Im "Internet of Things" wird RFID zum Maß aller Dinge bei der Vernetzung von Alltagsgegenständen. Genauso klein oder groß wie die Funkchips ist künftig auch ein Logo, das vor ihnen warnt. Denn die neue Technik stößt nicht nur auf Begeisterung.
Als bei Arnold Schwarzenegger, Gouverneur von Kalifornien, Anfang Oktober zwei Gesetzesvorlagen auf dem Schreibtisch landeten, zögerte er nicht lange und unterschrieb. Im "Golden State" wird künftig unbefugtes Auslesen von RFID-tauglichen Ausweisen unter Strafe gestellt. Außerdem brauchen Schulen bei der Einführung von funkenden Schülerausweisen nicht erst lange die Eltern um Erlaubnis zu bitten. Typisch Gouvernator: Schwarzenegger, der in seinen Hollywood-Streifen häufig künstliche Maschinenmenschen spielte, hat sein Herz für Hochtechnologie entdeckt.
RFID-Chip: Dieses Modell von Reiskorn-Größe wird unter die Haut geschossen - und ermöglicht so eine automatisierte Fern-Erkennung und Datenübertragung auf bis zu zwei Meter Abstand
Freie Fahrt für RFID also. Die "Radio Frequency Identification" wird gegenwärtig zur Schlüsseltechnologie aufgebaut. Im Handel, in Medizin, Unterhaltungselektronik und Automobilindustrie geht bald nichts mehr ohne Identifikation per Radiowellen. Am Wochenanfang widmete das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin gleich einen ganzen Kongress dem "Internet der Dinge", zu dessen grundlegenden Bausteinen RFID zählt.
"Internet der Dinge"? Damit ist die elektronische Vernetzung von Gegenständen des Alltags gemeint. Bäume, Hifi-Anlagen, Hunde, Autos, Menschen – alles lässt sich mit Hilfe von RFID untereinander vernetzen. Natürlich auch Schultornister, die in Japan bereits einen Funkchip aufweisen, womit die Anwesenheit der Schüler leicht kontrolliert werden kann.
Gewöhnlich wird RFID in einem Atemzug mit der Warenlogistik genannt. Mit den kleinen Funkchips kann lückenlos aufgezeigt werden, woher Güter stammen, welchen Lieferweg sie zurückgelegt haben und wie lange es brauchte, bis sie bei uns im Einkaufsregal liegen. Besonders kleine Chips, sogenannter "smart dust" (intelligenter Staub), können beispielsweise in Bananen injiziert werden, die dann ihre Lagerbedingungen und die Temperatur, der sie ausgesetzt waren, verraten. Die Chips sollen biokompatibel sein und verspeist werden können.
Bekannt sind auch Pilotprojekte im Personennahverkehr einiger Großstädte. In Berlin erhalten Abonnenten eine Monatsmarke mit RFID-Chip, die sie am U-Bahn-Eingang bloß an ein Lesegerät halten müssen, woraufhin der Funkchip für die jeweilige Fahrt aktiviert wird. In London sind solche Funkausweise schon die Regel. Auf alpinen Skipässen wird der Lift abgerechnet, in Österreich die Lkw-Maut kassiert. Gebrauchtwagen melden den Einbau von Fremdteilen und erinnern an den Inspektionstermin. Und das vernetzte Heim schickt die Popmusik von Zimmer zu Zimmer – je nachdem, wo der Hausherr sich aufhält. Alles per RFID.
Die Visionen für das "Internet der Dinge" gehen noch weiter, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Noch beschränkt sich die Technologie darauf, Informationen abzurufen. Doch bald schon sollen die Objekte selbsttätig miteinander kommunizieren und interagieren. Dann können Autos Aquaplaning oder Ölpfützen, auf denen sie ausrutschen, an alle in der Nähe fahrenden Wagen melden. Deren Fahrer haben nun die Möglichkeit, der Gefahrenquelle auszuweichen.
Die Möglichkeiten scheinen unerschöpflich. Pariser Bäume funken den Gärtnern ihren Gesundheitszustand zu. Medikamentenblister erinnern an die Einnahme eines Herzmittels und bestellen automatisch Pillen nach, wenn diese langsam ausgehen. Südkoreanische Patienten tragen RFID-Chips, die nicht nur deren Gesundheitszustand selbsttätig in die digitale Patientenakte eintragen, sondern auch registrieren, wenn das Bett verlassen wurde. In amerikanischen Krankenhäusern und Gefängnissen wurden bereits vor Jahren reiskorngroße Chips der Firma "VeriMed" Patienten in die Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger implantiert. Zur besseren Kontrolle und Identifikation.
Die Kehrseite von RFID: Weil die Chips so klein sind und in vielen Fällen unsichtbar, weiß niemand, ob er die Technologie mit sich herumträgt. Was für Bibliotheken im Leihverkehr oder für Konzertveranstalter großen praktischen Nutzen hat, ist möglicherweise für den Konsumenten von Nachteil. Dann nämlich, wenn die Chips von Dritten ausgelesen werden und beispielsweise Arbeitgeber von den Gewerkschaftsaktivitäten ihrer Mitarbeiter erfahren.
Der Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) hat hierzulande vielfach auf die Manipulationsmöglichkeiten der Chips und auf mangelnden Datenschutz aufmerksam gemacht. So können die 16-stellige Identifikationsnummer modifiziert, der Kopierschutz geknackt und die Deaktivierung der Chips beim Verlassen von Kaufhäusern umgangen werden. Der Konsument wird gläsern, und die Konzerne finden das gut. Der FoeBuD fordert deshalb maximale Transparenz im Umgang mit RFID und eine Hinweispflicht: "RFID inside".
Auch die EU hat sich für eine offizielle Kennzeichnungspflicht für Produkte mit dem Funkchip ausgesprochen. Selbst jene Wirtschaftsbranchen, die sich große Effizienz von der Funktechnologie versprechen, sind inzwischen sensibel geworden. Im Oktober ist in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium ein Logo-Designwettbewerb unter dem Motto "RFID zeigt Gesicht" gestartet. Aufgabe war es, eine eindeutige und einheitliche Kennzeichnung von RFID-Technologien "auf Produktebene, in öffentlichen Räumen, in Gebäuden und in einzelnen Nutzungsbereichen" visuell umzusetzen. Auch die Brailleschrift für Sehbehinderte gehörte zu den Anforderungen. Gewonnen hat ein Absolvent der Hochschule für Künste Bremen.
Helmut Merschmann
Spiegel Online, Hamburg, 23. November 2008
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,591949,00.html