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Datenschützer treiben Gerry Weber an

Modeunternehmen will umstrittene RFID-Funkchips ab Frühsommer beim Verkauf deaktivieren

Bielefeld. In der Debatte um RFID-Chips in Textilwaren von Gerry Weber läuten Datenschützer die nächste Runde ein. Mit auffallenden Aktionen weist der Verein FoeBud abermals auf die Risiken der Technik hin. Nun will das Modehaus aus Ostwestfalen die Etiketten ab April beim Verkauf deaktivieren. Den Datenschützern geht das nicht weit genug.

Es ist ein bedenkliches Szenario: Der Kunde betritt zum ersten Mal einen Laden, und der Verkäufer hinter dem Thresen weiß sofort, wen er vor sich hat; wie teuer das Jackett war, ob die Schuhe aus Leder oder Kunststoff sind, wer zuletzt die Kreditkarte las. Sekundenschnell stehen detaillierte Auskünfte parat, welchen Lebensstil der Kunde pflegt – und ob es sich lohnt, ihm die feineren Waren aus dem Sortiment anzubieten.

RFID-Funkchips in Kleidern lassen diese Utopie zu. Das Modehaus Gerry Weber aus Halle im Kreis Gütersloh setzt das System deutschlandweit seit 2009 flächendeckend für die Logistik- und Handelsprozesse ein – als erstes Unternehmen der Textilbranche. Seither weist der Bielefelder Datenschutzverein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, kurz FoeBud, auf die Risiken der Technik hin.

Bewegungsprofile der Kunden

RFID steht für Radio Frequency Identification. In der Theorie ließen sich damit partielle Bewegungsprofile von Kunden erstellen. FoeBud hat dies in dieser Woche abermals vor einer Gerry-Weber-Filiale in der Bielefelder City demonstriert. "Die meisten Kunden waren irritiert, dass sie eine Wanze in der Tasche haben", sagt die Aktivistin mit dem Pseudonym Rena Tangens von FoeBud. Gerry Weber chippe inzwischen alle seine Textilien über das Pflegeetikett. "Die Kunden achten nicht darauf, weil sie häufig noch nie davon gehört haben." Die Nummer auf dem Etikett markiere nicht nur die Warenart, sondern stelle auch die eindeutige Identifikation des Kunden sicher. "Daraus", sagt Rena Tangens, "entsteht ein enormes Gefahrenpotenzial."

Gerry Webers IT-Leiter Christian von Grone zeigt sich verständnisvoll. Generell begrüße er, dass die Datenschützer das maximale Risiko beachten. "Foebud jedoch wirft eine Bedrohung an die Wand, ohne auf den wahrscheinlichsten Fall hinzuweisen", so von Grone.

Konkurrierende Einzelhändler würden wohl kaum Kundendaten für die Erstellung von Bewegungsprofilen untereinander austauschen. "Wir nutzen die Chips ausschließlich, um unsere Warenströme zu kontrollieren und zu optimieren", sagt von Grone. Mit den Etiketten und entsprechenden Scannern lässt sich ein Gerry-Weber-Laden durchschnittlicher Größe in nur 15 Minuten inventarisieren. Andere Interessen nach dem Kauf scheinen von Grone fremd zu sein. Foebud übertreibe bewusst, um Aufmerksamkeit zu erhalten.

Für Rena Tangens ist die Gefahr real. Sobald der Kunde mit der Ware den Laden verlasse, fühle sich Gerry Weber nicht mehr verantwortlich. "Das ist falsch", wirft die Datenschützerin ein, "Gerry Weber muss seine Kunden schützen."

Dünne Gesetzesgrundlage

Da das Unternehmen mit Foebud "in vielen Fragen des Datenschutzes übereinstimmt", will Gerry Weber nun Abhilfe schaffen. "Wir starten im Frühsommer unsere neue Software-Version", sagt von Grone, "ab dann werden Antennen, die unter dem Kassentisch installiert sind, den RFID-Chip beim Verkauf durch einen Kill-Befehl deaktivieren." Den Datenschützern von FoeBud reicht das nicht aus; Gerry Werber prophezeie bereits seit "über einem Jahr" Konsequenzen. "Die Chips müssen entfernt werden", fordert Rena Tangens, "und zwar nicht erst auf Wunsch der Kunden."

Inzwischen setzen neben Gerry Weber auch andere Unternehmen aus der Textilbranche RFID ein. Die Firma Peuterey erhielt im vergangenen Jahr von FoeBud einen Big-Brother Award. S. Oliver ...

Die gesetzliche Grundlage für RFID ist relativ dünn. Die EU-Kommission verabschiedete 2009 lediglich eine Empfehlung, um die Privatsphäre im Sinne des Datenschutzes zu wahren – "eine minimale Bottom Line", wie von Grone bemerkt. Gerry webers IT-Experte wünscht sich verbindliche europaweite Standards. "Wir fordern ein EU-Gesetz", sagt auch Rena Tangens. Gerry Weber sei in der Pflicht, in der knallharten Textilbranche mit gutem Beispiel voran zu gehen. "Es wäre so leicht."

FLORIAN PFITZNER

Neue Westfälische, Bielefeld, 27. Januar 2012
Original: http://www.nw-news.de/owl/regionale_wirtschaft/5932342_Datenschuetzer_treiben_Gerry_Weber_an.html

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