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Technophilie und Menschenkenntnis

IM GESPRÄCH o Der Bielefelder Verein FoeBuD versteht sich als Anlaufstelle für alle, denen eine demokratieverträgliche Vernetzung am Herzen liegt. Rena Tangens und padeluun über freie Bürgernetze und die Schaffung angenehmer Räume

FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) Ist seit nun schon zehn Jahren In Sachen "Freie Bürgernetze" aktiv. Angefangen hat alles In einer Galeroe mit einem Ausstellungsprojekt, zu dem er unter anderem den Chaos Computer Club aus Hamburg eingeladen hatte. Weltweite Aufmerksamkeit bekam er vor drei Jahren durch seine Funktion als Schaltstelle des ZaMir-Netzes, das während des Kriegs zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien der Bevölkerung Kommunikationskanäle zur Verfugung stellte.

FREITAG: Man kann sich heute des Eindrucks nicht erwehren, daß es im allgemeinen Internet-Hype um die Pioniere der Netz-Kommunikation wieder ruhig geworden ist. Oder entspricht diese Einschätzung eher einem durch die Medienberichterstattung verzerrten Blick?

RENA TANGENS: Das stimmt schon, hat aber eher etwas mit Wahrnehmungspsychologie zu tun. Vor einigen Jahren hieß es noch "Dfü" und "MailBox-Netze", mittlerweile wird von den Medien alles, was irgendwie mit Computer, Modem und Netzen zu tun hat, unter "Internet" subsummiert. Kostprobe: "Surfen im Internet für Bosnienflüchtlinge". Dies war tatsächlich der Titel eines kürzlich erschienenen Artikels über unser Zamir Transnational Network! Tatsächlich sind wir überaus aktiv, aber wir pflegen eher die ruhigen Töne - könnte etwas mit unserer Liebe zu der Musik von Erik Satie zu tun haben. Wir sehen es unsererseits als wichtig an, Strukturen - gerade freie, selbstorganisierte Strukturen - kontinuierlich, für andere verläßlich aufrechtzuerhalten, zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Damit meine ich den FoeBuD und die BIONIC MailBox ebenso wie den Chaos Computer Club und jetzt mal ganz konkret auch das /CL-Neiz. Das /CL ist nicht einfach nur ein günstiger eMail-Anschluß oder ein bestimmtes inhaltliches Angebot, sondern viel mehr, nämlich eine Gemeinschaft von Menschen, die sich engagieren - nicht unbedingt in Parteien, aber im weitesten Sinne politisch. Gemeinschaft bedeutet, zusammenarbeiten, auch wenn mensch nicht derselben Meinung ist, die selbstgestellten Regeln achten und sich verantwortlich fühlen - nicht nur für die eigenen Taten, sondern auch für das Netz als Ganzes. So eine Struktur schmeißt man auch nicht einfach hm, nur weil gerade etwas anderes in Mode ist. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, daß wir mit den kulturellen und sozialen Erfahrungen im /CL als einer virtuellen Gemeinschaft den Internet-Enthusiasten (die "weltweit" und "Anarchie" sagen, aber "Kommerz" und "Ellenbogen" meinen) um jahre voraus sind.

FREITAG: Existieren die Kontakte nach Ex-Jugoslawien weiterhin, nun, wo der Krieg vorbei ist?

PADELUUN: Oh ja, die ZaMir-Vernetzung besteht weiter - und allein schon dadurch, daß wir sehen, welch große Mengen von Nachrichten dann verschickt werden, wissen wir, daß dieses Netzwerk für die Menschen dort eine wichtige Bedeutung hat. Eric Bachman vom FoeBuD, der das ZaMir Transnational Network mit Aktivisten vor Ort aufgebaut hat, ist weiterhin in Sachen Frieden in Bosnien, Serbien, Kroatien et cetera unterwegs. Die nächste Stadt, die ans ZaMir-Netz mit einer eigenen Box angeschlossen werden soll, ist Mostar - und zwar West- und Ost-Mostar. Außerdem gibt es Pläne für ein weiteres System m Bihac. Und mit dem Waffenstillstand ist der Krieg noch lange nicht vorbei. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die letzten Landminen geräumt sind - und das Trauma in den Köpfen wird noch viel länger bleiben. Genau deshalb ist ein solches Projekt wie ZaMir so wichtig: Kommunikation statt Konfrontation. Warn Kat - das ist der holländische Friedensaktivist, der durch sein Zagreb Diary, ein öffentliches Tagebuch, in dem er vom Alltag im Krieg schrieb, bekannt geworden ist - hat vor einiger Zeit einen Aufruf übers Netz geschickt, daß für die Arbeit m Flüchtlingscamps freiwillige Helferinnen und Helfer gebraucht werden - über 1000 junge Menschen aus aller Welt haben sich gemeldet, daß sie mitarbeiten wollen. "Wir haben unsere eigene UNO", sagte er.

