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Wo Daten anfallen und gesammelt werden, werden Begehrlichkeiten geweckt

Interview mit Cyberrights-Aktivist padeluun über RFID-Funkchips im Handel

Technologiestudien gehen davon aus, dass spätestens 2010 RFID-Funkchips (Radio Frequency Identification) die heutigen Barcodes ersetzt haben werden. Ein solcher Chip enthält einen elektronischen Produktcode, der lang genug ist, um weltweit jeden Gegenstand eindeutig zu identifizieren. Sobald ein RFID-Lesegerät ein Funksignal abgibt, antworten in der Nähe befindliche Chips, indem sie ihre Daten über mehrere Meter hinweg übermitteln.

Internationale Verbraucherschutz- und Bürgerrechtsorganisationen wiesen jüngst in einem gemeinsamen Positionspapier auf die Gefahren für Privatsphäre und Bürgerrechte hin, die durch RFID- Etiketten entstehen können. Für Telepolis sprach Christiane Schulzki-Haddouti mit padeluun vom Bielefelder Verein Foebud e. V., dem Unterzeichner des Positionspapiers sowie Organisator des deutschen Big-Brother-Preises. Erst vor kurzem erhielt der Foebud-Verein von der Stiftung "Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft" 15.000 Euro zur Realisierung eines RFID-Lesegeräts für Bürger zugesprochen.

RFID-Chips ermöglichen den Einkauf in einem Supermarkt ohne Kassen. Was ist bedenklich daran, wenn Diebstähle so verhindert werden?

padeluun: Damit werden Diebstähle doch überhaupt erst ermöglicht: Datendiebstähle. Das Unternehmen spart Personal. Ich werde im Gegenzug meiner Privatsphäre beraubt. Unternehmen verwenden die geraubten Daten, um mir noch effektiver, mit immer weniger Gegenleistung und Vielfalt mein Geld aus der Tasche zu ziehen. Das geht bis hin zur Preisdiskriminierung.

Nennen Sie ein Beispiel für eine solche Preisdiskriminierung.

padeluun: Die alleinerziehende und berufstätige Mutter mit drei Kindern bezahlt im Supermarkt in der Nähe einen höheren Preis, als der Single mit Auto und hohem Einkommen. Der Grund ist klar: Wenn ich meine Kunden kenne, dann weiß ich auch, dass jene Mutter einfach nicht genügend Zeit hat, den Laden am anderen Ende der Stadt aufzusuchen und dort einzukaufen. Also kann ich ihr mehr Geld für den selben Artikel abnehmen.

Wie könnten Supermärkte den Informationsfluss transparenter gestalten?

padeluun: Sie müssen ihre Karten auf den Tisch legen. Wenn RFID-Tags auf dem Weg vom Lager zum Warenregal zum Beispiel schon zerstört werden, gibt's kein Problem mit dem Datenschutz. Möchte ich sie gerne noch am Kassensystem zur Preisermittlung oder zum Diebstahlschutz auswerten, dann muss ich dafür sorgen, dass meine Kunden wissen, dass sie im Laden nicht "getrackt" werden. Dies wäre am besten mit Gesetzen zu regeln, die nicht durch seichte "Einverständniserklärungen" gleich wieder ausgehebelt werden können.

Wie könnten Kunden den Informationsfluss selbst kontrollieren?

padeluun: Ich könnte mir die Pflicht für Unternehmen vorstellen, ihre Datenbanken zu öffnen, so dass bei jedem RFID-Tag nachgeschaut werden kann, zu welchem Artikel es gehört. Wir selber arbeiten zur Zeit an einem kleinen Gerät, das den Menschen die Möglichkeit gibt, versteckte Tags und Lesegeräte aufzuspüren. Ein Unternehmen, das solche Techniken einsetzt, müsste sich verpflichtet fühlen oder verpflichtet werden, solche Geräte seinen Kunden kostenlos zur Verfügung zustellen.

In welchen Fällen sollte der Staat den Einsatz von RFID-Funkchips regeln?

padeluun: Überall da, wo einem Unternehmen, das ethische Prinzipien achtet, Nachteile dadurch entstehen, wenn andere Unternehmen diese Prinzipien außer acht lassen. Ich halte verpflichtende und bei Verstößen mit Strafen bewehrte Regulierungen für wichtig.

Wie stellen Sie sich das Einkaufen im Jahr 2010 vor?

padeluun: Der BigBrotherAward 2003, den wir jährlich verleihen, ging dieses Jahr an die Metro AG für ihr "future store project". Wir haben für die Verleihung eine Laudatio zum Thema verfasst, die diese Visionen genau beschreibt. Ein Beispiel: "Marion Z. bekommt einen Bußgeldbescheid der Stadt Duisburg. Das Papier eines von ihr gekauften Mars-Riegels wurde im Ententeich des Stadtparks gefunden. Marion Z. grübelt und kommt darauf, dass sie den Riegel einem Kind beim Martinssingen geschenkt hat. Zähneknirschend zahlt sie 10 Euro Bußgeld."

Dies würde eine umfassende Zusammenarbeit privater und öffentlicher Institutionen sowie eine Massendatenhaltung voraussetzen. Können Sie das erläutern?

padeluun: Wo Daten anfallen und gesammelt werden, werden Begehrlichkeiten geweckt. Im Zuge des "Kampfes gegen den Internationalen Terrorismus" werden dann nicht nur Gesetze gemacht, die das präventive Speichern aller Kommunikationsdaten erzwingen, sondern dann wird es noch das "RFID- Durchleite-, Speicher- und Auswertegesetz" geben. Das mag absurd erscheinen. Bei den Big-Brother- Awards haben wir jedoch die Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen auszeichnen müssen, unter anderem, weil sie die Vorratsdatenspeicherung beschlossen und verabschiedet haben (Thüringen), oder sie, soweit es absehbar ist, unaufhaltsam verabschieden werden. Das sind Armeen von Nachtigallen, die da trapsen.

Wie könnte denn die RFID-Technik im Sinne der Bürger beherrscht werden?

padeluun: Was den Leserinnen und Lesern hier jetzt vielleicht ein Lächeln abringt, ist nur ein kleiner Teil des drohenden internationalen Konsumterrors. Wir haben uns zusammen mit unseren amerikanischen Schwesterorganisationen intensive Gedanken gemacht, wie wir dem undurchdachten Aktionismus der Beratungsunternehmen und den von ihnen abhängigen Großhändlern eine positive Vision entgegensetzen können. RFIDs - das möchte ich betonen - können wie viele Errungenschaften der EDV und Vernetzung ein Segen sein. Wir sollten deswegen aber vermeiden, dass wir uns eine weitere Hölle auf Erden schaffen.

Christiane Schulzki-Haddouti

Telepolis, 03. Dezember 2003
Original: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16234/1.html

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