Kolumne (kolumne@taz.de)
Nichts gegen ein freundliches Verkaufsgespräch - aber der menschliche Kontakt zu Kassenpersonal ist überbewertet. Die Zukunft des Kaufens gehört den Automaten. Je schneller, desto besser
An der Audiocassette klebt kein Preis. Die Kassiererin wirbelt das Tape in ihrer Hand herum. "Was kostet denn das?", murmelt sie mürrisch.
"99 Cents", sage ich.
"Das haben Sie doch aus dem Zehnerpack genommen", fährt sie mich an.
Ich schlucke. "Die lag da so."
"Die führen wir nur im Zehnerpack."
"Aber da stand doch ein Preis unter dem Fach."
"Zehnerpack", knurrt sie. "Sonst wäre da ja ein Preisschild drauf."
Kassiererlogik.
Das ist der Moment, wo ich diesen Elektronikdiscounter verlassen sollte. Doch ich brauche die Leerkassette. Für ein Interview. Dringend.
Tief durchatmen. "Schauen Sie doch mal selbst ins Regal - da drüben."
Schweigen. Sie mustert mich. Schließlich schickt Sie ihren Kollegen. "99 Cents!", ruft er herüber. Die Kassiererin kassiert. Kein Wort, kein Bedauern.
Ein glänzender Kassenautomat fällt vom Himmel und erschlägt sie. Ich springe gekonnt zur Seite.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir eine automatische Kasse herbeiwünsche. Der menschliche Kontakt wird überbewertet. Nichts gegen ein freundliches Verkaufsgespräch. Aber wie viel angenehmer ist es, seine leeren Pfandflaschen in den Tomra-Automaten zu schubsen, als vor der Leergutannahme eine lächerlich leise Serviceklingel zu massieren. Und wie oft fühlt man sich im Gedränge vor vollen Kassen wie ein Oskarpreisträger auf der Berlinale. Gibt es eigentlich noch irgendwen, der lieber am Bankschalter steht als vorm Geldautomaten?
Ein kleiner Chip mit Antenne, RFID-Tag genannt, könnte meinen Traum erfüllen. Empfängt der Schaltkreis ein Signal, sendet er seine Kennung zurück, einen 96-stelligen Code von Nullen und Einsen. Diese 96 Stellen reichen, um 268 Millionen Firmen mit 16 Millionen Produktsorten und 68 Milliarden Einzelstücken auseinander zu halten. Inzwischen lassen sich die Chips in Sandkorngröße herstellen.
Bei Wal-Mart und Metro arbeiten sie bereits daran, ihre großen Warenkartons mit solchen Tags auszustatten. So lassen sich mit kleinen Sendern in den Lagern die Waren mühe- und lückenlos im Vorbeifahren registrieren. Das spart Zeit, minimiert Irrläufer und erschwert Diebstahl.
Doch was soll der Geiz? Jedes Produkt braucht so einen Tag! Dann könnte ein Sender den Einkaufswagen abscannen - einfach im Vorbeirollen. Man schiebt einen Geldschein in die Maschine. Schnell. Klinisch. Präzise.
Okay, noch kosten die RFIDs so um die 30 Cents. Doch in ein paar Jahren schon dürften sie für wenige Cents zu haben sein.
Prada hat in seiner Manhattaner Luxus-Filiale in Soho die neue Technik bereits etwas weiter ausgereizt. Hängt man in der Umkleidekabine einen Anzug an den Haken, leuchtet plötzlich ein LCD-Bildschirm auf und informiert über Anzugstoff, vorrätige Farben - und empfiehlt passende Hemden und Krawatten.
Nett, aber auch irgendwie nervig. Trotzdem lockt der Laden scharenweise Touristen an, hierzulande lockt die Technik vor allem Bedenken.
Was, wenn der Kunde mit seinem neuen kreditkartenbezahlten Anzug zu Prada zurückkehrt. Wird er dann mit Namen angesprochen? Hat er das gute Stück in einem Kaufhaus erworben, erscheint im Fahrstuhl dann eine Werbung für seine Lieblingsschokolade, die er schon so oft mit seiner Kundenkarte gekauft hat? Und schickt ihm die Stadtverwaltung dann später ein Strafmandat nach Hause, wenn sie die getagte Schokoverpackung im Stadtpark aus dem Ententeich fischen musste?
Mit solchen Fragen versuchen derzeit eine Hand voll "Datenaktivisten" die Tags zu verteufeln und verteilen "Big Brother Awards" an Handelsketten.
Nur warum? Würde eine Stadtverwaltung tatsächlich ihre Daten mit einem Kaufhaus abgleichen wollen? Sie fände sicher mehr Datenmüll, als in einen Ententeich passt. Zweitens beweist der Kauf eine Schokolade nichts über ihren Verbleib. Und drittens könnte man die Tags doch an der Kasse löschen oder nur an der Verpackung anbringen. Das sollte als Sicherheit genügen.
Wer sich um seine Datenspuren sorgt, hantiere lieber weniger mit Kunden- und EC-Karten herum. Nur dann verknüpft sich ein Einkauf mit seinem Namen.
RFIDs sind wahrlich keine Big-Brother-Technologie. Die RSA Laboratories in Massachusetts haben bereits einen einfachen Stör-Tag entwickelt. Sein Antwortsignal überlagert jeden anderen Tag in der Nähe - und macht ihn unlesbar. Außerdem kann man einen Tag mit simpler Alufolie abschirmen.
Allerdings: Wenn sich die Dinger so leicht austricksen lassen, dann brauchen die Kaufhäuser hinter den Kassenautomaten jede Menge Kontrolleure.
Und das heißt: Taschenkontrolle und peinliche Gespräche. Nichts wäre gewonnen.
Dann wünsche ich mir doch lieber eine Kasse mit automatischem Scanner, wo die Kassiererin nur noch einen geübten Blick in den gescannten Einkaufswagen wirft, bevor ich bei ihr bar bezahle.
Wenigstens um den Preis bräuchten wir nicht mehr zu streiten.
Fazit: Die Tags werden kommen. Fotohinweis: MATTHIAS URBACH DER PERFEKTE KAUF Fragen zu Tags? kolumne@taz.de
taz Nr. 7308 vom 13.3.2004, Seite 18, 183 Kommentar MATTHIAS URBACH, Kolumne
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MATTHIAS URBACH
taz NRW, 04. März 2013
Original: Nicht bekannt