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Der wandelnde Kontostand

Vom Medienkunstfestival transmediale.05 in Berlin

Um die »Basics« ? die »Grundlagen« ? kreiste alles auf der diesjährigen »transmediale«, dem fünftägigen internationalen Medienkunstfestival im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW), das heute zu Ende geht. Als ein »Back to Basics«, also eine »rückwärtige Versicherung etablierter Werte«, sei das Motto jedoch nicht, stellte Festivalleiter Andreas Broeckmann gleich zu Beginn der Veranstaltung klar. Vielmehr wolle man sich um die »Neubestimmung angemessener und möglicher Maßstäbe heutigen Handelns« bemühen. Dies ist ein sehr mutiges Unterfangen für ein Kunstfestival. Und diese Bemühung zog sich tatsächlich wie ein roter Faden durch Ausstellungen, Filme, Diskussionen, Präsentationen, Vorträge und Workshops, die die transmediale auch in diesem Jahr erneut zu einem wichtigem Treffpunkt für Publikum, Medienkünstler, Theoretiker und Aktivisten machte.

Dass ein möglicher Weg zu den heutigen »Basics« zum Beispiel in der Reduktion liegen könnte, zeigte der Künstler Thomas Köner, dessen Videoinstallation »Suburbs of the Void« (bedeutet so viel wie »Vorstädte der Leere«) neben acht weiteren Arbeiten für den diesjährigen Preis der transmediale nominiert wurde. »Suburbs of the Void« zeigt eine winterliche Straßenkreuzung, auf der sich unmerklich die Helligkeitsverhältnisse ändern. Lichter gehen an und aus, der Himmel hellt sich auf, kurze Zeit darauf ist die ganze Szenerie wieder in Dunkelheit getaucht. Verwirrend ist die völlige Abwesenheit von Menschen ? eine Geisterstadt? Die Tonspur, ein hintergründiges, eisiges Rauschen hinter dem die vermeintlichen Fetzen menschlicher Stimmen vernehmbar sind, unterstreicht diesen Eindruck. »Meine Arbeit handelt eher von Entschleunigung als von Beschleunigung« sagt der Künstler selbst über sein Werk und fügt hinzu, dass es ihn mehr interessieren würde, »einen Rau m zu leeren, als zu füllen«. Die Angst, sein Publikum zu langweilen, scheint Köner nicht zu kennen. Im Gegenteil, Langeweile sei »vielleicht der Preis, den man zahlen muss«, um den von ihm geschaffenen Raum zu betreten, so der Künstler. Das Ausgangsmaterial für »Suburbs of the Void« lieferte übrigens eine finnische Verkehrsüberwachungskamera, deren Bilder Köner im Internet fand.

Für den kühlen Blick der Überwachungskameras scheint sich die aktuelle Medienkunst besonders zu interessieren. Mehrere Arbeiten auf der transmediale beschäftigten sich mit dem Umstand, dass die Privatsphäre jedes Einzelnen immer wieder von Staat und Industrie massiv beschnitten oder gleich ganz beseitigt wird. Sicherheitswahn und Kontrolle durch Überwachung ? auch dies sind grundlegende Gegebenheiten, die das Dasein in den heutigen westlichen Gesellschaften zunehmend prägen. Besonders eindrücklich demonstrierte dies der britische Künstler Chris Oakley. Dessen Installation »The Catalogue« zeigt den Menschen so, wie ihn die Industrie am meisten liebt: als einen wandelnden Kontostand, an dessen bereits getätigten Konsumakten zukünftige Bedürfnisse vorausgesagt, vielleicht sogar gesteuert und gezielt bedient werden können. Oakley montierte in die Filmaufnahmen aus Einkaufszentren über die Köpfe von Besuchern deren Kontostände, Kreditkartennummern und Transakti onsstatistiken. Auch diese Bilder sind Bilder der Überwachung, deren finale Logik schließlich im Ausschluss derjenigen besteht, die mit ihrem Verhalten durch das Raster der Konsumindustrie fallen. Dass es sich hier durchaus um ein realistisches Szenario handelt, lässt die Dokumentation »Die Schöpfer der Einkaufswelten« (2001) des Berliner Filmemachers Harun Farocki ahnen, welcher ebenfalls auf der transmediale gezeigt wurde. Der Filmemacher schaute Managern und Architekten von Einkaufszentren bei ihren Beratungen, Planungen und Analysen über die Schulter. Bei diesen Menschen ist alle unternehmerische Energie darauf gerichtet, den »Geschmacksfaden« des Konsumenten beim Gang durch das Einkaufszentrum nicht reißen zu lassen und ihn zu diesem oder jenem »Impulskauf« zu verführen. Auch hier tauchen die gleichen Bilder wie bei Oakley auf: Das Material von Überwachungskameras wird tatsächlich mit einer statistischen Software gekoppelt, die es ermöglichen soll, das V erhalten des gläsernen Konsumenten gründlich zu analysieren und damit letztlich lenken zu können.

Dass der Widerstand gegen die Datensammelwut von Industrie und Staat in der datentechnischen Selbstermächtigung jedes Einzelnen liegt, ist der Grundgedanke des Bielefelder »Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.« (FoeBuD). An einem Stand klärten die Vereinsmitglieder Peter Ehrentraut und Axel Rüweler über die Funktionsweise des so genannten RFID-Chips (für Radio Frequency Identification) auf und präsentierten den »DataPrivatizer«, ein Gerät, mit dem man die winzigen »Schnüffel-Chips« auf Waren, Eintrittskarten und Kundenkarten orten und in einem Akt der »informationellen Selbstbestimmung« die darauf gespeicherten Daten löschen kann. Ganz im Sinne einer »Basic Democracy«.

Link: transmediale.05 BASICS Berlin, Haus der Kulturen der Welt. http://www.transmediale.de/

Kito Nedo

Neues Deutschland, Berlin, 08. Februar 2005
Original: http://www.neuesdeutschland.de/artikel.asp?AID=67128&IDC=4

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