Die Wahl der Waffen fällt in dieser Woche sehr verschieden aus. Die einen kämpfen mit Häppchen und Visionen, die anderen mit einer Drohung.
An diesem Donnerstag laden die Metro Group, SAP, IBM, Siemens und andere Konzerne in den Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie gehören zu den größten Unternehmen der Welt, in ihren Branchen sowieso. Vor kurzem haben sie eine gemeinsame Organisation – das Informationsforum RFID – gegründet, um ihre Interessen an der Durchsetzung einer neuen Technologie zu bündeln. Der Abend im Leibniz-Saal ist ihr erster großer, gemeinsamer Auftritt vor Bundestagsabgeordneten, Beamten aus diversen Ministerien und Journalisten.
Tags zuvor hatten die erklärten Kritiker der Konzerne, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) und die Bürgerrechtler der Organisation Foebud, einen Forderungskatalog an das Bundeswirtschaftsministerium geschickt.
Beide Seiten wollen die Politik auf ihre Seite ziehen. Und dabei eskaliert der Streit um eine Schlüsseltechnologie für die kommenden Jahre: Es geht um das Internet der Dinge.
Der Software-Konzern IBM verspricht in einem Werbespot, dass Pakete in ein paar Jahren selbst wissen, wo sie hinsollen. Man muss sie dann nur von ferne abtasten. Einen elektromagnetischen Impuls senden. Und schon werden sie eine Nummer nennen. In Verbindung mit den Daten des Versenders wird dann in Sekundenbruchteilen klar, woher die Pakete kommen. Und wohin ihr Weg sie führt.
Für jeden Logistiker ist das ein Traum, an dessen Anfang die Entwicklung eines entsprechenden Funkchips stand. Der misst inzwischen weniger als einen Millimeter im Quadrat und ist von einer kleinen Antenne in Form einer Spirale umgeben. Letztere kann elektromagnetische Wellen empfangen und in Strom umwandeln, und wenn das geschieht, funkt der Chip die auf ihm gespeicherten Informationen in den Äther. Diese Technik heißt Radio Frequency Identification, kurz RFID.
In Deutschland gehört die Metro Group zu den Pionieren bei der Anwendung von RFID. Der Handelskonzern erprobt die Technik in einem Entwicklungszentrum in Neuss und einem so genannten Future Store in Rheinberg. Das erklärte Ziel von Vorstand Zygmunt Mierdorf ist es, nicht nur Paletten und Kartons mit einem Funkchip zu versehen, sondern jedes einzelne Produkt. Jeden Anzug. Jede Krawatte. Und in vielleicht zehn Jahren auch jeden Jogurtbecher. Damit will er vor allem die Logistik seines Unternehmens verbessern. Aber die Chips könnten auch im Geschäft mit Endkunden nützlich sein.
Spätestens hier wird die Technik zu einer Frage für Datenschützer. Organisationen wie Foebud und DVD argumentieren, wenn alle Dinge zu funken begännen, könnte man viel über denjenigen herausfinden, der etwas kauft. Zu viel, wie sie sagen. Ihre Sorge lautet: Kommt der Chip auf Hemden oder Unterhosen, und bleibt er dort, kann theoretisch jeder Käufer anhand der Nummern, die seine Kleider funken, überall, ständig und heimlich identifiziert werden. Noch leichter würde das, wenn beim Kauf eine Kundenkarte benutzt würde. Denn dann verbinden sich die Nummern direkt mit einem Namen. Diesen »gläsernen Verbraucher« will Foebud nicht.
Seit eineinhalb Jahren diskutieren Handel, Daten- und Verbraucherschützer und Beamte deshalb unter der Leitung des Bundeswirtschaftsministeriums über RFID. Dort heißt es, man hoffe, »dass die Technik reibungslos eingeführt wird« und eine Selbstverpflichtung der Industrie entstehe, die den Bürgerrechtlern genügt. Doch das sieht schlecht aus.