FREITAG: Wie haben sich die Erfahrungen und Erfolge mit "ZaMir- auf die FoeBuD-Arbeit beziehungsweise die MailBox-Szene hierzulande ausgewirkt?

RENA TANGENS: Ich glaube, ZaMir hat vielen von uns geholfen, die Bedeutung unserer eigenen Arbeit zu verstehen. Also, wie wichtig freie Kommunikation mit unseren Mitmenschen ist, wie schlimm es ist, von ihnen abgeschnitten zu sein. Durch das ZaMir-Netz haben etliche wohl auch zum ersten Mal verstanden, daß absolute Zuverlässigkeit bei der Vernetzungsarbeit wichtig ist. Das heißt, eine eMail ist nicht einfach eine Datenmenge, die, falls falsch adressiert, einfach gelöscht wird, sondern eine eMail ist eine Nachricht, und diese kann unter Umständen über Leben und Tod entscheiden, wenn zum Beispiel eine Hilfslieferung nicht am richtigen Ort ankommt. Das ZaMir Transnational Network ist auch ein hervorragendes Beispiel für die Vorteile einer einfachen, kostengünstigen Vernetzung. Die meisten NetzteilnehmerInnen arbeiten hier mit sogenannten "Pointprogrammen". Das heißt, sie lesen und schreiben nicht "online", sondern sie bestellen sich die für sie interessanten Themenbereiche bei ihrer MailBox. Diese Nachrichten werden dort zusammen mit der persönlichen Post als eine komprimierte Datei zur Abholung bereitgelegt. Das Datenpaket wird per Modem mit einem kurzen Telefonanruf auf den heimischen Rechner heruntergeholt und dann m aller Ruhe "offline" gelesen und bearbeitet, ohne daß der Telefongebührenzähler rattert. Den Anruf bei der MailBox kann das Pointprogramm auch automatisch nachts zu den günstigen Telefontarifzeiten machen. Damit verteilen sich die Anrufe der Netzteilnehmer über den ganzen Tag, sie sind auch viel kürzer - so sparen nicht nur die einzelnen Netzteilnehmer Telefonkosten, sondern so ist es möglich, sehr viele Menschen mit nur wenigen Telefonleitungen zu bedienen. In Zagreb zum Beispiel werden 1300 Teilnehmer mit nur drei Telefonleitungen bedient. Unwichtiges technisches Detail? Nein, denn die Einrichtung einer neuen Telefonleitung kostet in Kroatien runde 1.500 DM und kann Jahre dauern! Vielleicht müssen wir uns auch erst noch einmal vor Augen hatten, daß AOL letztes Jahr 150 Millionen Dollar Verlust schreiben mußte und Btx (was jetzt T-Online heißt) nur durch jahrelange Quersubventionen aus unser aller Telefongebühren am Leben erhalten worden ist - dann erst bekommen wir eine Ahnung davon, was die Bürgernetze Z-Netz, CL und ZaMir alles aus eigener Kraft erreicht haben. ZaMir ist ein Aufruf, sich auf das Wesentliche zu besinnen - im Leben wie im Netz.

FREITAG: Gibt es, nach Eurer Erfahrung, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Kommunikationstechnologie und den Formen und Inhalten der Kommunikation?

RENA TANGENS: Aber ja. Software kanalisiert Kommunikation. Die Konzeption von Netzsoftware folgt bisher den Kriterien: schnell, bunt, viele Features und möglichst bequem für die einzelne Anwenderin!. Sie könnte aber eine Menge mehr sein: Eine wirklich gute Netzsoftware fördert gleichberechtigte Kommunikation, Diskussionskultur und gute Umgangsformen, sie ver schwendet keine Ressourcen, schafft keine neuen Hierarchien und achtet das Netz als sozialen Raum. Es ist durchaus möglich, all dies in einem Programm anzulegen - aber es erfordert Bewußtsein und so etwas wie Lebenserfahrung. Dafür gibt es viele Dinge zu beachten, viele Verhaltensweisen zu kennen oder vorauszusehen und wie sie sich auswirken auf das Zusammenleben im Netz. Deshalb haben wir uns entschlossen, an der Gestaltung einer Netzsoftware mitzuwirken und haben gemeinsam mit den Programmierern die Zerberus GmbH gegründet, um an dieser Stelle positiven Einfluß auf das soziale Leben in den Netzen zu nehmen und es als demokratisches Medium weiterzuentwickeln. Beispiel Privatsphäre: Zer berus war zumBeispiel die erste Netzsoft ware, die standardmäßig die Postfächer der Mailbox-Teilnehmer verschlüsselt hat. So war es für die Systembetreuung nicht mehr möglich, ma! eben die Post anderer Leute zu lesen. Das war ein Schritt, dem Hierarchieunterschied von Technikern zu Nichttechnikern entgegenzuwirken. Seit vielen Jahren promoten wir das Verschlüsselungsprogramm PGP. Und auch in unserem neuen Pointprogramm Charon ist PGP mit eingebunden, so daß endlich auch technisch nicht so versierte Menschen einen Briefumschlag für ihre elektronische Post zur Verfügung haben.

