Der weitgehend unbemerkten Ausspähung der Konsumenten mit Kundenkarten, Data-Mining und Scoring sowie künftig mit winzigen Funkchips muss dringend Einhalt geboten werden. Darin waren sich Verbraucherschutzministerin[1] Renate Künast und der Bundesdatenschutzbeauftragte[2] Peter Schaar am heutigen Donnerstag auf einer Tagung ihrer beiden Häuser in Berlin zum Thema "Verbraucherpolitik in der digitalen Welt: Der gläserne Kunde?" einig. Das "Zauberwort" heiße dabei Transparenz, erläuterte Künast den von ihr bevorzugten Lösungsansatz einer stärkeren Selbstregulierung der Branche. Andernfalls will sie eine gesetzliche Regulierung nicht ausschließen.
"Die Datensammler des 21. Jahrhunderts sind die Unternehmen", umriss die Ministerin die Problematik aus ihrer Sicht. Der Staat als typische "Big Brother"-Schablone habe ausgedient, glaubt die Grüne, die sich anscheinend wenig mit den Debatten um den Großen Lauschangriff[3], die Vorratsdatenspeicherung[4] oder die ständige Zunahme der Telekommunikationsüberwachung[5] beschäftigt. Ihr ging es darum, "Leitplanken" für den "digitalen Verbraucherschutz" im 21. Jahrhundert zu umreißen. Ein funktionierender Markt hängt ihrer Ansicht nach insbesondere davon ab, dass Verbraucher mit der Wirtschaft "auf Augenhöhe agieren können."
Es sei keineswegs Ziel der Bundesregierung, sich neue technologische Möglichkeiten wie die der RFID-Technologie "entgehen" zu lassen, erklärte Künast. Möglichkeiten des Missbrauchs müssten aber "von vornherein eingedämmt werden." Ein "Redlining", also die Kennzeichnung bestimmter Wohnviertel als problematisch etwa bei der Kreditrückzahlung, dürfe es nicht geben. Zumindest müssten die Verbraucher verstehen, warum sie bestimmte Vetragsangebote nicht unterbreitet bekommen. "Unternehmen sollten ihren Kunden die ermittelten Scorewerte, die verwendeten Berechnungsverfahren und die zu Grunde gelegten Daten offen legen", forderte die Ministerin. Beim Scoring versuchten ursprünglich Banken, statistisch anhand zahlreicher personenbezogener Merkmale die Wahrscheinlichkeit nicht zurückgezahlter Kredite zu berechnen. Das Verfahren, das hierzulande etwa die Schufa in großem Stil betreibt, wird aber längst von Unternehmen aller Couleur bei fast jeder kommerziellen Entscheidung angewendet.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht die "eigentliche Gefahr", in der "Vernetzung und Verknüpfung" der Datenbestände. Eine Sache sei es, dass sich etwa mit der breiten Einführung von Funkchips einfacher Verbindungen zwischen den RFID-Kennungen und dem Käufer beziehungsweise Nutzer von Waren registrieren lassen würden. Auch könnte der Personenbezug durch Ausweise mit integriertem RFID-Chips hergestellt werden, mischte sich Schaar erneut in die Debatte um die Biometriepässe[6] ein. Datenschutzrechtlich relevanter sei aber die im Hintergrund einsetzende detaillierte und umfassende Profilierung einer Konsumentenpersönlichkeit. Diese sei "generell fragwürdig", da sie rasch mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht in Konflikt gerate.
Schaar wetterte zudem gegen die Praxis vieler Firmen, sich eine "Blankovollmacht" zur Profilerstellung mit der Abfrage einer Einverständniserklärung zur weiteren Bearbeitung der Daten zu "Marketingzwecken" einzuholen. Eine wirksame Einwilligung setze nämlich Informiertheit voraus. Kaum einem Verbraucher sei aber bewusst, dass die persönlichen Informationen auch im Ausland sowie zu Kredit- oder Personalbeurteilungen verwendet würden. Ferner sei die Qualität der Daten kaum zu gewährleisten. Der oberste Hüter der Privatsphäre der Deutschen betrachtete es daher mit Sorge, "dass immense Datenmengen aus den unterschiedlichsten Bereichen und die eingesetzten Data-Warehousing-Konzepte zu einer Überwachungs- und Kontrollmöglichkeit führen". Auch das Scoring hält Schaar für "gesellschaftspolitisch bedenklich", weil der Einzelne damit nicht mehr über sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit entscheiden könne. Eine datenschutzfreundliche Technik sowie die Schaffung von Wahlmöglichkeiten etwa auch für den anonymen Einkauf sind neben der Offenlegung der gespeicherten Daten für Schaar Ansätze zum Gegensteuern.
Vertreter der Wirtschaft bemühten sich auf der Veranstaltung, die Vorteile der angewendeten Techniken und Praktiken für die Verbraucher herauszustellen. "Scoring ermöglicht an immer mehr Stellen die vom Kunden gewünschte zeitnahe und kostengünstige Kreditvergabe", betonte Rainer Neumann, Vorstandsvorsitzender der Schufa[7]. Ohne die Leistungen seines Hauses könnte beispielsweise kein Kunde am Samstag in einem Elektronikgeschäft einen Fernseher auf Raten kaufen. Über das neue Webangebot Meine Schufa[8] will man aufklären und die knapp 8 Euro teure Eigendatenabfrage durch die Onlinebeantragung vereinfachen. Es oblag Rainer Metz vom Verbraucherschutzministerium, darauf hinzuweisen, dass schon eine Auskunftseinholung den Scorewert verschlechtern könne. Generell befürchtet er eine "Individualisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft" durch Scoring: "Es gibt immer kleinere Cluster; der eine muss hier mehr zahlen, der andere kriegt seinen Zahnersatz nicht mehr finanziert."
Den aus einer RFID-bestückten Warenwelt entstehenden Verbrauchernutzen, den Jörg Pretzel, Geschäftsführer des RFID-Kompetenzcenters GS1 Germany[9], vortrug, konnte auch nicht alle Teilnehmer überzeugen. Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln, die Prüfung der Verfügbarkeit von Waren im Regal, die einfachere Produktinformation, die mögliche Beschleunigung des Bezahlens oder die auf dem Chip gespeicherten Umtausch- und Garantiedaten wiegen zumindest laut Rena Tangens vom FoeBuD[10] nicht die Tatsache auf, dass die Menschen anhand der mitgeführten Schnüffelchips "verfolgt werden können". Die darauf gespeicherten "scheinbar anonymen Daten" seien durchaus auf Personen zu beziehen und damit für die Erstellung von Bewegungs- und Interessenprofilen zu benutzen. (Stefan Krempl) / (jk[11]/c't) (jk/c't)
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Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 21. April 2005
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