Sie sind klein und unscheinbar: sogenannte RFID-Chips in Kleidungsstücken. Datenschützer schlagen Alarm: Die Funkchips können auch aus einiger Entfernung ausgelesen werden.
Inzwischen stecken sie auch in Pullovern oder Jacken: Elektronische Chips, die mit Radio-Frequenz-Identifikation (RFID) arbeiten. Diese Technik hilft Unternehmen, Abläufe im Lager oder bei der Inventur zu vereinfachen. Doch Datenschützer warnen: Jeder Chip enthält eine weltweit einmalige Nummer – und die lässt sich berührungslos erfassen und speichern. Das ermöglicht, Bewegungsprofile von Menschen zu erstellen. Wie sich RFID-Nummern in der Kleidung von Passanten selbst aus einiger Entfernung auslesen lassen, demonstrierten jetzt Aktivisten des Bielefelder Vereins Foebud.
„"Ich kriege richtig Angst"“, entfährt es der blonden Frau. Erschrocken schaut sie auf den Laptop. Dort steht die Nummer des RFID-Chips, der in ihrer Winterjacke der italienischen Marke Peuterey steckt. Sie habe von dieser Technik nichts gewusst, erklärt sie. „"Und jetzt weiß jeder, dass das meine Jacke ist?"“ - „"Wir sagen es nicht weiter"“, lacht Padeluun, Aktivist des Bielefelder Datenschutzvereins Foebud.
Padeluun und weitere Foebud-Demonstranten stehen in der Bielefelder Fußgängerzone. „RFID-Stop“ heißt die Parole auf ihrem Protestschild. Daneben, montiert auf einer Sackkarre, befindet sich ein weißer Kasten. „"Ein handelsübliches RFID-Lesegerät im Industriestandard"“, erklärt Padeluun. „"Der liest jedes RFID-Etikett, das hier vorbeikommt, bis zu einer Entfernung von acht Metern"“, ergänzt Rena Tangens, ebenfalls bei Foebud aktiv. Das Lesegerät ist mit einem Laptop verbunden und mit einem Beamer, der die ausgespähte RFID-Nummer auf ein großes Display in Sprechblasenform wirft. Eine ältere Dame mit Einkaufstüte bleibt stehen. Auch bei ihr schlägt das RFID-Lesegerät an, die Nummer wird sichtbar. „"Wenn ich da hinten mein Gerät aufstelle und Sie kommen vorbei, erkenne ich Sie wieder"“, erklärt Padeluun. „"Das muss aber nicht sein"“, entgegnet die Dame.
210 Teile in 30 Sekunden gezählt
Die RFID-Kritiker präsentieren das Lesegerät vor dem Bielefelder Geschäft des Modehauses Gerry Weber. Das Unternehmen mit Sitz im ostwestfälischen Halle betreibt 430 eigene Läden, auch in Dubai und Moskau. Hinzu kommen 2.000 Verkaufstellen in Kaufhäusern oder Modegeschäften. Gerry Weber produziert Damenbekleidung, mehr als 26 Millionen Teile pro Jahr. Sämtliche Gerry-Weber-Produkte enthalten inzwischen einen RFID-Funkchip, der mit Ultrahochfrequenz arbeitet (868 Megahertz). Ähnliche Chips finden sich an Paletten, Tiefkühlbehältern oder Maschinenteilen, die in Lagerhallen und Fabriken bewegt werden. Die winzige Elektronik steckt, zusammen mit einer flachen Antenne, im Textilpflegeetikett. „"Mit dem Chip können wir alle Zähl- und Erfassungsvorgänge unserer Ware wesentlich beschleunigen"“, erklärt Christian von Grone, bei Gerry Weber für RFID zuständig. Im Geschäft in der Düsseldorfer Innenstadt zeigt uns von Grone ein Lesegerät, kaum größer als ein Funkgerät. Langsam führt er das Gerät an einer Reihe von Kleidungsstücken vorbei. „"210 Teile werden jetzt in 30 Sekunden gezählt"“, sagt er. Die Inventur gehe viel schneller von der Hand. „"Für ein Geschäft dieser Größe haben wir früher 15 Mitarbeiter das Wochenende durchzählen lassen"“, sagt von Grone. „"Jetzt erfassen wir mit drei Mitarbeitern in einer halben Stunde den gesamten Laden."“
