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USA: Schüler unter RFID-Dauerbeobachtung

Durch das Tracking will die Schulverwaltung die Fehlzeiten senken

Eine Schulverwaltung in Texas stellt Jugendliche unter Dauerbeobachtung: Um das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht zu verhindern, wird seit Beginn des Schuljahrs der Aufenthaltsort auf dem Schulgelände überwacht. Zu diesem Zweck werden Funkchips in den Schülerausweisen ausgelesen. "So können wir schnell feststellen, ob ein fehlender Schüler sich auf dem Schulgelände aufhält, ihn finden und zurück zum Unterricht bringen", zitiert Fox News einen Sprecher der Schulverwaltung.

Schon seit dem 27. August ist Schwänzen in zwei weiterführenden Schulen in San Antonio in Texas schwerer geworden. Das Tracking funktioniert mit RFID-Chips in den Schülerausweisen, die die knapp 6000 Jugendlichen immer mit sich führen müssen. Auf dem Gelände der Northside Jay High School und der Jones Middle School wurden "flächendeckend" Lesegeräte installiert. Die Chips übertragen eine unverschlüsselte Kennnummer. Befinden sich Schüler außerhalb ihrer Klassenräume, generiert das System automatisch einen Alarm. Die Smart-Cards der Schüler werden außerdem zum Bezahlen in der Kantine, der schuleigenen Bücherei und als Fahrkarte für den Schulbus verwendet.

Durch das Tracking will die Schulverwaltung die Fehlzeiten senken. Das Schwänzen, angeblich an den Schulen weit verbreitet, hat für staatliche Schulen in Texas nämlich massive finanzielle Nachteile. Die durchschnittliche Zeit an versäumtem Unterricht wird als Kennzahl bei der Finanzierung fürs nächste Jahr berücksichtigt und die Schulen bekommen weniger Gelder. Angeblich verliert der Northside District 175 000 Dollar am Tag, weil Schüler fehlen oder zu spät kommen. Deshalb seien die eingeplanten 525 Dollar für die Einrichtung der Überwachungsanlagen und 136 000 Dollar für den Betrieb für ein Jahr ein gutes Geschäft, argumentiert ein Sprecher der Schulverwaltung, weil für das nächste Schuljahr bis zu zwei Millionen Dollar zusätzlich fließen würden. Im Sommer 2013 wird der Feldversuch ausgewertet. Bei (finanziellem) Erfolg soll das System dann in allen Schulen im Northside Independent School District eingesetzt werden.

Obwohl laut der Bezirksverwaltung die überwiegende Mehrheit der Eltern keine Einwände hat, wehren sich einzelne Schüler und zumindest ein Vater gegen das Projekt. Auch amerikanische Bürgerrechts- und Datenschutzorganisation kritisieren das Vorhaben, weil es die Privatsphäre der Jugendlichen verletze und missbraucht werden könne. Die Anti-RFID-Gruppe Consumers Against Supermarket Privacy Invasion and Numbering (CASPIAN) und die American Civil Liberties Union (ACLU) listen in einer Stellungnahme eine Reihe solcher Befürchtungen auf:

Wenn die Lesegeräte in den Toiletten angebracht sind, kann überwacht werden, wie lange sich Schüler dort aufhalten. … Das System ist geeignet, um Gruppenbildungen festzustellen und damit auch, wer mit wem Kontakt hat … Eventuell werden Schüler abgeschreckt, bestimmte Orte wie den Schulpsychologen oder Schulsozialarbeiter aufzusuchen.

Andere Kritiker bezweifeln, wie effizient die Überwachung sein wird. Schließlich hat der Aufenthaltsort der Karte mit dem Aufenthaltsort seines Besitzers nur bedingt etwas zu tun. "Gib mir einen Dollar, dann nehm ich deinen Ausweis mit ihn die Klasse!", heißt es dazu in Internetforen. Aber in einem Brief an die Eltern schreibt die Verwaltung: "Bitte wirken Sie darauf hin, dass Ihre Kinder die Smart-Card jeden Tag und den ganzen Tag tragen und nicht verlieren, vergessen oder mit anderen Schülern tauschen. Für verlorene Smart-Card muss eine Ersatzgebühr bezahlt werden." Die Schüler müssen ihre Ausweise permanent mit einem Halsband sichtbar tragen. So sollen die Lehrkräfte auf einen Blick feststellen können, ob sich ein Jugendlicher unerlaubt entfernt hat.

