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Die unsichtbare Kontrolle der Verbraucher

Menschenwürde, Recht und Demokratie: Sind sie im Zeitalter der digitalen Medien und der Macht der Konzerne noch zu retten?

Der Ossi ist inzwischen ein gläserner Mensch, alles ist über ihn erforscht«, sagt Dietrich Mühlberg mit dem ihm eigenen Humor. Der Berliner Kulturwissenschaftler ist auf Veranstaltungen ein gefragter Mann. Denn er kann witzig, locker und vor allem durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt über die Unterschiede in Ost und West berichten: Zum Beispiel darüber, dass das Statusdenken im Osten überhaupt keine Rolle spielt. Die Autobranche hat das verwirrt. Im Osten fährt den roten BMW nicht wie im Westen der Zahnarzt, sondern als Gebrauchtwagen eben auch die ABM-Kraft. Diese und viele andere Erkenntnisse verdanken wir nicht etwa Soziologen, sondern der Wirtschaft. Die hatte nicht nur das Geld. sondern vor allem auch das Interesse an solchen Untersuchungen. Schließlich war ihr 1990 ein riesiger Absatzmarkt in den Schoß gefallen. Interessant war da nicht die politische Gesinnung, sondern das Kaufverhalten der neuen Bundesbürger.

Was damals Gewinn bringend war, könnte sehr bald schon ein ernsthaftes Problem für Demokratie und Rechtsstaat werden: die zunehmende Registrierung des Kaufverhaltens durch die Wirtschaft. Von 22 Millionen Plastikkarten, die im Umlauf sind, ganz zu schweigen. Im Zeitalter von Internet und Digitalisierung verdichten sich »sorglose freigiebigkeit« der Verbraucher mit dem Datensammeleifer von Wirtschaft und Staat »zu einem gefährlichen Mix«, warnt die Chefin des Verbraucherzentralen- Bundesverbandes Edda Müller. Und dafür ist es fünf vor zwölf. Denn all das wird in Zukunft in rasender Geschwindigkeit ausgebaut. Wenn nicht Daten- und Verbraucherschützer wie auch Politik und Zivilgesellschaft gegenhalten. Verbraucherschützer schlugen jüngst vor Journalisten in Berlin Alarm.

Als habe es noch eines Anstoßes dazu bedurft, bot sich dieser jüngst. Metro-Konzernchef Hans- Joachim Körber hatte am 19. Januar in New York angekündigt, dass Deutschlands größter Handelskonzern demnächst die gesamte Lieferkette bis zu den einzelnen Märkten mit Hilfe von »RFID- Chips« überwachen wird. Das Kürzel »RFID« steht für »Radio Frequenz Identification« - eine Technologie, die per Funk eine berührungslose Übertragung von Produktinformationen ermöglicht. Es geht also um Chips, winzige, per Funk lesbare elektronische Etiketten, die sich in der Ware befinden. Sie können - das ist nur ein Beispiel - im Pullover eingenäht sein und haben dann die Größe eines Fadens. Das Problem: Für den Verbraucher sind sie meist unsichtbar. Und das soll es auch, denn es geht um Offenbarung der Käufergewohnheiten. Wer allerdings meint, diese unsichtbare Überwachung - Verhraucherschützer warnen vor dem gläsernen Kunden - gebe es erst seit kurzem, irrt. Der Textilkonzern Benetton hatte bereits im vergangenen Frühjahr angekündigt, RFID-Etiketten in seine Hemden zu nähen. Nach Protest von Verbraucherschützern stellten die Italiener ihr Vorhaben ein. In den USA warnen Aktivisten davor, Verbraucher könnten mit Chips per Satellit überwacht werden. Fest steht, dass die USA die Chips in den Pässen installieren wollen. Der Rasierklingenhersteller Gillette soll sie millionenfach im Umlauf haben. Gegenstrategien entwickelt nicht erst seit heute die von der globalisierungskritischen Bewegung Attac ausgehende Stiftung Brigde (Seite 10).

Gefährdet aber diese Form der Überwachung die Demokratie und vor allem das im Grundgesetz verbürgte Persönlichkeitsrecht eines jeden einzelnen Menschen? Das Problem ist mit der Hand zu greifen. Es liegt nicht in der simplen Feststellung, dass der Single Fertigpizza kauft. Das Problem der Kundenkarten und intelligenten Chips liegt in der Vernetzung der verstreuten Daten und der Unkontrollierbarkeit dieser Datenströme. Und das zweite und nicht weniger gravierende Problem ist die fehlende Offenlegung. Wer hat das Recht, Lebensgewohnheiten und eben auch Kaufgewohnheiten zu kontrollieren, ohne dass es der Betroffene weiß? Bei einer Überprüfung der Webseiten von 30 Unternehmen durch die Bundesverbraucherzentrale sind allein 16 wegen Datenschutzverstößen abgemahnt worden. Darunter Mediamarkt, Duo, Quelle, Tui und Yahoo.

Und schließlich geht es um das Menschenbild, das sich verfestigt, wenn nicht von der intelligenten Zivilgesellschaft Einhalt geboten wird. Der Mensch wird zur Ware degradiert. Zum Informanten darüber, wie immer größere Absatzmöglichkeiten zu erreichen sind. Der Rechtsexperte und Theologe Wolfgang Ullmann bezeichnet das als einen »Kulturverfall«. Und er wundert sich, dass Orwells Überwachungsstaat vor Jahren als Horror galt und heute längst nicht mehr.

Leider, sagt der langjährige bündnisgrüne EU-Politiker, sei es ihm Anfang der 90er Jahre nicht gelungen, den Schutz persönlicher Daten in der deutschen Verfassung zu installieren. Er war bis 1993 Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundes und der Länder. Der DDR- Bürgerrechtler hatte diesen Vorschlag vor dem Hintergrund seiner DDR-Geschichte sehr bewusst eingebracht. Doch davon wollte die Mehrheit nichts wissen. Ullmann trat aus der Kommission aus, weil das Demokratieverständnis der friedlichen Revolution so wenig Beachtung fand. »Immerhin, in der EU-Verfassung ist der persönliche Datenschutz drin«, freut er sich. Doch die ist bekanntlich noch nicht in Kraft. »Das deutsche Parlament ist darum gefragt«, sagt UIlmann. Es müsse die Regierung zur Ordnung rufen, »zuallererst Verbraucherministerin Renate Künast«.

Und das wäre in der Tat ein Weg: Die Vergabe eines Datenschutz-Gütesiegels für Produkte und Waren. Als einziges Bundesland hat bisher Schleswig-Holstein ein solches Gütesiegel. Unternehmen, die korrekt mit Kundendaten umgehen, könnte so ein Wettbewerbsvorteil geboten werden.

Verbraucherschützer fordern zudem zu einem vorsichtigeren Umgang mit persönlichen Daten auf. Kein Mensch wird gezwungen, bei Benetton, Gillette oder im Metro-Markt einzukaufen. Ebenso wenig wie mit einer Kreditkarte zu bezahlen. Das Thema Datenschutz dümpelt seit Jahren »im politischen Niemandsland«, kritisieren Verbraucherschützer. Es ist fünf vor zwölf, soll nicht auch im hochsensiblen Datenschutz die Wirtschaft das Sagen über unsere Demokratie und unser Leben haben.

Bettina Roeder

Publik-Forum, Oberursel, 01. Februar 2004
Original: http://www.publik-forum.de/ausgabenarchiv/?id=2206

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