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Bequemlichkeit frißt Privatsphäre

Auf der Cebit wirbt die Elektroniklobby für so genannte Smart Chips im Supermarkt

Als sich um 1980 nach und nach die heute allgegenwärtigen Strichcodes in der Warenwelt verbreiteten, wurden sie rasch zu einem Symbol der Punks und anderer misstrauischer Nonkonformisten, die von der Datensammelwut und den Normierungsbemühungen des Staates und der Konzerne immer das Schlimmste befürchteten. Für ein paar Jahre war es schick, mit bedeutungsvollen Strichcodes auf der Lederjacke zu posieren und damit anzudeuten, dass man die Verschwörung gegen die individuelle Freiheit durchschaut hatte. Gerade erst waren für die Terroristenfahndung Methoden entwickelt und erlaubt worden, die die Fähigkeiten der relativ jungen Computertechnologie mit einem eingeschränkten Respekt vor der Privatsphäre verbanden. Paranoia wurde ein Modewort, 1984 stand noch bevor und die Band ZK (aus der später die Toten Hosen wurden) sang stellvertretend für andere Sorgenmacher: "Hurra, wir sind genormt!"

Es ist kaum anzunehmen, dass die Einführung der so genannten Smart Chips zur Warenkenntlichmachung, die in den nächsten Jahren die Strichcodes ablösen sollen, ein ähnlich weit verbreitetes Unbehagen auslösen wird. Zu sehr haben wir uns daran gewöhnt, immer mehr Privatsphäre für ein Plus an Bequemlichkeit preiszugeben. Wenn wir telefonieren, wenn wir im Internet einkaufen, wenn wir bargeldlos bezahlen oder wenn wir uns Rabatte mit einer Kundenkarte gutschreiben lassen - immer hinterlassen wir bereitwillig Spuren, aus denen Rückschlüsse auf unser Leben zu ziehen sind. Der gläserne Mensch, auch so eine in den Achtzigern geborene Paranoiafigur, ist trotzdem noch nicht Wirklichkeit, aber er rückt mit den Smart Chips näher.

Smart Chips arbeiten mit "Radio Frequency Identification", einer Technik, die es ermöglicht, auf dem Chip gespeicherte Informationen per Funk abzurufen und mit Datennetzen abzugleichen. Eine Rolle spielen sie schon jetzt in der Logistik: Der Standort eines verschollenen Containers in den Welthäfen lässt sich damit leicht feststellen.

Der normale Verbraucher und Staatsbürger wird mit Smart Chips wohl vor allem Supermarkt zu tun haben. Wenn es nach großen Einzelhandelsketten wie Wal-Mart oder Metro geht, sieht die Zukunft so aus, dass der Kunde nur noch seinen Einkaufswagen durch eine Funkschleuse fährt, diese dann die gekauften Produkte erkennt, registriert und gleich den Preis vom Konto abbucht.

Natürlich würde sich dadurch die Zahl der Informationen, die in den weltweiten Netzen über jeden Einzelnen gespeichert sind, noch einmal erhöhen. In Steven Spielbergs Film "Minority Report" wird der von Tom Cruise gespielte Held, überall im öffentlichen Raum mit Reklamebotschaften bombardiert, die auf seine Kaufgewohnheiten zugeschnitten sind.

Pessimistische Datenschutzorganisationen müssen schon aus Gründen ihrer Daseinsrechtfertigung die möglichen Konsequenzen noch schwärzer malen: Rena Tagens, Vorsitzende des Vereins FoeBuD warnt davor, dass morgen Krankenkassen ihre Beiträge erhöhen, weil Versicherte zu viele Zigaretten oder Süßes kaufen.

Solchen Warnern steht die RFID-Lobby gegenüber, die auch auf der heute beginnenden Computermesse Cebit für ihre Produkte wirbt. Noch lehnt eine Mehrheit der Verbraucher den völlig vernetzten Supermarkt ab. Doch je mehr sich das Versprechen auf vergrößerte Bequemlichkeit im Einkaufsalltag dank Smart Chips erfüllt, desto mehr werden die Vorbehalte schwinden und desto bereitwilliger werden wir wieder ein Stück Privatsphäre preisgegeben. Es war immer so.

Wahrscheinlich wird es dabei zu einer sozialen Differenzierung kommen. Vielleicht wird die gleiche kritische Klientel, die heute in Biomärkten einkauft, künftig erfolgreich von Läden umworben, die versprechen, alle Smart Chips zu entfernen, und in denen man noch bar zahlen kann.

Wie groß dieser begründet paranoide Kundenstamm sein wird, hängt von der praktischen Erfahrung mit den Neuerungen ab. Wer täglich erlebt, wie oft Supermarktkassiererinnen die Preise von Waren mit unleserlichem Strichcode doch per Hand eintippen müssen, der fragt sich, warum das künftig bei Smart Chips anders sein sollte.

Zum Glück wird der Computer wahrscheinlich auch mit RFID manche Bierflasche hartnäckig als Damenslip identifizieren. Schließlich lehrt die Erfahrung, dass mit der Komplexität von Systemen auch deren Anfälligkeit wächst. Das Toll Collect-Gesetz!

Die Angst, dass biometrische Erkennungssysteme, Videoüberwachung, Funksignale, Lauschtechnik und die totale Vernetzung irgendwann die Rundumausspähung jedes Einzelnen ermöglichen, wird dennoch nicht aussterben. An populärsten hat Hollywood jene Furcht in "Staatsfeind Nr. 1" formuliert, wo Will Smith überall vom Geheimdienst NSA beobachtet werden kann. Doch führt der Film die Paranoia auch ad absurdum: "Wenn wir hier am Telefon ,Allah' oder ,Bombe' sagen, schlägt sofort irgendwo ein Computer Alarm" meint Gene Hackman zu Smith. Als der Film zwei Wochen nach dem 11. September 2001 im Fernsehen lief, dachte mancher nur: "Schön wär's gewesen!"

Matthias Heine

Die Welt, Hamburg , 17. März 2004
Original: http://www.welt.de/data/2004/03/17/252141.html

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