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RFID-Träume der Konzerne

Kaufhäuser starten Testläufe / Logistikbranche ist schon weiter

Allmählich macht der Einzelhandel ernst mit der umstrittenen Radiofrequenz-Technik. RFID soll effizientere Abläufe in Produktion und Logistik bieten sowie vor Plagiaten schützen.

In der Düsseldorfer Filiale der Kaufhauskette Karstadt hängen seit Anfang dieser Woche Jeans mit Funk-Etiketten in den Regalen. Ab Herbst 2008 will der Konzern alle Warenhäuser in der Herrenmode-Abteilung mit den neuartigen Etiketten ausstatten, die langfristig den Strichcode ersetzen sollen. Konkurrent Galeria Kaufhof (Metro-Gruppe) zieht Ende September in der Herrenabteilung seiner Essener Filiale nach. Die RFID-Technologie besteht aus einem Chip, einer Antenne und einem Lesegerät. Sie ermöglicht es, Objekte über Funk zu erkennen. Die Chips speichern Produktinformationen, und beim Auslesen können die Nutzer per Verknüpfung mit einer Datenbank weitere Details abrufen. Ein elektronischer Code weist jedem Produkt eine eindeutige Identität zu. RFID ist unempfindlicher als Strichcodes gegen Beschädigungen, zwischen Lesegerät und Antenne muss keine Sichtverbindung bestehen, und es kann ein ganzer Pulk von Produkten gleichzeitig erfasst werden. Der Handelskonzern Rewe testet seit 2005 zusammen mit 120 Lieferanten die Technik in einem Zentrallager nördlich von Hamburg. Von Norderstedt aus werden 500 Penny- und Rewe-Märkte beliefert. Ziel ist es, manuelle Abläufe zu automatisieren. Langfristig wird an weitere Anwendungen gedacht, etwa eine permanente Temperaturüberwachung von Fleisch. Erfahrungen sammelt auch die Logistiksparte der Deutschen Post. »Die Wareneingangsprozesse werden beschleunigt, die Fehlerquote wird minimiert«, sagt DHL-Direktor Andreas Kruse. Mittlerweile werden alle Kartons in Deutschland mit einem RFID-Chip beklebt, »getagt«, wie es im Jargon heißt. Später sollen die Artikel bereits im Herkunftsland getagt werden. »Die Vorteile von RFID zur Verbesserung wirtschaftlicher Prozesse liegen klar auf der Hand«, sagt Professor Peer Witten, Sprecher der Logistik-Initiative Hamburg. Dazu gehöre die lückenlose Dokumentation einer Ware von der Fabrik bis zum Verbraucher. »Logistikunternehmen können entlang der gesamten Logistikkette Kosten sparen und ihre Prozessqualität verbessern«, sagt Witten. Schnelligkeit, Zeitersparnis, ständige Kontrolle sprächen für einen Einsatz. Den Befürchtungen vieler Endverbraucher, RFID würde sie zum allzeit überwachten gläsernen Kunden machen, könnten Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit verstärkter Aufklärung entgegenwirken. Damit will sich der Bundesdatenschutzbeauftragte jedoch nicht zufrieden geben. Peter Schaar sieht die Gefahr, dass über die Funk-Chips vom Handel heimlich Netzwerke mit Kundendaten aufgebaut werden und fordert vom Gesetzgeber »eindeutige und bindende Regelungen«. Außerdem müssten Verbraucher die Chips auf Wunsch deaktivieren können. Gebremst wird RFID aber auch durch technische Hemmnisse. Metalle und Flüssigkeiten stören den guten Empfang, und die Chips senden international auf unterschiedlichen Frequenzen. Seit kurzem bemüht sich die Organisation »EPCglobal« weltweit um einheitliche Normen. Außerdem sind die Anschaffung von Lesegeräten und die Anpassung der Logistik-Infrastruktur erhebliche Kostenfaktoren. Daher rechnet selbst der RFID-Pionier Rewe in den nächsten Jahren nicht mit einer flächendeckenden Einführung.

Big Brother Für Kritiker ist das Kürzel RFID ein Synonym für totale Überwachung. RFID-Systeme hinterlassen zeitlich wie örtlich Datenspuren, die nachträglich rekonstruiert werden können. Damit sind Bewegungs- und Kontaktprofile jedes Menschen möglich, selbst wenn die Daten ursprünglich in anonymisierter Form vorliegen. Der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBUD) vergab schon 2004 den »Big-Brother-Award« an den Handelskonzern Metro, der seinerzeit eine Kundenkarte mit RFID-Technologie testen ließ. Nach Protesten wurde der Feldversuch eingestellt.

Hermannus Pfeiffer

Neues Deutschland, Berlin, 14. September 2007
Original: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=116176&IDC=3

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