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[Auszug]

Daten ohne Schutz

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Aber nicht nur die Gefahr einer falschen individuellen Bewertung durch das Scoring erzürnt die Datenschützer, sie sehen auch in ihm eine ernsthafte Gefahr für die Gesellschaft. „Die Guten kommen ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“, sagt Rena Tangens von der Bielefelder Datenschutzinitiative „FoeBuD e.V.“ (Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs). So stuft eine große Auskunftsdatei alleinerziehende Mütter pauschal als nicht kreditwürdig ein. Und wer im falschen Viertel wohnt, darf bei manchen Versandhäusern nicht per Rechnung bezahlen. Dass die Informationen dem Einzelnen laut Bundesdatenschutzgesetz nicht zum Nachteil gereichen dürfen, interessiert da offenbar wenig. Diskriminierung per Scorewert – das hat eine neue Qualität.

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Interview

Rena Tangens ist Mitbegründerin des Vereins „FoeBuD e.V.“, der seit fünf Jahren die deutschen BigBrotherAwards verleiht.

MENSCHEN: Bei der Namensgebung der „BigBrotherAwards“ stand George Orwells Roman „1984“ Pate. Sind wir wirklich auf dem Weg in einen Überwachungsstaat?

Tangens: Der „BigBrotherAward“ wird mittlerweile in 16 Ländern vergeben und hat deswegen einen einheitlichen Namen. Aber als literarisches Vorbild wäre aber sicher „Der Prozess“ von Franz Kafka passender: Die Hilflosigkeit des Bürgers gegenüber einer anonymen Bürokratie, die über ihn entscheidet.

MENSCHEN: Sie schreiben auf ihrer Homepage: „BigBrotherAwards verleihen heißt: Bürgerrechte schützen.“ Wo sind die Bürgerrechte gefährdet?

Tangens: Es werden Daten gesammelt, die für sich genommen erstmal ganz banal erscheinen. Der Gedankensprung den man schaffen muss, ist der, dass mit Hilfe dieser Daten Menschen kategorisiert werden und behandelt werden. Menschen aber, die wissen, dass sie beobachtet werden, verhalten sich anders, zum Beispiel, indem sie versuchen, „unauffällig“ zu sein. Das kann bedeuten, dass sie Grundrechte wie freie Meinungsäußerung nicht mehr wahrnehmen. Oder nicht zu einer Bürgerversammlung gehen. Das ist kein Privatproblem, sondern das schadet der Demokratie.

MENSCHEN: Datensammler argumentieren gerne mit der Fürsorgepflicht. Mit Datenprofilen könne man beispielsweise Überschuldung verhindern, sagen sie.

Tangens: Man findet für alle Anwendungen gute Gründe. Für den Funkchip ließe sich anführen, dass damit verwirrte Menschen geortet werden können. Aber wenn man eine gute Sache passieren lässt, öffnet man auch dem Missbrauch das Tor. Wo es eine Datenbank gibt, gibt es auch eine Vorstellung davon, was man mit den Daten noch alles machen kann.

MENSCHEN: Was sind das für Vorstellungen?

Tangens: Die neuste Idee ist die individuelle Preisgestaltung mittels Funkchip-Kundenkarten. Das bedeutet, dass Kunden für dieselbe Ware unterschiedliche Preise zahlen, je nachdem, wie ihr Scorewert ist. Als lukrativer Kunde werde ich mit einem Sonderangebot belohnt, als jemand der Grundnahrungsmittel kauft, nicht. Und wer die Karte verweigert, muss den ganz teuren Preis zahlen. Vorstellbar ist auch, dass eine private Krankenversicherung bei Payback anfragt: „Machen sie bitte ein Mailing an Leute, die wenig Bier und Chips kaufen, dafür aber viele Frischeprodukte.“ Und diese Leute bekommen dann eine billige Krankenversicherung angeboten, und keiner merkt, auf welcher Selektion das beruht.

MENSCHEN: Dass Menschen, die sich gesund ernähren, belohnt werden, ist doch nicht schlecht.

Tangens: Das Problem ist: Kein Mensch fragt, für wen der Einkauf wirklich bestimmt war. Vielleicht war etwas für die Nachbarin dabei. Ich habe keine Chance mich zu erklären. Ich werde beurteilt aufgrund von Daten und nicht aufgrund von Wahrheit. Diese automatisierten Vorverurteilungen finden wir gefährlich. Und dann hat dieses System auch noch die Tendenz, unsozial zu sein. Warum soll ein Mensch, der schon keine teuren Frischeprodukte kaufen kann, auch noch mir einer teureren Krankenversicherung bestraft werden?

MENSCHEN: Das heißt: Datensammeln verstärkt die Entsolidarisierung in der Gesellschaft?

Tangens: Umgekehrt: Die Entsolidarisierung bringt die Notwendigkeit zum Datensammeln mit sich, denn wenn ich sage: „Ich zahle nur, was ich verbrauche“, dann müssten die entsprechenden Daten auch erfasst werden. Und so bauen wir eine Überwachungsstruktur auf.

MENSCHEN: Wie werde ich wieder Herr meiner Daten? Falsche Angaben machen?

Tangens: Falsche Angaben bringen nichts. Wichtig ist es, einer Firma mitzuteilen: „Ich bin gerne Kundin bei Ihnen, aber das finde ich nicht in Ordnung.“ Das macht Arbeit, wirkt aber.

Annette Wunschel, Oliver Tolmein, Heike Zirden

MENSCHEN - das magazin, Bonn, 01. Januar 2005
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