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Hightech im Supermarkt

Kleine Spitzel im Einkaufskorb

Eine neue Studie bewertet Chancen und Risiken winziger Funketiketten im Alltag. Droht die totale Überwachung?

In dieser Diskussion wird mit harten Bandagen gekämpft: „RFID-Technik ist für die Menschheit so bedrohlich wie Atomwaffen“, sagt die amerikanische Verbraucherschützerin Katherine Albrecht. Manche sehen in dem Kürzel RFID, das „Radio Frequency Identifikation“ bedeutet, ein Synonym für totale Überwachung.

„Big Brother lauert im Frischkäse“, kommentiert etwa der Bielefelder Bürgerrechtsverein Foebud die Bemühungen des Konzerns Metro, seine Produkte mit Hilfe von Funk-Etiketten besser verfolgen zu können.

Die Pläne von Händlern, immer mehr Waren mit Funkchips auszustatten, sodass man sie noch im Kühlschrank von Tante Trude orten kann, stoßen weltweit auf Entsetzen. Bald sollen auch Banknoten und Pässe RFID-Chips bekommen.

In dieser schon seit Monaten zunehmend aufgeheizten Stimmung hat am gestrigen Mittwoch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine umfangreiche Studie vorgelegt zum Thema „Risiken und Chancen des Einsatzes von RFID-Techniken“.

Auf 128 Seiten schildert das BSI im Ton nüchtern und verhalten die Trends und Entwicklungen der neuen Technologie. Schließlich ist die RFID-Technik schon seit den 60er-Jahren bekannt. Seit Jahrzehnten wird das System etwa in Wegfahrsperren von Autos oder in elektronischen Skipässen eingesetzt.

Und das Prinzip ist überaus einfach: An jedem Gegenstand, jeder Person, jedem Tier lässt sich theoretisch ein winziger Chip mit Antenne anbringen, ein so genanntes Tag. Darauf kann man eine eindeutige Identifikationsnummer und beliebig viele weitere Informationen speichern.

Die Daten lassen sich dann sekundenschnell und von Ferne per Funk auslesen – und in Datenbanken verarbeiten. Was für Überwachungsskeptiker eine Horrorvorstellung ist, lässt Befürworter in der Industrie schwärmen: Die Wunderchips würden den Handel revolutionieren, die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts lasse sich so von Anfang bis zum Ende verfolgen.

Geht ein Kind bei Legoland verloren

Das Argument leuchtet ein: Ist zum Beispiel einmal etwas kaputt, wissen Garantiegeber sofort Bescheid: Reparatur, Rückrufaktionen, Mehrwegsystemkontrolle – alles kein Thema mehr. Ebenso lassen sich Sicherheitszonen überwachen. Und es ist egal, ob das Kind bei Legoland in Dänemark verloren geht oder der Hund im vorweihnachtlichen Einkaufstrubel: Ist der Chip umgeschnallt, lassen sich beide schnell wiederfinden. Eine Horrorvorstellung?

„Echte oder vermeintliche Sicherheitsprobleme als zentrale Barriere der wirtschaftlichen Nutzung der RFID-Technologie müssen frühzeitig erkannt und so weit als möglich auch vermieden werden“, sagt Britta Oertel vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), das zusammen mit dem BSI und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in St. Gallen die Studie erarbeitet hat.

Inzwischen läuft bei den potenziellen, künftigen Nutzern der Technik bereits eine Reihe von Pilotprojekten. Verkehrsgesellschaften etwa wollten „die Fahrausweise ihrer Kunden mit Transpondern versehen, die einem zentralen Abrechnungssystem mitteilen, wann wer welche Verkehrsverbindung genutzt hat“, schreibt BSI-Präsident Udo Helmbrecht im Vorwort der Studie.

Ohne Zweifel lässt sich mit solchen Daten der öffentliche Nahverkehr besser planen – andererseits werden die Kunden durch die Daten zunehmend durchschaubar.

