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Vom Bomber in den Supermarkt

Funketiketten sind eigentlich ein alter Hut: Von den USA zur Freund-Feind-Erkennung im Krieg entwickelt, wurden sie später zur zivilen Nutzung freigegeben - und landeten im Kuhstall. Doch seit Forscher die klobigen Transponder zu Folien weiterentwickelt haben, wird Radio-Frequency-Identification (RFID) wieder heiß diskutiert.

Berlin - RFID-Lesegeräte sollen künftig die Waren im Supermarkt automatisch erfassen - und die Kassiererin ersetzen. Verbraucherschützer warnen angesichts der drahtlosen und unsichtbaren Auslesung allerdings vor Datenmissbrauch.

Denn nicht nur das Geschäft, sondern jedermann, der über ein entsprechendes Lesegerät verfügt, kann im Prinzip die auf den Funketiketten gespeicherten Informationen auslesen - bis zu einer Entfernung von rund drei Metern, auch durch Taschen hindurch und völlig unbemerkt. "Es gibt noch kein hundertprozentig sicheres Verfahren zur Verschlüsselung", erklärt Hartmut Pohl, Professor für Informationssicherheit an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Die Transponder müssen deshalb beherrschbar sein, der Verbraucher muss entscheiden, welche Daten darauf gespeichert und lesbar bleiben." Notfalls sollte die Etikette abreißbar sein.

Zurzeit testet die Metro-Gruppe in einem Supermarkt in der Nähe von Duisburg RFID. Dort schieben die Kunden ihren Einkaufswagen an einer Leseschranke vorbei, die alle Artikel en passant erfasst, und begleichen den Betrag an einer Selbstzahlerkasse per Karte. Danach können sie die Informationen auf den Etiketten an einem Deaktivator löschen. Dabei bleibt allerdings die weltweit einzigartige eindeutige Seriennummer zurück, kritisiert der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD).

Professor Pohl, der auch Sprecher des Arbeitskreises Datenschutz und IT-Sicherheit der Deutschen Gesellschaft für Informatik (GI) ist, sieht darin auch Vorteile: "Wenn ich die Rechnung verbummele, aber ein Funketikett mit Seriennummer in der Kleidung ist, bin ich vielleicht dankbar, weil ich Artikel trotzdem umtauschen kann." Allerdings müsse diese Entscheidung dem Kunden überlassen bleiben. "Zur Zugriffskontrolle gehört auch, dass an einem Gerät Informationen für bestimmte Läden gesperrt und für andere freigegeben werden können."

RFID kann aber auch die informationelle Selbstbestimmung des Verbrauchers verletzen - beispielsweise in Verbindung mit Kundenkarten. "Es darf nicht dazu kommen, dass Waren- und Personendaten verknüpft und Konsumentenprofile ohne eine ausdrückliche und freiwillige Zustimmung des Kunden erstellt werden", sagt Christian Thorun, Referent für Handel bei der Verbraucherzentrale Bundesverband (VzBv) in Berlin.

Der Kunde müsse immer gefragt werden und sein Einverständnis geben, bevor etwas mit seinen Daten passiert. Ebenso dürften keine RFID-Chips in Kundenkarten integriert werden, mit denen Verbraucher beim Betreten des Geschäfts registriert und beispielsweise über individuelle Angebote auf Displays gesteuert werden können. "Außerdem sollte der Chip an der Kasse deaktiviert werden und das anonyme Zahlen an einer normalen Kasse möglich bleiben", sagt Thorun.

Fälschungssichere WM-Tickets

Praktisch sind Funketiketten, wenn Waren zurückgerufen werden müssen. "Die Rückverfolgbarkeit von Produkten durch RFID ist ein Vorteil, da durch die Chips die Produktionskette lückenlos aufgezeichnet werden kann", erklärt Thorun. Auch zusätzliche, an Kundenterminals auslesbare Produktinformationen fänden auf den Etiketten Platz.

Mehrere Seiten Text können sie laut Pohl inzwischen speichern. So bringen es die RFID-bestückten WM-Tickets auf rund zwei DIN-A-4-Seiten - auch wenn RFID dort wie in der US-Pharmaindustrie vor allem als Fälschungsschutz eingesetzt werde. Auch die Europäische Zentralbank erwägt, Geldscheine mit RFID-Chips zu sichern.

Die Bundesregierung will nach dem Reisepass nun auch den neuen Personalausweis mit einem Chip ausstatten - und womöglich gleich die geplante Gesundheitskarte integrieren. "Erhalten Dritte Kenntnis von diesen Informationen, stellt dies einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Eigentümers dar", gibt die Datenschutzgruppe der EU-Kommission zu bedenken. Sie empfiehlt für Ausweise den Einsatz von höher entwickelten RFID-Chips, so genannten Smartcards. Diese sind nur im Zentimeterbereich auslesbar und bieten mit eigenem Prozessor und Betriebssystem den Schutz einer Zugangskontrolle.

Trotzdem sollte der Verbraucher immer wissen, wo sich RFID-Chips befinden und ausgelesen werden. "Zu diesem Zweck eignen sich Piktogramme, wie sie bereits auf Videokameras hinweisen", sagt Pohl.

Doch bisher haben sich die Funketiketten vor allem in der Warenlogistik hinter den Kulissen durchgesetzt. Im Supermarkt selbst könnte heute noch nicht jedes Produkt mit einer Etikette ausgestattet werden. "In der richtigen Auflage kostet ein Chip noch zehn Cent - das ist zu viel für einen Joghurtbecher", sagt Pohl.

Doch die Zahl der RFID-Anwendungen wächst: Die Technologie wird inzwischen für Auto-Wegfahrsperren, zur Patientenversorgung in Krankenhäusern, zur Identifikation von Büchern in Bibliotheken oder zum Auffinden von Akten und anderen Gegenständen eingesetzt. Nach Angaben der Datenschutzgruppe gibt es sogar Pläne, Bordkarten für Flugzeuge mit Chips auszustatten, um verspätete Passagiere ausfindig zu machen - das hätten sich die US-Militärs vor 60 Jahren nicht träumen lassen.

Dirk Averesch

Manager Magazin, Hamburg, 29. Mai 2006
Original: http://www.manager-magazin.de/it/artikel/0,2828,418466,00.html

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