Im Einkaufskorb und im Schuh könnten bald RFID-Chips stecken. Der Handel freut sich über die Möglichkeiten - nicht nur zum Sparen. Datenschützer aber fürchten um die Privatsphäre.
Willkommen im Future Store. Sie stehen im Supermarkt der Zukunft, der Einkaufswagen begrüßt Sie mit Ihrem Namen und zeigt Ihnen auf seinem Display, dass Sie das letzte Mal einen Liter Milch, sechs Eier und ein Vollkornbrot gekauft haben. Dann leitet Sie sein Navigationssystem durch den Laden. Der Weg führt unter anderem zum Müsli-Regal und zu den Windeln, da Sie beides schon seit Wochen nicht mehr gekauft haben. Sobald Sie die letzte Packung Rasierklingen aus dem Regal nehmen, erhält die Verkäuferin über ihren PDA eine Nachricht und holt neue Klingen aus dem Lager. Auch das Zahlen funktioniert voll automatisch. Sie meinen: Hirngespinst? Oder das alles liege fern in der Zukunft? Keineswegs. Schon heute - sofort - können Sie einen Rundgang durch den Future Store unter nehmen: Legen Sie unsere Heft-CD ein, und starten Sie den Film „Real-virtueller Rundgang" (www.future-store.org). Die Metro Group wirbt damit für die RFID-Technik (Radio Frequency Identification), die dem Handel langfristig Einsparungen in Milliardenhöhe bescheren soll: Kleine Chips, die in die Etiketten der Waren eingearbeitet sind (Smart Labels), geben dabei per Funk eine Kennung an RFID-Lesegeräte weiter. Daraus lassen sich dann über das Warenwirtschaftssystem des Händlers oder entsprechende Datenbanken Produktinfos ermitteln - etwa der Preis, das Verfallsdatum und der Lieferant. Die Kommunikation erfolgt unbemerkt. Die realen Filmsequenzen stammen aus dem Extra Future Store in Rheinberg, der RFID bereits einsetzt. Vorerst sind hier nur bestimmte Produkte mit RFID-Etiketten versehen, und vieles läuft noch über den seit langem verwendeten Barcode. Doch in einigen Jahren will Metro den Strichcode komplett ausradieren und stattdessen flächendeckend mit RFID arbeiten. Die RFID-Technik kommt also. Die Möglichkeiten, die sie eröffnet, rufen Kritiker auf den Plan, die deren Missbrauch fürchten und meinen, der Einkaufskomfort sei mit dem Verlust der Privatsphäre zu teuer erkauft.
Albtraum für Datenschützer: RFID ermöglicht Kundenüberwachung
Für das Future-Store-Projekt erhielt Metro den Big-Brother-Award für Missachtung des Datenschutzes (www.bigbrotherawards.de). Die Jury meint nämlich, dass Händler ihre Kunden mit RFID während des Einkaufs ausspionieren können. Außerdem ließen sich RFID-Chips, so die Befürchtung, auch nach dem Verlassen des Ladens auslesen. Tatsächlich gibt der passive Chip seine Infos zwar nur preis, wenn ein Lesegerät in Reichweite ist, dann aber um so bereitwilliger - und zwar ein Chipleben lang. Laut Chiphersteller Infineon liegt die Lebenserwartung eines passiven RFID-Chips bei etwa zehn Jahren. Vor allem hiervor haben Verbraucherschützer Angst: Gesetzt den Fall, in Ihr Unterhemd ist ein RFID-Chip eingearbeitet. Dann könnte im Prinzip zehn Jahre lang jeder X-Beliebige, der Ihnen an der nächsten Straßenecke mit einem entsprechenden Lesegerät auf die Pelle rückt, auskundschaften, welche Größe Sie tragen und wie alt Ihre Unterwäsche ist – vorausgesetzt, er hat Zugriff auf die Datenbank, in der Details zu der RFID-Kennung Ihres Unterhemds gespeichert sind. Noch mehr stört die Aktivisten, dass die Kennung jedes Chips, auch RFID-Tag genannt, weltweit eindeutig ist. Wenn Sie Ihr Unterhemd per Kredit- oder Kundenkarte bezahlt haben, ließe es sich also theoretisch Ihnen zuordnen und darüber Ihr weiterer Weg verfolgen. Dies brachte den Tags den Spitznamen „Spionage-Chips“ ein. Wie sehr sich RFID zum Beschatten und Bespitzeln eigne, darüber entscheidet vor allem die Reichweite. Die im Future Store eingesetzten Tags lassen sich bis auf etwa einen Meter Entfernung auslesen. Gerüchten zufolge ist hierzulande aber auch schon der Einsatz von Chips mit einer Reichweite von über zehn Metern geplant – in den USA lassen sich RFID-Tags schon jetzt auf bis zu sechs Meter auslesen. Die Bundesregierung weist außerdem unter http://dip.bundestag.de/btd/15/031/1503190.pdf darauf hin, dass sich die Kommunikation zwischen RFID-Chip und –Lesegerät theoretisch sogar im Abstand von bis zu 100 Meter abhören lässt. Handlungsbedarf sieht die Regierung derzeit trotzdem nicht. Begründung: „Erkenntnisse, dass diese theoretisch denkbaren Übertragungsreichweiten praktisch zum Einsatz kommen, liegen der Bundesregierung nicht vor“. Auch der Missbrauch ist hier kein Thema – wohl aber bei den Verbraucherschützern. Unter www.stoprfid.de etwa entwirft die kritische Organisation FoeBuD entsprechende Szenarien.