FREITAG: Habt Ihr Erkenntnisse über die soziale Struktur der MailBox-Szene?

RENA TANGENS: Statistiken, grundsätzlich alle Zahlen über das Netz, sind mit Vorsicht zu genießen. Aber von den Netzteilnehmer/innen, die wir persönlich kennen, können wir sagen, daß das relativ breit gestreut ist: Der Jüngste m der Bionic ist 13, der Älteste über 70, Frauen gibt es in den Netzen immer noch weniger als Männer, aber es werden mehr, insbesondere, weil auch die Zahl der Systembetreiberinnen wächst - das macht Mut. Und mit dem Woman-Netz (Women Only Mail And News) und FemNet (Frauen erobern MailBox-Netze)gibt es nun auch zwei reine Frauennetze. Früher waren im Verhältnis viele Technik begeisterte in den MailBox- Netzen oder auch Leute, die einfach mal ihr Modem ausprobieren wollten -erstere sind jetzt woanders, denn die brauchen ja immer den neuesten Kick und letztere gehen zu kommerziellen Internetanbietern, die ihnen aus jeder Computerzeitung in Form einer CD entgegenlachen und die ihnen die ersten zehn Stunden gratis nachschmeißen zum Anfüttern. In die MailBoxen kommen die Leute jetzt meist auf anderen Wegen, nämlich wenn ihnen das Herumklicken im WWW langweilig wird, wenn sie nach eigenen Gestaltungsmöglichkeiten suchen - oder auch, wenn sie ihre ersten hohen Telefonrechnungen bekommen haben. Sie finden zum einen in den Mailbox-Netzen ein Informationsangebot, das es nirgendwo sonst im Internet gibt, zum anderen eine anregende Streitkultur in den Diskussionsforen der öffentlichen Breiter, wo kontrovers, aber auf hohem Niveau und im Rahmen der Regeln einer Gemeinschaft diskutiert wird. Dieses Netz ist keine abgezirkelte Szene. Da gibt es immer wieder Überraschungen zu erleben, wenn zum Beispiel Politiker Ideen aufgreifen, die sie im Netz gelesen haben, die sie so in andere Bereiche weitertragen.

FREITAG: Wie wirkt sich Euer KünstlerIn-Sein auf Eure Medien- und Netzarbeit aus?

PADELUUN: Für die Kunstwelt ist das immer noch schwer zu verstehen. Derweil hatten wir schon viele wechselnde Ausstellungen, waren auf der documenta und der ars electronica vertreten und waren auf Einladung des Canada Council mehrere Monate in verschiedenen Galerien in Kanada als artist in residence. Das ist die Grundlage von allem, was wir tun. Ich erwähnte ja schon Erik Satie, den französischen Komponisten, der um die Jahrhundertwende lebte. Der ist unser Namenspate -unsere Galerie heißt nämlich "Art d'Ameublement". Erik Satie hat Musik komponiert, die er "Musique d'Ameublement" nannte. Musique d'Ameublement (das heißt übersetzt "Musik wie Möbel" oder "Musik als Inneneinrichtung") ist nicht Musik zum ehrfürchtigen, passiven Zuhören, sondern Musik als ein Teil der Einrichtung des Raumes, der Atmosphäre - wie ein Stuhl oder die Wärme. Einem Stuhl klatscht du ja auch keinen Beifall wegen seiner genialen Vierbeinigkeit, sondern du benutzt ihn. Und in einer angenehmen Atmosphäre fühlst du dich willkommen, selber etwas zu tun. In diesem Sinne ist auch das Konzept der Galerie und des Projektes Art d'Ameublement zu verstehen: Kunst, die die Menschen nicht zu passivem Publikum macht, sondern ihnen einen Raum mit einer angenehmen, anregenden Atmosphäre zur Verfügung stellt, in dem sie selbst die handelnden Subjekte sind. Diese Kunst hat keinen Werkcharakter, sie manifestiert sich im Prozeß. Wir nennen es "Rahmenbau". In diesem Sinne verstehen wir auch unsere Arbeit in den Netzen - bei "Kunst im Netz" denken die meisten Leute sofort an Computergrafiken. Uns geht es aber nicht um künstlerische Eitelkeiten, sondern um das Netz als Ganzes: Wir wollen es zu einem angenehmen Raum machen.


Die Fragen stellte Kathrin Tiedemann

"Freitag", 17./18.04.1997

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