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Traum oder Trauma

HANDEL / Die Metro zieht umstrittene Kundenkarten aus dem Verkehr. Datsnschützer hatten vor Kundenspionage gewarnt.

Rheinberg/Bielefeld. Die Erfolgsmeldung flatterte in Bielefeld unangekündigt aus dem Fax-Gerät. In einem knappen Schreiben an die Datenschützer der Vereinigung Foebud erklärte der Düsseldorfer Handelskonzern Metro, dass die 10000 mit RFID-Technologie ausgestatteten Kundenkarten für den Test-Supermarkt "Future-Store" in Rheinberg gegen konventionelle Karten ausgetauscht werden. Das war diesen Donnerstag. Zwei Tage, bevor die Bielefelder gegen die von ihnen auch gern als "Schnüffelchips" bezeichnete Technik vor dem Markt demonstrieren wollten.

David schlägt Goliath

Der drittgrößte Handelskonzern Europas hat die Waffen gestreckt, finden die 15 Mitarbeiter von Foebud, die in der letzten Wochen stetig vor dem umstrittenen Kartensystem gewarnt haben. In der Metro-Konzernzentrale in Düsseldorf ist man anderer Meinung. Von Kapitulation will man nichts wissen. Im Gegenteil. Die Metro-Group habe mit den RFID-Kundenkarten gegen keinerlei Datenschutzgrundsätze verstoßen: "Wir haben uns allein wegen der emotionalisierten Diskussion über das System dazu entschlossen, die Karten auszutauschen", sagte Sprecher Albrecht von Truchseß. Er verwehrt sich deutlich gegen die Vorwürfe der Datenschützer: "Wir haben kein Interesse daran, über RFID-Daten Informationen über unsere Kunden zu bekommen." Das ist generell zumindest technisch möglich. Im Future-Store der Konzern-Tochter "Extra" seid die Karte mit der RFID-Technologie (siehe Kasten) aber nur eingesetzt worden, um ein DVD-Abspiel-System zu ermöglichen, heißt es bei Metro. Mit den Karten können Kunden Filmausschnitte sehen - oder nicht, weil im Chip das Alter des Inhabers gespeichert ist. "Die Chips dienen ausschließlich der Alterserkennung", sagt Truchseß. Ohne die Karte könnten nur Film-Trailer gezeigt werden, die eine Freigabe ab sechs Jahren haben. Padeluun, Netzaktivist bei Foebud, hält entgegen, dass die Karte ohnehin nur an Menschen ab 16 Jahre ausgegeben wird. Der Nutzen der Altersverifizierung sei daher zweifelhaft. Er sieht dagegen generell die Gefahr, dass Händler mit solchen Verfahren die Vorlieben von Kunden ausspionieren könnten. Aus diesem Grund hatte Foebud dem Futire-Store vergangenen Herbst auch den Bigbrother-Award - den Preis für "Datenkraken" - verliehen. Denn: Vorstellbar sei durch RFID-Chips nicht nur der gläserne Kunde, denkbar wäre die totale Kontrolle. Dass achtlos weggeworfene Papier eines Schokoriegeld könnte schon in naher Zukunft dank Chip-Technologie seinem Käufer zugeordnet werden. RFID-Technologie in der Kleidung könnte Arbeitgebern die Kontrolle der Mitarbeiter erleichtern. Bei der Metro wäre mann schon zufrieden, wenn die Kunden mit ihrem Einkaufswagen an der Kasse vorfahren und ein Lesegerät die Waren im Korb automatisch zusammen rechnet. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Zehn bis 15 Jahre, meint Truchseß, wird es wohl noch dauern, bis die Technik so weit sein. Dann könnten das RFID-Chipsystem das derzeitige Barcode-System ablösen. In Lager- und Logistikbereichen funktioniert die RFID-Technik allerdings in einigen Teilen jetzt schon. Hier soll das System auch dafür sorgen, dass Artikel niemals ausgehen.

Mit Chip ins Stadion?

Daher ist die Technik im Handel wohl nicht mehr wegzudenken. Und auch die Wirtschaft hat RFID in ihr Herz geschlossen: Chip-Hersteller Intel und der Elektronik-Riese Siemens eröffnen in Kürze ein gemeinsames RFID Technology Center bei München. Selbst das Organisationskomitee für die Fußballweltmeisterschaft 2006 soll überlegen, Zugänge zu den Stadien mit der RFID-Technik zu sichern. Es gebe jedenfalls noch jede Menge Gesprächsbedarf, findet man bei Foebud. Deshalb werde heute trotz Metro-Mitteilung in Rheinberg demonstriert. Da will sich die Metro gastfreundlich zeigen und sorgt für eine vegetarische Gulaschkanone und Getränke. Auch in der Behörde der NRW-Datenschutzbeauftragte Bettina Sokol ist man aufmerksam geworden auf den Future Store. "Unsere Fachleute wollen nach Rheinberg fahren", sagte Sprecherin Andrea Siekmann. Spätestens im April. Dann dürften die RFID-Karten ausgetauscht sein ... (NRZ)

Kasten: "Stichwort" Infos aus dem Stecknadelkopf RFID-Systeme (Radio-Frequenz-IDentifikation) bestehen im Grunde aus zwei Komponenten: Damit das System funktionieren kann, braucht es ein Lesegerät und eine elektronische Marke - den Transponder (Sender/Empfänger), der auch als Tag bezeichnet wird. Der Transponder ist kaum größer als ein Stecknadelkopf und benötigt keine eigene Stromquelle. Gespeist wird er von den elektromagnetischen Impulsen, die das Lesegerät über eine Antenne sendet. Der passive Transponder kann in Produkten oder in Kundenkarten eingebaut werden. Er empfängt die vom Lesegerät "gefunkten" Impulse und sendet seine gespeicherten Informatinoen als Antwort an das Lesegerät zurück. Gerade in der Funkverbindung sehen Hersteller dieser Technologie den Vorteil gegenüber Strichcode-(Barcode) oder Magnetstreifensystemen. Das Leseverfahren funktioniert praktisch im Vorbeigehen - weil die Transponder gegen Nässe, Schmutz und mechanische Einflüsse unempfindlich sein sollen. Zum Einsatz, so wünschen es sich dei Hersteller, kann die Technologie da kommen, wo Dinge oder Menschen identifiziert oder Daten an Objekten gespeichert werden. Augenblicklich fallen pro Transponder Kosten zwischen 30 und 50 Stück pro Stück an. (ski/NRZ)

[Foto: Gesicht, von Händen gestützt, mit Chip auf der Stirn befestigt:] Ein Chip spaltet die Gemüter: Wenn der Händler seine Kunden bis ins kleinste Detail kennt, kann das nicht nur Vorteile haben. (Foto: dpa/Montage: Breyer)

MARKUS KAMINSKI

Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, Essen , 28. Februar 2004
Original: Nicht bekannt

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