Der Handel erwartet viel von RFID
Den Horrorvisionen der Verbraucherschützer stehen die Vorteile gegenüber, die sich der Handel von RFID-Technik verspricht: Sie soll die Lagerhaltung optimieren, Ladendiebstahl unterbinden und Arbeitskraft einsparen. Die Metro Group schätzt, dass sich die Investitionen schon nach wenigen Jahren auszahlen. Anders als beim Tante-Emma-Laden von nebenan aus, der keinen Mengenrabatt auf RFID-Geräte bekommt und geringes Einsparpotenzial hat. Er wird wohl auch weiter ohne RFID auskommen. Nicht nur der Handel rechnet sich Chancen durch RFID aus. Die Bundesregierung etwa denkt über lohnende Einsatzmöglichkeiten nach. Sie schließt beispielsweise nicht aus, dass die nächste Generation deutscher Ausweise mit RFID-Technik ausgerüstet sein wird. Auch die Fifa will die Chips in ihre Tickets für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 integrieren – zur elektronischen Einlasskontrolle. Und der Baja Beach Club, ein Nachtclub in Barcelona, hat RFID als Partyknüller entdeckt: Wer sich hier einen RFID-Chip unter die Haut spritzen lässt, gehört zu den Insidern und kann Drinks über sein Kundenkonto bargeld- und kartenlos bezahlen
Aufgepasst: Hier treffen Sie schon heute auf RFID-Chips
Doch RFID ist nicht nur Zukunftsmusik. Schon jetzt gibt es RFID-Chips in Ihrer unmittelbaren Umgebung. Zum Einsatz kommen sie beispielsweise auf Mülltonnen, bei Wegfahrsperren von Autos, in Zutrittskontrollsystemen und der Viehhaltung. Allerdings unterscheiden sich diese Chips in der Regel noch gravierend von denen, die künftig flächendeckend verwendet werden sollen – vor allem in ihrer Reichweite und Größe. Heutige Chips lassen sich meist nur auf eine Entfernung von wenigen Zentimetern auslesen. Sie müssen sie also bewusst am Scanner vorbeiführen, um sie auszulesen. Außerdem sind die RFID-Etiketten oft so groß, dass jeder sie mit bloßem Auge erkennen und leicht entfernen kann. Die Firma HTS Deutschland (Geschäftsbereich Boco), die Arbeitskleidung an Handwerksunternehmen verleiht, versieht ihre Textilien beispielsweise seit elf Jahren mit RFID-Chips. Diese übermitteln eine Kennung, anhand derer das Unternehmen über eine interne Datenbank schnell feststellen kann, bei welcher Temperatur etwa die Schreinerhose zu waschen ist und an welches Zulieferfahrzeug sie weitergeleitet werden muss. Die Chips haben eine reale Reichweite von nur 12 bis 14 Zentimetern und einen Durchmesser von 11 bis 22 Millimetern - so nutzen sie bisher tatsächlich nur der Firma HTS Deutschland. Wenn dagegen bei der nächsten Chipgeneration die Reichweiten deutlich größer und die Tags untrennbar in den Textilien verarbeitet sind, wird sich womöglich auch der eine oder andere Chef für die Technik interessieren - so die Befürchtung der Datenschützer. Immerhin könne er damit unbemerkt überprüfen, wie lange seine Leute tatsächlich arbeiten.
