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Der Herr der Etiketten

Der Siegeszug der Schnüffel-Chips

Bürgerrechtler warnen vor winzigen Computerchips, die Verbraucher überall kontrollieren können. Dass sie kommen, steht außer Frage: Schon bald sollen sie Barcodes in Supermärkten ablösen. Der Beginn wirklich flächendeckender Überwachung durch die Hintertür?

Die britischen Supermärkte von Tesco haben sie, Real will sie, der Praktiker auch, Kaufhof und Gerry Weber testen sie schon. Smartlabels sind Computerchips in der Größe eines Stecknadelkopfes mit einer Antenne, die unter einem Joghurtbecher kleben oder in ein Etikett eingenäht sind.

"Radio Frequency Identification" (RFID) ist die korrekte Bezeichnung der Chips, die auch Funketiketten, Smartlabels, oder kurz Tags genannt werden. Sie senden ihre Codenummer in die Welt hinaus - ihre Signale sind je nach Chip aus bis zu 30 Metern noch messbar. Im Supermarkt aufgestellte Empfänger registrieren nicht nur, ob die Regale noch gut gefüllt sind, sie können auch im Handumdrehen Kundenprofile erstellen: Wer nimmt wann welche Waren aus dem Regal? Und was wird wieder zurückgelegt?

Künftig könnten die RFID-Chips sogar die Kassiererer arbeitslos machen. An der vollautomatischen Kasse wird einfach alles bezahlt, was aus dem Einkauswagen (und aus der Jackentasche) funkt. Beim Handelsriesen Metro ist der Supermarkt der Zukunft seit Realität. "Wir arbeiten derzeit mit Funktechnologie im 'Future Store' Rheinberg und in Kaufhoffilialen Münster und Wesel. Es sind Rasierklingen, CDs, Lebensmittel und Kosmetik mit der entsprechenden Technik ausgestattet", erklärt Metro-Sprecher Hergen Meyer. "Hier ist der Barcode und die Seriennummer gespeichert. Lesegeräte in den Regalen und Kassen erkennen so den Bestand der Waren."

Experiment wird Standard

Der Einsatz der RFID ist von Metro-Gruppe als Modellprojekt angekündigt worden, aber ein Ende der Testphase nicht in Sicht. Es ist eher zu erwarten, dass weitere Produkte und Filialen folgen werden. Die Chips sind so klein, dass sie sich bequem in den Waren verstecken lassen und der Käufer sie nicht erkennen kann.

"Die Transpondertechnik gibt es schon sehr lange, sie wird zum Beispiel bei der Identifizierung von Tieren oder der Lagerung von Containern eingesetzt. Erst die Möglichkeit, besonders kleine Smartlabels herzustellen, hat jetzt für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt", sagt Wolfgang Lammers, wissenschaftlicher Angestellter beim Fraunhoferinstitut für Materialfluss und Logistik in Dortmund.

Lammers weiter: "Wir haben es im Einzelhandel mit passiven Transpondern zu tun, das heißt, sie geben selbstständig keine Signale ab. Erst wenn ein Lesegerät ein Signal abschickt, bekommt es eine Antwort von dem Transponder". Die Reichweite der eingesetzten Technologie ist auf etwa einen Meter begrenzt und die physikalische Grenze der Verkleinerung wird zurzeit noch durch die Antenne gesetzt.

Der Handel hat Datenhunger

In Zukunft bekommen auch Kunden-, Kredit- und Paybackkarten den Chip, was zu völlig neuen Möglichkeiten der Datensammlung führt. "RFID ermöglicht die Verbindung aller Produktinformationen mit einer spezifischen Konsumentenidentität, das heißt mit demografischen und psychologischen Größen", hofft John Stermer, Vizepräsident bei der eBusiness Marktentwicklung bei ACNielsen. Statt reine Kaufinformationen zu sammeln, wollen Marktforscher dem Kunden künftig tief in die Seele blicken.

Kritiker befürchten nicht nur Probleme für den Datenschutz und die Privatsphäre. Es ist vorstellbar, dass verschiedenen Kundengruppen auch unterschiedliche Angebote gemacht werden. "In der Kombination mit Kundenkarten bekommen die Unternehmen die Möglichkeit zur individuellen Preisgestaltung. Jeder Kunde bekommt dann einen anderen Preis angezeigt. In diesem Szenario sind auch die Preisschilder elektronisch gesteuert", sagt Regina Tangens vom FeoBuD e. V. aus Bielefeld. "Die Wahl besteht für den Kunden gar nicht mehr, denn ohne Kundenkarte muss er einen höheren Preis für ein Produkt zahlen".

Missbrauchspotenzial

Schon heute haben in Deutschland 24,5 Millionen Menschen eine Kundenkarte von Payback. Damit ist bereits ein Großteil der Bevölkerung mit Kundenkarten des Marktführers versorgt, und die Rabattkarten anderer Anbieter sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt. "Im Gegensatz zum Barcode hat der RFID-Chip eine eindeutige Nummer, die sich mit einer Datenbank verknüpfen lässt", erklärt der Netzaktivist padeluun. "Dass dies möglich ist und von den Unternehmen auch gewünscht wird, zeigt der 'future store' der Metro-Gruppe in Rheinberg. Eine Personalisierung der Kunden wird dort angestrebt und die Unternehmen nutzen es natürlich zum eigenen Vorteil".

Nach Angabe des Onlinemagazins CNet will das amerikanische Unternehmen Wal-Mart in den nächsten Jahren drei Milliarden Dollar in die Einführung der Funktechnologie investieren. So sollen die wichtigsten Lieferanten bis zum 1. Januar 2005 ihre Produkte mit entsprechenden Chips versehen.

Die Funktechnologie wird aber auch in anderen Bereichen Einzug halten. Der Einsatz der vielseitigen RFID-Chips für elektronische Fahrkarten und Ausweise ist schon geplant. Eine private Schule im amerikanischen Buffalo nutzt die Technologie seit kurzem, um die Wege von Schülern und Lehrpersonal zu überwachen. Die Europäische Zentralbank will sogar 200-Euro-Scheine mit den Funkchips ausstatten, um Fälschungen zu erschweren.

Die Bürgerrechtler vom FoeBud in Bielefeld sind derzeit mit der Entwicklung des DataPrivatizer beschäftigt. Mit dem kleinen Gerät sollen Kunden schon Anfang nächsten Jahres die versteckten Funkchips aufspüren können. "Wir sind nicht prinzipiell gegen eine neue Technologie", sagt padeluun. "Der Kunde darf aber zu nichts gezwungen werden, der Einsatz muss transparent sein und ein Missbrauch verhindert werden".

Michael Voregger

Spiegel Online, Hamburg, 25. Dezember 2003
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,278959,00.html

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