Dass Unternehmen die RFID-Technik für Logistik, Inventur und zur Diebstahlsicherung nutzen, stößt bei den Foebud-Leuten nicht auf Kritik. „"Wir verlangen, dass der Chip nach dem Bezahlen an der Kasse entfernt wird"“, fordert Rena Tangens. Doch genau das macht Gerry Weber nicht. Das Abschneiden kostet zu viel Zeit, bindet zu viel Personal, vermuten Fachleute. „"Wir entfernen das Pflegeetikett an der Kasse, wenn die Kundin dies wünscht"“, erläutert Christian von Grone. Die meisten Frauen würden das Etikett lieber zu Hause selbst abschneiden. Er betont, dass man die Kundschaft über RFID informiere. In den Gerry-Weber-Läden liegen Handzettel an der Kasse. Auf jedem Pflegeetikett steht „RFID inside“ und „remove before wearing“, also vor dem Tragen entfernen. Und kein Kunde müsse fürchten, dass sein Name mit einer RFID-Nummer verknüpft werde. „"Wir speichern keine personenbezogenen Daten zusammen mit den Daten vom Chip"“, versichert Christian von Grone. RFID-Chips weit verbreitet
Das stellt die Foebud-Mitglieder nicht zufrieden. „"Das Problem ist, dass die Nummer auf dem Chip in der Kleidung der Kundin aktiv bleibt"“, entgegnet Rena Tangens. „"Wenn ich mit meinem woanders gekauften Jacket an der Kasse stehe und zeige eine EC-Karte oder wenn ich per Bilderkennung von einer Videoüberwachung erkannt werde und gleichzeitig der Chip ausgelesen wird"“, dann, so Rena Tangens, könnten Bewegungsprofile erstellt werden, ohne dass der Bürger davon erfährt.
RFID-Chips, auch Transponder oder Tags genannt, befinden sich zudem in Bibliotheksausweisen, Studentenausweisen, Mitarbeiterausweisen vieler Firmen oder in den Monatstickets für Busse und Bahnen. Diese elektronischen Winzlinge arbeiten mit einer schwächeren Frequenz als die Gerry-Weber-Chips. Sie lassen sich nur aus wenigen Zentimetern Entfernung (max. 20 cm) auslesen, erklärt Rena Tangens. Die Sparkassen haben angekündigt, im Laufe des Jahres neue EC-Karten einzuführen, die bargeldloses Bezahlen ermöglichen. Auch diese Karten arbeiten mit RFID. Deren Ausleseentfernung betrage etwa 50 Zentimeter, schätzt der Verein Foebud. Im elektronischen Personalausweis steckt ebenfalls Technik zur Radio-Frequenz-Identifikation. „"Auf einen Meter Entfernung auslesbar"“, weiß Rena Tangens. Einsatz gegen Markenpiraterie
Im Visier von Foebud befindet sich auch das italienische Modelabel Peuterey, das nach eigenen Angaben rund 50.000 Jacken pro Jahr in Deutschland verkauft. Der Hersteller verwendet RFID-Chips mit Ultrahochfrequenz (849 Megahertz) vor allem, um Markenpiraterie zu bekämpfen. Motto: „"Nur echt, wenn mit Chip."“ Der Endverbraucher sei über den Gebrauch der RFID-Technik informiert worden, „durch die Medien der verschiedenen nationalen und internationalen Fachpresse“, schreibt Peuterey an den WDR. „"Auch im Internet wurden Pressemitteilungen und Videos in dieser Hinsicht verbreitet."“ Davon weiß die blonde Frau in der Bielefelder Fußgängerzone jedoch nichts. Und wo in ihrer Jacke steckt der Funkchip? Etwa innen, im eingenähten Etikett? „"Nein"“, entgegnet Peuterey, „"der RFID-Chip befindet sich immer an verschiedenen Stellen in der Jacke"“. „"Nicht so toll! Schön wäre, ich könnte das abschneiden und in den Mülleimer schmeißen"“, meint die Bielefelder Kundin.
Matthias Holland-Letz
Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 16. Januar 2012
Original: http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2012/0116/01_rfid-chips.jsp