Nachbesserungsbedarf: RFID ist noch nicht perfekt
Der Handel will die RFID-Technik - lieber heute noch als morgen. In der Logistikkette und zur Sicherung wertvoller Gegenstände wie Autos und Pelzmäntel soll sie sich schon jetzt peu ä peu verbreiten. Trotzdem wird es noch einige Zeit dauern, bis die Chips auf allen Waren zu finden sind. Speicherbereiche - die weltweit eindeutige ID bleibt der Grund dafür: Derzeit kommt ein Standard-RFID-Chip auf etwa 30 bis 50 Cent - zu teuer für einen Joghurtbecher. In drei bis vier Jahren sollen bereits 5Cent-Tags erhältlich sein. Sobald schließlich der Chip-Preis auf unter 1 Cent sinkt, können vor allem große Handelsketten wie Metro und Wal Mart den Stein ins Rollen bringen und alle Produkte mit RFID aus zeichnen - von der Zeitung bis zum Kaugummi. Bis dahin bleibt allerdings einiges zu tun, denn noch stehen dem flächendeckenden Einsatz von RFID technische Hindernisse im Weg: Ungeklärt ist derzeit beispielsweise, wie sich metallische Produkte und Getränke mit RFID auszeichnen lassen - beide Materialien stören die Funkübertragung bisher empfindlich. Unausgereift sind auch die Geräte, mit denen sich RFID-Chips nach dem Einkauf „unschädlich" machen lassen. Der De-Aktivator des Future Stores kann bisher nur den frei beschreibbaren Speicherbereich löschen, die eindeutige ID des Chips bleibt. Außerdem arbeitet das Gerät nicht selbständig, der Kunde muss jeden Tag einzeln deaktivieren - man stelle sich vor, wie lange er hier bei einem Einkaufswagen voller Produkte mit RFID-Chips beschäftigt ist. Keine Lösung also, die zur Akzeptanz der RFID-Technik bei Datenschützern und Verbrauchern beitragen könnte. Und ohne die wird die Einführung der RFID-Technik scheitern. Das weiß auch der Handel. Ein Werbefilm wie der Rundgang durch den Future Store wird unter diesen Umständen Kunden sicher nicht überzeugen.
Knifflig: Zuverlässiger Schutz gegen RFID-Spionage
Sie fürchten um Ihre Privatsphäre? Oder Sie möchten aus Prinzip keine mitteilsamen RFID-Sender mit sich herumschleppen, von deren Existenz Sie nichts wissen? Dann sollten Sie beim Einkauf zukünftig aufpassen: Schauen Sie sich die Verpackungen und Etiketten genau an - oft ist das Tag mit bloßem Auge erkennbar. Einzelne Hersteller kennzeichnen auch die mit RFIDs versehenen Waren - freiwillig, da die Kennzeichnungspflicht (noch) nicht gesetzlich verankert ist. Wer wirklich sicher sein möchte, dass er keinen RFID-Chip bei sich trägt, braucht allerdings Hardware, etwa den Dataprivatizer von FoeBuD. Er soll RFID-Chips und -Lesegeräte auf eine Entfernung von bis zu zehn Metern orten (www.stoprfid.de) und den freigegebenen Speicherbereich überschreiben. Zum Recherchezeitpunkt war das Gerät jedoch noch nicht verfügbar (50 bis 100 Euro). Die Firma RSA (www.rsasecurity.com) hat außerdem einen Störsender entwickelt, der sich permanent beim Lesegerät meldet und es so irritiert, dass es die übrigen RFID-Tags nicht auslesen kann. Die Funktionsfähigkeit dieses RFID-Blockers ist jedoch umstritten. Wenn Sie einen RFID-Chip kurz entschlossen selbst unschädlich machen möchten, haben Sie allerdings schlechte Karten: Die Sender sind ausgesprochen robust und überleben sogar mehrere Schleudergänge in Ihrer Waschmaschine.
Aufschlussreicher Funkverkehr: So funktioniert RFID
RFID-Tags bestehen aus Speicherchip und Antenne, über die sie per Funk mit Lesegeräten kommunizieren. Es gibt aktive RFIDChips, die über eine eigene Energiequelle verfügen und ihre Nachrichten selbständig aussenden können. Allerdings sind die meisten der heute eingesetzten RFID Tags (auch Transponder, Smart Labels oder SmartTags genannt) passiv. Sie besitzen also keine eigene Stromversorgung und schicken erst dann ihre Daten, wenn ein RFID-Lesegerät in unmittelbare Nähe kommt. Sobald sie aber eine Anfrage eines RFID-Lesegeräts erhalten, beziehen sie aus dem elektromagnetischen Feld Energie, erwachen aus ihrem Dornröschenschlaf und geben gleich alle gespeicherten Daten bekannt. Stets übermitteln sie eine weltweit eindeutige Nummer, die ID (Identity). Je nach Ausführung bieten die Chips zusätzlichen Platz, der frei beschreibbar ist. In der Lebensmittelbranche speichern die Hersteller der Waren hier meist eine weitere Nummer, den Electronic Product Code (EPC). Er gibt Aufschluss über Produktdetails wie Preis, Herkunft des Artikels sowie Verfalls- und Verpackungsdatum. Um diese Infos aus dem EPC ableiten zu können, greift das Gerät auf Datenbanken des EPCNetzwerks beziehungsweise des internen Warenwirtschaftssystems zu.
Annette Kniffler
PC Welt
Original: Nicht bekannt