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Schub für die Biometrie

Sicherheit ist ein großes Thema bei der Fußball-WM in Deutschland: Die Industrie erhofft sich Milliardengeschäfte, die Fans bekommen die rauere Gangart schon jetzt zu spüren

Im Sommer 2006 wird "die Welt zu Gast bei Freunden" sein, so das offizielle Motto der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Die Organisatoren bereiten sich aber auch darauf vor, dass manche Gäste womöglich gar nicht als Freunde kommen: "Das internationale Terrorgeschehen ist sicherlich die zentrale Herausforderung", so Horst R. Schmidt, Vizepräsident im WM-Organisationskomitee (OK) und dort zuständig für die Sicherheit. "Anschläge sind nicht mehr nur ein symbolischer Akt, al-Qaida bombt jetzt auch mit Bezug auf ein konkretes Ereignis. Dafür könnten auch solche Ziele wie die WM 2006 in Frage kommen", meint Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Anschläge auf Stadien seien dabei weniger wahrscheinlich, mögliche Ziele sind eher Hotels und Trainingsquartiere bestimmter Nationalmannschaften: "Letztendlich hängt die Gefahr davon ab, welche Nationen sich für die WM qualifizieren."

Fest steht bereits, wer wen schützen soll. Stadien, Hotels und Mannschaftsquartiere sind Sache des Ausrichters. Die Fifa will hier wie schon bei den letzten Weltmeisterschaften private Sicherheitsleute einsetzen, mindestens 6.000, so schätzen Experten. Polizei und BGS kümmern sich um die Sicherheit auf Flughäfen, Straßen und öffentlichen Plätzen. Darunter fällt auch der Transport der Mannschaften zu den Stadien. Seit Jahren arbeiten beim Bundesministerium des Innern (BMI) mehrere Gremien an einem übergreifenden nationalen Sicherheitskonzept für Bund und Länder. Das BMI will vor allem den Informationsaustausch mit ausländischen Behörden verstärken. Das Schengen-Abkommen wird wohl für die Dauer der WM außer Kraft gesetzt werden. Inwieweit das Innenministerium auch ausländische Sicherheitsexperten von Nato und Europol hinzuziehen will, wie die Veranstalter von Europameisterschaft und Olympia in Athen, ist noch offen.

Die Industrie geht da schon mehr in die Offensive, für sie soll die WM vor allem ein Schaulaufen für neue Technologien werden. Die Vorgabe lieferte der Wirtschaftsminister höchstpersönlich: "Unternehmerinnen und Unternehmern bietet sich bei diesem für Deutschland einzigartigen Ereignis die Chance, ihre Innovationskraft national und international unter Beweis zu stellen", sagte Wolfgang Clement auf einer Investitionskonferenz mit Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Sport. Die Unternehmen erhoffen sich von der WM neue Aufträge im Umfang von bis zu 10 Milliarden Euro. Ein Riesengeschäft also, auch für die Hersteller von Sicherheitstechnik für die WM-Stadien.

Die könnte zum Beispiel so aussehen wie beim PSV Eindhoven. Bei Heimspielen des holländischen Erstligisten werden biometrische Gesichtsmerkmale von Zuschauern mit Spezialkameras erfasst. Bereits auffällig gewordene Fans können so anhand ihrer Gesichtszüge erkannt werden. Das Verlockende: Der Datenabgleich geschieht vollautomatisch per Computer, ohne teures zusätzliches Personal. Die Verantwortlichen beim PSV sind begeistert von der Technik. Auch bei den Betreibern der deutschen WM-Stadien besteht großes Interesse, so der Hersteller.

Datenschutzbehörden sind aber ebenfalls auf das Eindhovener Modell aufmerksam geworden: Sie bemängeln, dass die biometrische Gesichtererkennung in der Praxis häufig die Falschen verdächtigt - ein unzulässiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Besonders bedenklich hierbei: Sicherheitskräfte könnten Zuschauer auch während des Spiels biometrisch abscannen und so eine bereits bestehende Datenbank ständig erweitern. Deutsche Hersteller erhoffen sich von der WM 2006 einen Schub für die Biometrie. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die Videoüberwachung auch außerhalb der Stadien zunehmen wird: an Zufahrtswegen, Hotels, Bahnhöfen sowie an beliebten öffentlichen Treffpunkten, so sie nicht jetzt schon von Kameras überwacht werden.

Ein Herzenswunsch der Fifa sind die personalisierten Eintrittskarten. Wie schon bei der EM in Portugal müssen Fans auch 2006 beim Kartenkauf ihre persönlichen Daten angeben. "Die Fifa sammelt massiv Daten und verwendet sie zu Marketingzwecken", beklagt Rena Tangens vom Bürgerrechtsforum FoeBuD. Die WM-Tickets werden außerdem mit speziellen Funkchips ausgestattet, die den Kartenbesitzer auch als den rechtmäßigen Käufer identifizieren. Der Weltverband möchte so Fälschung und Schwarzhandel eindämmen und vor allem verhindern, dass bekannte Gewalttäter ins Stadion gelangen. Denn gerade unter deutschen Fußballfans wird ein hohes Gewaltpotenzial vermutet, die Zentrale Informationsstelle Sport (ZIS) geht derzeit von 10.000 gewaltbereiten Fans aus.

In den Bundesligastadien haben die Präventivmaßnahmen mit Blick auf 2006 dann auch deutlich angezogen, ist aus der Fanszene zu hören. "Es wird konsequent gefilmt, es sind mehr Zivilpolizisten im Einsatz, auch die Zahl der Stadionverbote steigt", so Jürgen Scheidle vom Fanprojekt Bochum. Das Ziel sei klar: "Bis zur WM sollen so viele potenzielle Gewalttäter wie möglich erfasst werden." Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Datei Gewalttäter Sport. Fans, aber auch Juristen, äußern schon länger den Verdacht, dass oft das bloße Feststellen der Personalien reicht, um in der Gewalttäterdatei zu landen.

Eingeführt wurden solche Sicherheitsmaßnahmen zu Zeiten, als rivalisierende Mobs und Ausschreitungen beim Fußball noch weit verbreitet waren. Fanprojektler weisen darauf hin, dass sich das Gefährdungspotenzial inzwischen aber geändert hat. Gewaltsame Auseinandersetzungen finden zumeist außerhalb der Stadien und in kleineren Gruppen statt, dafür umso häufiger. Viele Fans fühlen sich deshalb vom Sicherheitsdenken von Vereinen, Polizei und Ordnungskräften zunehmend drangsaliert. Es besteht durchaus die Gefahr, dass einige bei der WM 2006 Frust ablassen könnten: "Die Grundstimmung ist schlecht, der Kern der deutschen Fans fühlt sich ausgeschlossen", warnt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). "Wir nehmen diese Bedenken ernst", so OK-Vize Schmidt, der in Sicherheitsfragen eng mit den Sozialarbeitern von der KOS zusammen arbeitet. Schmidt will Vereine und Fanklubs stärker einbinden. Außerdem soll es im Sommer 2006 ein Kulturprogramm für Fans aus aller Welt geben, geplant sind zum Beispiel Konzerte, Fanturniere und die Einrichtung von Fanbotschaften.

taz Nr. 7549 vom 27.12.2004, Seite 15, 215 TAZ-Bericht CHRISTIAN MIXA

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Christian Mixa

tageszeitung, Berlin , 26. Dezember 2004
Original: http://www.taz.de/pt/2004/12/27/a0195.nf/text.ges,1

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