"Es wäre wundervoll, wenn Frauen die Datennetze nicht als eine andere, ihnen fremde Weit ansähen, sondern die Netze in ihr Leben einbeziehen und ihre Lebenserfahr ungen wiederum in die Netze einfließen lassen", sagt Rena Tangens (oben). Die Bielefelder Künstlerin, Programmiererin und Mitbegründerin der Bionic-Mailbox, beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Frauen und Netze. Dies ist auch der Titel eines rororo-Online-Führers, den sie gemeinsam mit Gabriele Hooffacker geschrieben hat.
Nach jüngsten Erhebungen sind 6,5 Prozent der deutschen
Bevölkerung ab 14 Jahre online. Davon sind 73 Prozent männlich
und nur 27 Prozent weiblich. Wie kommt es zu diesem krassen
Mißverhältnis?
Tangens: Ich bezweifle, daß es überhaupt möglich ist, genaue
und repräsentative Angaben über den Anteil der Frauen im
Internet, in Datennetzen und Online-Diensten zu machen. Klar ist,
daß Frauen in den Datennetzen momentan eine Minderheit
darstellen. In den Medien entsteht allerdings oft der Eindruck, daß
Frauen keine Ahnung von Technik h aben, ängstlich sind oder sich
nicht dafür interessieren. Frauen im Netz seien Opfer männlicher
Anmache. Und im übrigen kämen Frauen im Netz vor allem passiv in
Form pornographischer Bilder vor. Es nervt mich, daß Frauen als
Opfer dargestellt werden, deren Beziehung zur Technik problem beladen
ist. Natürlich gehen Frauen mit dem Internet anders um, weil sie
generell anders kommunizieren als Männer. Sie tauschen häufiger
private E-Mails aus, als sich in Newsgroups ”ffentlich zu
äußern. Das ist sehr ärgerlich. Männer haben da keine Hem
m ungen. Frauen sollten lernen, sich in Konfliktsituationen mit
ernsthafter Kritik auseinanderzusetzen.
Was hält Frauen denn nun wirklich davon ab, sich diese Technologie
anzueignen?
Tangens: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Klar, es gibt die
plumpe Anmache im Netz, aber das ist nicht das eigentliche
Problem. Schlimmer ist, wenn zum Beispiel meine Kompetenz in Zweifel
gezogen wird, eil ich eine Frau bin. Was die Frauen aber wirkli ch
daran hindert, gleich berechtigt am ”konomischen, politischen
kulturellen und eben auch am Netz-Leben teilzunehmen, ist der
Androzentrismus, die Wahrnehmung allen Lebens von einem männlichen
Standpunkt aus. Das Netz ist alles andere als universell. Es spiegelt
nicht die Lebenswelten und Erfahrungen von Frauen wider.
Mittlerweile gibt es in Deutschland mit FemNet und Woman zwei Netze
die allein Frauen vorbehalten sind. Sowohl User als auch
Systembetreuer sind weiblich. Besteht nicht die Gefahr, daß Frauen
sich in abgeschirmte Nischen zurückziehen und der mühsamen
Aufgabe ausweichen, im ”ffentlichen Raum etwas zu verändern?
Tangens:Natürlich ist es wichtig, daß Frauen
überall sichtbar werden. Aber wir brauchen auch die Nischen. Es ist
notwendig, Regeln zu haben, an die sich alle halten, damit die soziale
Gemeinschaft im Netz funktioniert. Und die müssen im Netz
entwickelt werden. Mit dem Massenansturm auf das Internet wurden
Regeln und Umgangsformen, die einst galten, außer Kraft
gesetzt. Die Verbindlichkeiten verschwinden.
Wie sähe deine persönliche Vision frauenfreundlicherer Netze aus?
Tangens: Der Frauenanteil muß mindestens ein Drittel betragen,
damit wir als Gruppe nicht ignoriert werden können. Frauen
müssen an der Gestaltung der Technik und Software mitarbeiten, die
Netzstruktur organisieren und das inhaltliche Angebot
strukturieren. Zweitens müssen wir uns auf andere Grundsätze bei
der Vernetzung einigen. Wir brauchen menschliche Netzwerke, an denen
sich alle beteiligen können, nicht nur die mit dem tollsten
Computer und dem neuesten Pentium-Prozessor. Das weltweite Internet
ist ein Witz: Leitungen gehen nur dahin, wo Geld ist. Wir müssen
uns fragen: Wie möchten wir, daß unsere Gesellschaft aussieht?
Und danach wird das Netz entworfen. Wir müssen von der Vision einer
lebenswerten Gesellschaft ausgehen, und nicht von den Sachzwängen
des Netzes.
Die Fragen stellte Anke Groenewold
Neue Westfälische, 15. November 1997