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Angriff der Mini-Chips

(Foto: winzige Chips unter Lupe) Kaum zu sehen und doch so viel Wirkung. © by Hitachi Klein ist nicht immer ganz so fein. Ob Banknoten oder Lebensmittel, ein winzig kleiner Chip probt den Überwachungsfall.

Der japanische Hersteller Hitachi hat einen Miniatur-Identifikations-Chip entwickelt. Sein Name: µ-Chip (gesprochen: Mu). Der kompakte Elektronikbaustein hat gerade einmal eine Seitenlänge von 0,4 Millimetern, ist 60 Mikron dick und bietet mit 128 Bit Speicher genug Platz für individuelle Echtheits- und Identifikationscodes. Die im Chip enthaltenen Daten können über eine Distanz von bis zu 30 Zentimetern drahtlos abgefragt werden. Dazu versorgt ein Mikrowellen-Lesegerät den Chip, der über keine eigene Batterie verfügt, mit der notwendigen Energie. Scanner und Chip tauschen über 2,45 GHz eine verschlüsselte 128-Bit-lange ID-Nummer aus, die während des Produktionsprozesses in den ROM (Read-Only-Memory) des Chips eingebrannt wurde. Der ganze Kommunikationsvorgang zwischen Chip und Lesegerät dauert im Echtbetrieb gerade einmal 20 Millisekunden.

Aufrüstung der Euro-Noten?

Schon seit Monaten soll es Gespräche zwischen der Europäischen Zentralbank und Hitachi um die Aufrüstung der europäischen Geldscheine geben, die ganz im Gegensatz zum leicht zu fälschenden Dollar ohnehin schon zu den sichersten der Welt zählen. Den Starttermin 2005 wollen Insider von der Europäischen Zentralbank erfahren haben, das Problem für einen schnellen Einsatz der so genannten RFID-Technologie (radio frequency identification tags) scheint zurzeit aber schlicht der Preis zu sein. �Rund 10 Cent kostet der µ-Chip�, so Martin Reilly, der zuständige Projektleiter bei Hitachi. Bei Milliarden von Euro-Scheinen kommen auch für die Eurobanker schnell unbezahlbare Summen für die neue unsichtbare Kennzeichnung des Geldes zusammen. Kosten entstehen aber auch an anderer Stelle, denn über die Kennzeichnung der Scheine hinaus müsste es natürlich auch eine erhebliche Anzahl an Lesegeräten geben, um die Zirkulation der Euro-Noten verifizieren zu können. In jedem Fall könnten Fälschungen durch den Einsatz des µ-Chips noch einmal erheblich erschwert werden. Doch ebenso, und daran besteht kein Zweifel, könnte der Weg eines jeden Geldscheins nachvollzogen werden, wenn jedes Lesegerät sein Ausleseergebnis an eine zentrale Datenbank übermittelt. Nicht von Hitachi und bisher auch nicht in diesen winzigen Abmessungen gibt es ähnliche Entwicklungen, die nicht nur über einen �Read Only�-Modus verfügen. Derartige Chips können sogar neue Informationen speichern. Aufwendige datenbankgestützte Lösungen für die Nachverfolgung des Geldes wären damit sogar hinfällig, denn jeder Schein trägt seine eigene Geschichte. In beiden Fällen ist aber leicht nachvollziehbar, wann und wo ein gechipter Geldschein weitergereicht wurde und was mit ihm zuletzt bezahlt wurde. Offiziell stehen die Eindämmung krimineller Machenschaften wie Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit oder Geldwäsche im Mittelpunkt des Interesses der Eurobanker. Wegen der umfangreichen Möglichkeiten der neuen Kennzeichnung ist nicht nur die Europäische Zentralbank an dem neuen Sicherheitsmerkmal interessiert. Laut Martin Reilly sind auch andere Nationalbanker bei Hitachi vorstellig geworden, wenngleich er keine Namen nennen will.

