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Daten, die unter die Haut gehen

Aus der Logistik sind sie längst nicht mehr wegzudenken, nun will auch der Handel flächendeckend RFID-Chips einsetzen. Doch sind die elektronischen Helferlein in Wirklichkeit nicht Spionage-Chips? Diese Frage bewegt die Cebit, aber eine eindeutige Antwort gibt es nicht.

Der Gast im „Baja Beach Club“ in Barcelona hat gerade seinen Drink bekommen. Plötzlich ballt er seine Hand zu einer Faust und präsentiert der Bedienung den angespannten Oberarm. Eine Bedrohung für die zierliche Frau im Bikini, rastet da einer aus? Mitnichten, der muskulöse Mann ist VIP-Gast, er möchte lediglich bezahlen.

Wie das geht? Er hat sich einen RFID-Chip (Radio Frequency IDentification) in den Oberarm implantieren lassen. Das Personal hält kurz ein Lesegerät an den Körper und schon wird der Betrag von seinem Club-Konto abgebucht. Kein nerviges Bargeld mehr, keine EC-Karte, die verloren gehen könnte – endlich kann man auch einem Nackten in die Tasche greifen.

Das Werbeplakat auf der CeBIT ist eindeutig: ein Preisschild ist dort abgebildet, ein Strichcode und ein RFID-Chip. So sieht die Zukunft aus: Alles Nervige wird ausgeblendet. Was bleibt, ist das bargeld- und laserlose Glück.

Ähnlich läuft es mittlerweile in Büchereien, an Skiliften, in Supermärkten. Beim Confederations Cup 2005 waren zu Testzwecken RFID-Chips in einigen Eintrittskarten integriert, bei der WM sollen alle Tickets einen solchen Transponder-Chip enthalten.

Reisepässe mit Chip

Das Prinzip ist einfach: Kommt der Transponder, beispielsweise in einem Etikett, dem Lesegerät nahe, gerät er damit in ein elektromagnetisches Feld. Dadurch entsteht in der Antennenspule Strom durch Induktion – ähnlich wie bei einem Dynamo. Diese Energie ermöglicht es dem Chip zu „antworten“ mit den Daten, die auf ihm gespeichert sind.

Auch den deutschen Reisepässen, die seit vergangenen November ausgegeben werden, werden schon RFID-Chips eingepflanzt. Aus bis zu zehn Metern Entfernung sind die Daten abrufbar. Schon vor dem Grenzübergang erkennt der Beamte also, wer sich ihm nähert. Viele Menschen wissen aber nicht, dass das so ist.

Darin liegt auch das Problem der neuen Technik. Denn im Moment geraten die meisten Menschen mit den Daten-Chips in Berührung, ohne überhaupt eine Ahnung davon zu haben, dass es sie gibt. Das rief Datenschützer auf den Plan. 2004 war das, als herauskam, dass der Metro-Konzern Kundenkarten mit RFID-Chips verwendet. Das Kaufverhalten könne so überwacht werden, warnten die Datenschützer. Die Folge wären höhere Preise.

Außerdem könnten Datenspione das RFID-System knacken. Ein entsprechendes Gerät vorausgesetzt, kann jeder an persönliche Daten von wildfremden Menschen gelangen. Aber wie sich dagegen wehren, wenn man gar nicht weiß, dass man einen Chip bei sich trägt? Das Lesen funktioniert geräuschlos, ohne jegliche Anzeichen. Vor diesen Problemen warnen die Aktivisten.

Ein Knick genügt

Beim Confederations Cup im vergangenen Jahr gab es einen doppelten Rückschlag für die Chips. Zum einen fragten sich Fans: Warum muss ich persönliche Daten preisgeben, nur weil ich ein Fußballspiel besuchen will? Zum anderen erwies sich die Technik als äußerst instabil. Manche hattem das Ticket an eine Pinnwand geheftet und dabei den Chip durchstochen. Die Daten wurden durch den simplen Stich unlesbar, manchmal genügte sogar schon das Knicken der Karte.

Dennoch hält die IT-Branche an den umstrittenen Chips fest, jeder dritte IT-Manager plant angeblich Investitionen in diesem Bereich. Auf der CeBIT ist den RFID-Chips ein eigener Bereich gewidmet, komplett mit Ausstellungen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Alles ist gut, so der einhellige Tenor der Veranstalter.

Paradebeispiel dafür ist der „Future Store“ der Firma Metro, in dem Kunden die chiphaltigen Waren selbst abrechnen. Die gute alte Kassiererin, die Preise in die Kasse hämmert? Oder das monotone „Piep“, wenn die Dame den Strichcode vom Laser lesen lässt? Braucht niemand mehr, ist ja nun alles RF-Identified. Waren werden billiger, die Schlangen an Kassen verschwinden. Alles toll, oder was?

Bürger, wehrt euch!

Datenschützer sind da weit weniger optimistisch. „Es sind und bleiben Spionagechips“, heißt es auf einem Flugblatt, das vor den Hallen verteilt wird. Der Bürger solle sich gegen die Überwachung wehren, fordern sie. Mit Schutzhüllen zum Beispiel, die über WM-Tickets oder Ausweise gezogen werden können. Aber mehr als kleine Störfeuer sind solche Aktionen nicht.

Denn die großen Handelskonzerne arbeiten längst daran, RFID flächendeckend einzuführen. Zu groß sind die Vorteile, die sie sich davon versprechen So lange nur Waren, Eintrittspreise oder LKWs gescannt werden, ist für die meisten auch alles in Ordnung – anders ist der Erfolg der zahllosen Kundenkarten kaum zu erklären.

Auch den im Oberarm implantierten Chip mag man cool finden. In den Hintergrund gerät dabei aber die Frage, wie sicher denn wirklich all die Daten vor unbefugtem Zugriff geschützt sind.

Jürgen Schmieder

Süddeutsche Zeitung, München, 10. März 2006
Original: http://www.sueddeutsche.de/computer/artikel/761/71690/

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