Von Kristina Debelius
Sie wird die "Lara Croft" des digitalen Untergrunds genannt und ist in Wahrheit eine gefährliche Viren-Schreiberin: "Gigabyte" ist 18 Jahre alt, Belgierin und dem Computer verfallen. Und sie ist eine exotische Spezies im Netz: eine Häckse.
Hacker oder Viren-Schreiber - das sind realitätsfremde, bleichgesichtige Nerds, die nächtelang rauchend und Cola trinkend Codes knacken, Viren programmieren oder sich in das Rechensystem des russischen Geheimdienstes einhacken - so das Klischee, dem "Gigabyte" nicht entsprechen will. Stattdessen hört sie gerne House, Techno oder Trance Music, feiert Partys, geht zur High-School und nimmt Unterricht im Kickboxen - das schreibt sie auf ihrer Homepage. Einen Freund hat sie auch, selbstverständlich einen aus der Hacker-Szene.
In die Schlagzeilen geriet "Gigabyte" durch "Sharpei", der erste Virus in Microsofts Programmiersprache C#, ein gefährlicher Wurm, der großen Schaden anrichten kann. Seitdem wimmelt ihre Website von Einträgen männlicher Bewunderer. Ein ungewöhnlicher Fall in einem von Männern dominierten Terrain, der aber auch zeigt, dass sich Frauen nicht immer gelangweilt ihre Nägel lackieren, während die Jungs sich selbst als Helden des Cyberspace feiern. "Ich will, dass die Leute (besonders die Jungs) wissen, dass es auch Mädchen gibt, die Computer mögen - und zwar nicht nur zum Spielen. Ich glaube, das ist ganz wichtig .... ", sagt Gigabyte gegenüber der Netz-Zeitung "Computerusers".
Mädchen wollen immer nur das eine Dass Mädchen sich nur einen Typen angeln wollen, wenn sie plötzlich in der Hackerszene auftauchten, sei ein weitverbreitetes Vorurteil, sagt die Cyberfeministin, "Häckse" und Künstlerin Cornelia Sollfrank. In Wahrheit können es viele von ihnen längst mit ihren männlichen Kollegen aufnehmen: Das zeigt auch das Beispiel der 19-jährigen "Fill" (so ihre Pseudonym) aus Berlin. "Mein Bruder hat mir irgendwann mal den Computerkram gezeigt und mein Vater hat uns die Hardware hingestellt, ich bin praktisch damit aufgewachsen. Der Computer ist mein Hauptlebensinhalt. Das macht mir einfach Spaß. "
Eines ihrer Spezialgebiete ist das so genannte Wardriving, das Einhacken in drahtlose Büronetze. "Man fährt mit dem Auto rum, um Lücken in den Funknetzen aufzuspüren. Wenn man sich in diese drahtlosen Funknetze einhackt, ist man quasi wie in der Firma drin. Als Hacker bleibt man dabei völlig anonym, im Gegensatz zum klassischen Hacking, wo man durch den Telefonanschluss zurückverfolgt werden kann." Auch sie gehört zu den Häcksen, ein loses Netzwerk von computerbegeisterten Frauen und Mädchen, das Ende der Achtziger aus dem Chaos Computer Club hervorgegangen ist.
Wie ihre Kollegen wollen auch sie nicht mit "Crackern", beziehungsweise "Cräcksen" verwechselt werden. Cracker knacken beispielsweise Software- Programme oder betreiben Wirtschaftsspionage. Ein zerstörerischer und krimineller Akt. Hacker dagegen lieben die intellektuelle Herausforderung, wollen Probleme lösen und suchen beispielsweise nach Sicherheitslücken im Netz, um Datenmissbrauch zu verhindern.
Und dabei wollen sich die Häcksen die Tastatur nicht aus den Händen nehmen lassen. Dazu wollen sie Frauen mit Vorträgen oder Workshops ermuntern und zeigen, dass auch Frauen kreativ und "respektlos" mit Computern umgehen können. Die Häcksen treten nur selten als geschlossene Gruppe auf und unterscheiden sich ziemlich in Alter und persönlicher Motivation. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 22 und 23 Jahren, die Spanne reicht von 14 bis zu 40 Jahren, zurzeit sind etwa 30 bis 35 Häcksen dabei, das sind etwa zehn Prozent des CCC.
Während die jüngeren Häcksen die Konkurrenz mit den Männern eher sportlich sehen, kommen viele "Häcksen der ersten Stunde" eher aus dem cyberfeministischen Kontext. Dazu gehört auch Cornelia Sollfrank. "Der Bereich Technik ist immer noch von Männern dominiert. Technologische Systeme kontrollieren Wissen und Information, und daher auch Macht. Hacker sind weiß und männlich, das heißt, sie repräsentieren genau das System, das sie eigentlich unterwandern wollen."
Hacken Frauen also anders? Woran erkennt man eigentlich einen weiblichen im Gegensatz zu einem männlichen Hacker? "Was die technische Seite angeht, gibt's keinen Unterschied, aber die Herangehensweise ist bei Frauen häufig pragmatischer. Viele Frauen fragen nach dem Nutzen, viele Männer versinken darin, steinalte Computer wieder zum Laufen zu bringen," meint "Fill".
Aber, sähen denn Computerprogramme anders aus, wenn sie von Frauen geschrieben würden? "Ich würde niemals sagen, dass Frauen anders programmieren als Männer, es handelt es sich hierbei eher um eine Art Androzentrismus, Computerprogramme werden eben von Männern geschrieben, und auch Computerprogramme schaffen eine Sicht der Welt. Dabei nimmt man einfach an, dass die männliche Sicht die normale und allgemeingültige ist. Frauen werden dabei gar nicht wahrgenommen", so die Künstlerin Rena Tangens - die Initiatorin des "Häcksen"-Netzwerks.
Warum aber gibt es so wenige Frauen, die hacken? Dieser Frage ging Cornelia Sollfrank auf den Grund und erhielt teils kuriose Begründungen. Hacking sei typisch für männliche Jugendliche, die einen voyeuristischen Power-Trip suchten. "Es ist nicht so, dass Frauen zum Hacken physisch oder intellektuell nicht in der Lage wären, es ist nur so, dass sie überhaupt keinen Grund haben, das zu tun", meinte Bruce Sterling, Science-Fiction-Autor und Kenner der amerikanischen Hacker-Szene.
Eine andere Expertin, Gail Thackeray, eine bekannte amerikanische Hacker-Jägerin, verglich den Reiz beim Hacken mit dem Reiz von Rollenspielen wie Dungeons & Dragons - auch eine eher männliche als weibliche Obsession, so Thackeray. "Es ist ein falscher Machtrausch, die Illusion von Kontrolle, der Wunsch, ein System zu beherrschen," folgert sie.
Frauen spielen mit Puppen, Jungs mit Autos, Frauen wollen reden, Männer wollen Macht, Mädchen klauen Nagellack, Jungs hacken Websites: Festgefahrene Rollenbilder, die immer wieder gerne reproduziert werden. Dass Technik männlich und beispielsweise Kommunikation weiblich besetzt sei, sei auf sozial konstruierte Rollenbilder zurückzuführen. "Das ist eine Sozialisationsgeschichte", meint Sollfrank. Na, dann: Ran an den Code! Auch Hacker werden nicht mit dem goldenen Code im Mund geboren.
Spiegel Online, 17. Juni 2002
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0%2C1518%2C201175%2C00.html