Die elektronische Anwesenheitskontrolle wird häufiger

Vergleichbare RFID-Systeme sind bereits in Schulen in den USA in Betrieb, zum Beispiel in den Bundesstaaten Florida, Texas und Kalifornien (Schule als Hochsicherheitszone). Ein wesentlicher Unterschied zu dem texanischen Projekt ist allerdings, dass dort die Schüler oder Studenten lediglich ihre SmartCard beim Betreten und Verlassen des Geländes beziehungsweise von Turnhalle oder Kantine über ein Lesegerät ziehen. In Philadelphia benutzen Schüler ihre Smart-Cards für Schulbusse. In Richmond/Kalifornien und in einer brasilianischen Schule werden RFID-Chips ausgelesen, die in die Schulkleidung eingenäht sind. Aber auch hier wird lediglich das Betreten und Verlassen kontrolliert.

In Texas dagegen soll nun der Aufenthaltsort dauerhaft überwacht werden. Eine Grundschule in Sacramento/Kalifornien, die vor sechs Jahren Tracking einführen wollte, ruderte nach öffentlichem Protest und Widerstand der Eltern zurück.

Bisher werden vergleichbare Tracking-Systeme nur in Gefängnissen und Altersheimen eingesetzt, weil Indoor–GPS und GSM–Ortung in geschlossenen Räumen (bisher) nicht wirklich funktionieren. Laut einer Studie der RAND-Thinktanks nutzten bis zum Jahr 2010 14 Gefängnisse RFID-Tracking. Drei davon überwachten den Aufenthaltsort der Wärter, fünf den der Gefangenen und sechs beide. Diese Studie ist auch interessant, weil sie zeigt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit diese Form der Überwachung im Sinne der Überwacher funktioniert: Die Signale müssen überall und dauerhaft gelesen werden können und Verstöße müssen konsequent geahndet werden.

Trotz zögernder Eltern und empörter Datenschützern versuchen RFID-Hersteller wie ScholarChip oder AT&T verstärkt, ihre Anlagen auch an Schulen zu verkaufen. In Europa installiert eine Berufsschule im nordenglischen Chester angeblich gerade ein "Real Time Location System" für die individuelle Anwesenheitskontrolle.

In deutschen Universitäten werden Smart-Cards eingesetzt, um den Zugang zu Bibliotheken zu regeln. Aus der Perspektive von Überwachungskritikern sind Ausweispapiere mit RFID auch deshalb problematisch, weil immer mehr Daten auf denselben Chip beziehungsweise in dasselbe System gepackt werden. Der FOEBUD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) kritisiert die Tendenz "Packt alles auf eine Karte" seit langem:

Ausgelesen werden die Chips meist in den Bibliotheken und in der Mensa, wenn die Studi-Ausweise in die Nähe des Lesegerätes gehalten werden. Fehlen nur noch die RFID-Lese-Antennen in den Türrahmen, dann heißt es "Ich weiß, welches Buch Du liest" - "Den Schein kriegst Du nicht, Du warst ja immer zu spät bei der Vorlesung" - "Ernähr Dich mal gesünder, dann schaffst Du auch Deine Prüfung..." usw.

Der Verein überprüft gerade die Angreifbarkeit gängiger Mensa- und Studikarten. Die Ergebnisse sollen Ende nächsten Monat veröffentlicht werden.

Auch wenn der Werbeslogan vom "Internet der Dinge" mittlerweile etwas staubig riecht, in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen und anderen sozialen Einrichtungen könnte für die RFID-Technik Wachstumspotential vorhanden sein. Obwohl Hersteller und Finanziers unbeirrt das Gegenteil behaupten, sind die Rationalisierungseffekte durch RFID in Produktion, Logistik und Einzelhandel in der Regel recht klein. Anders, wenn Funküberwachung tatsächlich zur kleinräumigen Kontrolle von Menschen eingesetzt wird, denn dadurch kann wirklich teure Arbeitszeit von Betreuern und Aufpassern einspart werden kann. Das lohnt sich vor allem in Gefängnissen, Altersheimen, Psychiatrien, kurz: in allen Einrichtungen, die der Soziologe Erving Goffman als "totale Institutionen" charakterisiert hat. Goffman nannte sie totalitär, weil sie jede Lebensäußerung ihrer Insassen zu steuern versuchen. An Schulen dachte er dabei allerdings nicht.

Matthias Becker

telepolis, Hannover, 18. September 2012
Original: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37654/1.html

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