So hinterlassen RFID–Systeme sowohl zeitlich als auch örtlich sehr viele Datenspuren, die auch nachträglich rekonstruiert werden können. Damit sind prinzipiell Bewegungs- und Kontaktprofile jedes Menschen möglich, „selbst wenn die Daten ursprünglich in einer pseudonymisierten oder anonymisierten Form vorliegen“, schreiben die Autoren.

Ein Kernproblem des Systems liegt also in seinem großen Vorzug: RFID-Systeme bringen die virtuelle Welt der Daten mit der der realen Objekte zusammen. Denn jedes Objekt bekommt eine elektronische Seriennummer und lässt sich damit eindeutig identifizieren und lokalisieren. Theoretisch könnte man jedem Atom ein elektronisches Etikett zuweisen.

„Verarbeitete man früher mit der EDV Daten, so erfasst man jetzt – automatisch, online und in Realzeit – die physischen Phänomene selbst, was in einem viel größeren Umfang möglich ist und eine ganze neue Qualität von Resultaten ermöglicht“, sagen Friedemann Mattern und Kay Römer von der ETH Zürich.

Mahnung zur schnellen Anonymisierung

Die Studie mahnt deshalb zwei Dinge an: erstens Datensparsamkeit und zweitens schnelle Anonymisierung. „Auf der Grundlage von RFID-Systemen können Daten sehr viel leichter als bisher gesammelt werden“, schreiben die Autoren – und fordern mehr Transparenz. Es gelte, der zunehmenden Undurchschaubarkeit der technischen Systeme weltweit entgegen zu wirken.

Dies wird angesichts der Globalisierung zunehmend schwieriger. Inwieweit RFID-Anwendungen den bereits durch andere Systeme wie Kreditkarten oder Mobiltelefone erzeugten Datenspuren ein relevantes Bedrohungspotenzial hinzufügen, ist unter Fachleuten umstritten.

„Im Vergleich zur Benutzung von Mobiltelefonen erzeugt die Benutzung von RFID-Tags wesentlich präzisere Datenspuren, da nicht nur der geografische Aufenthaltsort, sondern die konkrete Interaktion mit vorhandenen Betrieben und Infrakstrukturen festgestellt werden kann.“ Diese Möglichkeiten wecken auch Begehrlichkeiten.

So arbeitet das Massachusetts Institute of Technology an einem RFID-System, bei dem beliebig viele Interessenten in Echtzeit auf die Daten zugreifen können.

Daten könnten abgehört werden

In punkto Datensicherheit gibt es zwei kritische Stellen: Der Zugriff auf Datenbanken, auf denen gesammelte Informationen gespeichert sind und die Luftschnittstelle zwischen Funkchip und Lesegerät. Hier lassen sich Daten möglicherweise abhören.

„Das Risiko wächst mit der maximalen Lesedistanz“, schreiben die Autoren der Studie. An der Luftschnittstelle könnten im Prinzip mit geeigneten Lesegeräten auch Unbefugte auf Daten zugreifen, ohne Spuren zu hinterlassen.

Und wer will schon, dass etwa auf dem Weg zum Flughafen jemand mit einem Lesegerät durch die Reihen läuft und Daten aus allen Pässen ausliest?

Solche Gefährdungslagen sind bekannt und Sicherheitsexperten arbeiten an Gegenmaßnahmen: Lässt sich ein Chip im Pass etwa nur dann aktivieren, wenn der Pass geöffnet auf einem Scanner liegt? Doch wie bei anderen Technologien auch werden sich einige Sicherheitslücken erst im Praxiseinsatz zeigen.

Technische Probleme

Viele RFID-Systeme kämpfen noch mit technischen Problemen. So klappt die Übertragung nicht immer. Metall und Wasser schirmen die Funkwellen ab, ein RFID–Chip auf einer Dose funktioniert nicht. Zudem nutzen gängige Systeme derzeit verschiedene Frequenzen im Kilo- und Megahertzbereich. Weltweit gültige Standards wie im Mobilfunk gibt es noch nicht. Bis dahin bleibt Zeit für eine gesellschaftliche Diskussion.

Hubert Filser

Süddeutsche Zeitung, München, 18. Dezember 2004
Original: http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/214/43171/

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