise für die Halbleitertechnik nicht so rasant fallen, wie von Handelsriesen gewünscht. "Wal-Mart hat gefordert, dass ein Transponder höchstens 2 bis 3 Cent kosten darf", so Walk. Doch keiner auf Industrieseite hätte erklärt, das man dies hinbekommen könne. "Es wird weitere Enttäuschungen geben", ist sich der Deutschland-Chef des Verbands für automatische Datenerfassung (AIM[10]) sicher. Er warnte vor überzogenen Erwartungen wie in den Zeiten des Neuen Markts.

Doch während die Wirtschaft einen Realitätscheck durchführt, haben Innenpolitiker die Überwachungspotenziale der RFID-Technik im Kampf gegen den Terrorismus[11] entdeckt. Vor allem geht es um die Verknüpfung biometrischer Merkmale mit den kontaktlosen Funksystemen auf der nächsten Generation von Reisedokumenten[12]. Von den entsprechenden und bereits weit fortgeschrittenen Standardisierungsbemühungen berichtete Schaar: Die persönlichen Daten der Bürger sollen demnach "durch ein geheim zu haltendes Verfahren" vor unberechtigtem Auslesen geschützt werden. Diesen Ansatz von "Security by Obscurity" hält der Datenschützer aber für falsch: Angesichts zehntausender Kontrollstellen mit Lesegeräten könne damit kein Vertrauen geschaffen werden.

Für den taz-Journalisten Matthias Urbach handelt es sich bei der Diskussion um RFID dagegen um eine "Geisterdebatte", bei der dieselben Argumente wiedergekäut werden wie bei der Einführung des PCs. Die Furcht um Datenschutz-Gaus kann er nicht nachvollziehen. Schmutzige Atombomben in den Händen von Terroristen seien deutlich bedrohlicher als RFID-Tags auf Weltmeisterschafts- oder Bahntickets. (Stefan Krempl) /

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Heise Online, Hannover , 04. April 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/46322

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