Ein Sicherheitsmerkmal für alle Fälle

Doch RFID bietet noch weit mehr Möglichkeiten, als nur den schnöden Mammon zu sichern. Die eigentliche Wirtschaftlichkeitsberechnung der Erfinder zielt auf ganz andere Anwendungsfälle. Grundsätzlich können mit der µ-Chip-Technologie sämtliche Alltagsgegenstände (über das Internet) vernetzt werden. Und dabei dürfte der finanzielle Aufwand in der Regel keine große Rolle spielen, vor allem dann nicht, wenn es um Direktwerbung oder die Nachverfolgung von Waren geht. Auch von Waren, die wir Menschen mitunter am eigenen Körper tragen: Theoretisch nämlich können die Mini-Chips auch in Stoffe eingewebt werden. So würde selbst unsere Hose eine fälschungssichere Seriennummer enthalten, die im Vorbeigehen von einem entsprechenden Scanner aufgenommen werden kann. Was dann mit der Seriennummer passiert, ob vor uns auf großen Anzeigen plötzlich zielgerichtete persönliche Werbung erscheint oder die Ziffernfolge in einer großen Datenbank verschwindet, um mit weiteren persönlichen Daten verknüpft zu werden � heute kaum vorstellbar. Die Expo im Jahr 2005 in Japan jedenfalls wird mit dem µ-Chip stattfinden, so viel ist sicher. �Zur Zeit überarbeiten wir das Ticketing-System�, so Martin Reilly. �Ziel ist es auch dort den unsichtbaren Chip einzusetzen. Er soll in Papier- und Plastik-Tickets integriert, die Zugangsregelung übernehmen und auch schon im Vorfeld die Registrierung für bestimmte Veranstaltungen erleichtern.� Zeitlich etwas näher liegt die derzeitige Zusammenarbeit im Rahmen des britischen E-Government-Projektes. Besonders interessant erscheint die Möglichkeit, an Internetkiosken Dokumente auf Blankopapier auszudrucken, das einen µ-Chip enthält. Durch den Chip im Papier mit seiner eindeutigen ID in Bezug auf einen speziellen Vorfall kann eine Behörde die Echtheit des Dokumentes jederzeit überprüfen.

Bereits im Einsatz: Vorläufersysteme

An die Technologie, die dem µ-Chip zugrunde liegt, haben wir uns letztlich schon gewöhnt, denn bereits heute werden ganz ähnliche Informationsträger beispielsweise auf Chipkarten, Büchern, Folien und Verpackungsmaterialien angebracht, um Transportwege besser verfolgen zu können. Mit der RFID-Technologie wird es aber in jedem Fall noch einmal erheblich leichter, personenbezogene Daten zu erheben: Die Technik ist absolut unauffällig und durch das kontaktlose Lesen ist es für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar, wann Daten gelesen werden und was mit ihnen geschieht. Die datenschutzrechtlich ohnehin schon umstrittene Spur, die wir heute im täglichen Leben hinterlassen, wird künftig keineswegs kürzer. Im Gegenteil: Sie wird noch einmal erheblich länger, wenn in Zukunft jeder Geldschein, jedes Medikament und jedes Blatt Papier einen µ-Chip enthält.

Datenschützer gegen sofortigen Einsatz

Die RFID-Zukunft hat � fast unbemerkt von der Öffentlichkeit - bereits begonnen: Der Metro-Konzern hat ein Shopsystem entwickelt, das auf Transpondern basiert. Für die Metro-Future-Store-Initiative hat der Konzern den BigBrotherAward 2003 in der Kategorie Verbraucher erhalten, denn damit wird der Alptraum vom ausspionierten und manipulierbaren gläsernen Kunden Realität. Und: Der Kunde ist gleich doppelt der Dumme, denn die elektronischen Schnüffler um ihn herum muss er auch noch bezahlen.

In diesem Zusammenhang haben rund 30 internationale Verbraucherschutz- und Bürgerrechtsorganisationen ein gemeinsames Positionspapier erarbeitet, in dem die Gefahren für Privatsphäre und Bürgerrechte erläutert werden, die durch RFID-Etiketten auf und in Waren entstehen können. Das Positionspapier fordert ein Moratorium der RFID-Hersteller und der Handelsketten, bis geeignete Maßnahmen erarbeitet worden sind, um diesen Gefahren wirksam zu begegnen. Zumindest der Metro-Konzern hat inzwischen (vorerst) eingelenkt und bringt die RFID-Technoiogie nicht weiter zum Einsatz. Dass der Wunsch für den Praxiseinsatz zumindest der Hersteller groß ist, hat aber die riesige Auswahl an Anwendungen auf der CeBIT gezeigt.

Bald ein Anti-Schnüffler in jedem Einkaufsbeutel?

Und weil Warnungen allein nicht ausreichen, will der Initiator des BigBrotherAwards, der FoeBuD, allen Bürgerinnen und Bürgern etwas Praktisches gegen die uneingeschränkte Überwachung der Privatsphäre an die Hand geben. Sein Ziel ist die Entwicklung des �DataPrivatizer�, eines kleinen, praktischen Gerätes, das elektronische Transponder aufspürt und meldet. Die Idee überzeugte jedenfalls die Jury der Stiftung bridge und mit dem gewonnenen Preisgeld von 15.000 Euro lässt sich auch durchaus eine Entwicklung in die richtige Richtung anstoßen. Schade nur, dass der Verbraucher dann noch einmal Geld ausgeben muss, um sich gegen die Datenschnüffler in seiner Umwelt zu wehren.

netzkritik.de, Bonn, 20. April 2004
Original: http://www.netzkritik.de/art/187.shtml

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