In einem offenen Brief drohen Foebud und DVD in dieser Woche damit, die Gespräche im Ministerium abzubrechen. »Die Industrie bewegt sich nicht und will nur Zeit gewinnen, um Fakten zu schaffen«, sagt Rena Tangens von Foebud. Den vorläufigen Entwurf für die Selbstverpflichtung lehnen die Bürgerrechtler ab. Ausgearbeitet hatte ihn GS1, eine Organisation von Industrie und Handel für Standardisierungsfragen. Darin wird unter anderem zugesagt, die Verbraucher »allgemeinverständlich« zu informieren. Alle Waren mit RFID-Chip sollen »leicht wahrnehmbar, selbsterklärend und leicht verständlich« gekennzeichnet sein. Danach enden die Gemeinsamkeiten mit den Datenschützern. Rena Tangens sagt: »Wir fordern ganz klar: Keine RFID-Chips auf Einzelprodukten. Und wenn wir das nicht verhindern können, müssen die Chips beim Bezahlen an der Kasse automatisch zerstört werden. Datenschutz darf kein Aufwand, sondern muss Standard sein.«
Die Frage, wie leicht man die Chips zerstören oder ausschalten kann, klingt banal und gehört doch zu den wichtigsten überhaupt. Denn sie entscheidet über den täglichen Datenschutz, und sie muss jetzt, in der Testphase von RFID-Anwendungen, beantwortet werden. Jetzt entwickeln Unternehmen die Software, die zur Verwaltung der RFID-Technik gebraucht wird. Jetzt werden die ersten Sende- und Empfangsgeräte getestet, die erfassen sollen, welche Produkte ins Lager hinein- und zur Ladentür hinausrollen. Jetzt entscheidet sich also, wie viele aktive Funkchips in den Alltag der Verbraucher einziehen.
Metro-Vorstand Zygmunt Mierdorf sagt: »Der Verbraucher wird entscheiden, welche der vielfältigen Möglichkeiten dieser Chips er nutzen möchte.« Er wolle die Technik nicht reglementieren, bevor sich gezeigt habe, was sie für Chancen biete. »Wir wissen noch gar nicht, wo sie überall im Alltag nützlich sein kann. Stellen Sie sich etwa eine Mikrowelle vor, die anhand des RFID-Chips auf einem Pizzakarton die optimale Backzeit erkennt. Oder einen Medizinschrank, der sich meldet, wenn ein Medikament seine Wirkung verloren hat.«
Diesen Interessenunterschieden zum Trotz schlägt sich die politische Lobbyarbeit der Datenschützer in der technischen Entwicklung nieder. Während sich die ersten RFID-Chips nur manuell und mühsam zerstören ließen, gibt es seit kurzem mehrere Lösungen für das Problem:
Bei der nächsten Generation »lässt sich der Chip ausschalten, sodass er nicht mehr funkt«, sagt Klaus Vogell von der Organisation GS1. »Es gibt aber noch keine allgemeingültige Lösung, wie das an der Kasse organisiert werden kann.«
Parallel dazu haben die Entwicklungslabors von IBM eine Antenne für RFID-Chips entwickelt, die sich leicht abreißen lässt.
Auch die Metro kommt den Datenschützern entgegen. Ihre Tochtergesellschaft Kaufhof plant, teure Kleidungsstücke wie Anzüge in den nächsten ein bis zwei Jahren mit RFID-Chips zu versehen. Mit ihrer Hilfe will das Unternehmen die Lieferketten vom Hersteller in Asien bis in jede Filiale verfolgen. Und verbessern. Die Chips sollen aber nicht eingenäht, sondern angehängt und nach dem Bezahlen abgeschnitten werden – ähnlich wie manche Sicherheitsetiketten heute schon. »Dann können wir sie wiederverwenden«, so Metro-Projektleiter Gerd Wolfram.
Ein Alltag ohne RFID-Chips ist also möglich. Was fehlt, ist eine Verpflichtung des Handels, es dem Verbraucher dauerhaft leicht zu machen.
Den Datenschützern würde aber nicht einmal das ausreichen. Foebud und DVD fordern vorbeugende Gesetze. »Das Bundesdatenschutzgesetz muss an die neuen Möglichkeiten des Datensammelns angepasst werden«, sagt Tangens. »Auch die Strafen für den Verstoß gegen das Gesetz müssen verschärft werden, damit es wirksam wird.«
Mit diesen Forderungen steht Foebud bisher allein. Beim zuständigen Bundeswirtschaftsministerium finden die Bürgerrechtler kein Gehör. Nicht einmal der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, glaubt, dass eine Gesetzesänderung derzeit notwendig ist.
Und so ist die Liste derer lang, die beim Informationsforum RFID der Industrie am heutigen Donnerstag zugesagt haben. Nur Foebud und DVD sind nicht eingeladen.
Goetz Hamann
Die Zeit, Hamburg, 19. Januar 2006
Original: http://www.zeit.de/2006/04/RFID?page=all