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Funketiketten wecken diffuse Ängste

Detlef Borchers

Im Warenhaus der Zukunft, das die Metro-Gruppe im Herbst 2003 im westfälischen Rheinberg eröffnet hat, sollen intelligente Regale und automatische Kassen getestet werden. Zentrales Element des Future Store sind die Funketiketten. Doch diese sorgen für Verunsicherung. Datenschützer schlagen Alarm, Kunden protestieren.

Der Strichcode, vor 20 Jahren eingeführt, ist allgegenwärtig. Er ermöglicht es, dass Waren im Laden schnell über einen Scanner gezogen und erfasst werden können. Doch der Strichcode kann nur 20 Bits an Informationen speichern, ist durch Kratzer oft fehlerhaft oder unlesbar. Er soll nun durch die Radio-Frequency-Identification (RFID) abgelöst werden. Es geht dabei um Speicherchips, die per Funk angesprochen und ausgelesen werden können.

Von der Flak zur Maut

Entwickelt wurde die Technologie im Zweiten Weltkrieg unter dem Namen IFF: Identification, Friend or Foe. Automatisch sollten Flugzeuge ein Signal absetzen, damit die Flugabwehr erkennen konnte, ob es sich um Freund oder Feind handelte. Nach der zivilen Luftfahrt und der Containerlogistik bewährte sich die Technik in den siebziger Jahren vor allem im Verkehrswesen. Die weissen Kästchen, die bei der österreichischen LKW-Maut am Fenster des Camions kleben, enthalten Transponder, die beim Passieren einer Mautbrücke ihre Seriennummer senden. Diese Transponder sind aktiver Art, da sie frühzeitig mit der Brücke Kontakt aufnehmen müssen.

Interessant sind passive Transponder, die nur noch wenige Millimeter gross sind. Passiv werden sie darum genannt, weil sie ohne Stromversorgung auskommen und auf Verpackungen «gedruckt» werden können. Sie bestehen aus einem Kondensator, einem Speicherchip und aus einer Antenne. Die Energie, die von einem Sender abstrahlt, lädt den Kondensator auf, der dann den Chip aktiviert, damit dieser seine Informationen sendet. Wann immer von RFID-Chips im engeren Sinne die Rede ist, sind passive Transponder mit einer Sendeleistung bis zu 2,5 Metern und einer Speicherkapazität von 2 bis 64 KByte gemeint. Diese Bauteile können in grossen Stückzahlen kostengünstig hergestellt werden. Bei Philips kosten RFID-Chips gegenwärtig 30 Eurocents. Noch vor einem Jahr kosteten sie das Vierfache. Wenn der RFID-Boom wirklich anzieht, so hofft man, auf einen Stückpreis von 2 Cents zu kommen. Bei diesem Preis wäre die Ablösung des Strichcodes nicht mehr aufzuhalten. Im Vergleich zum mühsam zu scannenden Strichcode brauchen mit Transponder gekennzeichnete Waren nicht aus einem Einkaufswagen genommen werden. Es reicht, wenn eine Leseschranke durchschritten wird - die im Übrigen auch in der Kleidung versteckte Waren findet.

Rund um die RFID-Chips in den Umverpackungen und an den Paletten hat nun ein grosses Gesumse eingesetzt. Viel ist die Rede von einer «Revolution der Logistik» und von einer «völlig neuen Verkaufswelt». Bald könnten Regale melden, wenn ein bestimmter Artikel keine Kennungen sendet, also ausgegangen ist; Einkaufswagen könnten der Umgebung mitteilen, was in ihnen enthalten ist; daraus ergäben sich neue Werbemassnahmen: «Zu diesem Käse passt vorzüglich der Wein ...

Die Kunden sind von den RFID-Visionen nicht nur begeistert; neue Überwachungsstrategien sorgen für Verunsicherung. Benetton begann mit dem Verkauf von Kleidungsstücken, bei denen RFID-Chips eingewebt waren. Nach öffentlichen Protesten distanzierte sich die Firma von dieser Technik. Auch The Gillette Company interessierte sich für RFID. Die Firma, die in die Verpackungen der teuren Ersatzklingen für den Nassrasierer «Mach 3» RFID-Tags einschweissen lässt, experimentierte mit einem Regalsystem, das Kunden fotografiert, sobald sie nach diesem Produkt greifen. So sollen Diebstähle verhindert werden. Vertrauensbildende Massnahmen

Die umfassendsten Versuche mit RFID leistete sich die deutsche Metro-Gruppe, die im Herbst 2003 zusammen mit SAP, Intel und IBM im westfälischen Rheinberg den Metro Future Store eröffnete. In dem hochmodernen Laden in einem bürgerlichen Umfeld ohne fremdländische Einflüsse sollen intelligente Regale und moderne Warenflusssysteme mit Selbstbuchungskassen getestet werden. Dafür gab Metro Kundenkarten aus, die RFID-Chips enthielten. Weil auf diesem Weg das Einkaufsverhalten mit soziographischen Kundendaten zu einem Kaufprofil der Kunden verdichtet werden kann, schlugen die Datenschützer Alarm. Vor einer Woche demonstrierten sie vor dem zukunftsweisenden Geschäft.

Metro gab bekannt, auf die RFID-Chips in den Kundenkarten verzichten zu wollen. Weitere Massnahmen sollen das Vertrauen der Kunden in die neue Technik zurückgewinnen. Ein Teil solcher Massnahmen besteht in der Aufklärung der Bürger, was es mit den geheimnisvollen Chips auf sich hat. Erst nach einem ersten Besuch der Datenschützer brachte man bei Metro Hinweise bei den wenigen Waren an, die mit RFID-Tags ausgerüstet waren (Frischkäse von Philadelphia, Pantone-Shampoo und die Rasierklingen von Gillette). Ausserdem wurde die Bedienung um ein RFID-Terminal verstärkt. An diesem Terminal können Kunden nach erfolgter Bezahlung der Ware die Sendefähigkeit der RFID-Chips abschalten und die Seriennummer der Ware löschen. So soll vermieden werden, dass andernorts andere Lesegeräte die Einkäufe ausspionieren können. Diese Möglichkeit ist freilich unvollkommen, da sie die gut versteckten RFID-Chips an den Waren nicht zerstört, sondern wirklich nur ausschaltet. Mit einem entsprechenden Gerät lassen sich die Chips wieder aktivieren. Wenn RFID den Strichcode tatsächlich ablösen soll, sind weitere vertrauensbildende Massnahmen notwendig.

Frischkäse bitte bei Kasse 3 melden

Neue Zürcher Zeitung , 05. März 2004
Original: http://www.nzz.ch/2004/03/05/em/page-article9G4V4.html

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