Ein Gespräch hat Frank Hansens Leben verändert. Er war 26 Jahre alt, arbeitete in Schwäbisch Hall beim freien lokalen Radio Störfunk, zuständig für Umweltschutz. Ein Kollege eines anderen Senders erzählte von einer Umweltreportage. Die Sendung habe den Hörern gefallen. Doch Tage später habe der Chefredakteur ihn beiseite genommen: Über den betroffenen Konzern solle er nicht mehr berichten. Hansen war empört. Er fragte sich, ob sich die im Grundgesetz garantierte Pressefreiheit so einfach einschränken lasse. Ihm fiel die Zeit ein, als er dreizehn war, 1983. Da wollte er gegen die Nachrüstung vor der Kaserne im schwäbischen Mutlangen demonstrieren. Doch väterliche Gewalt verhinderte seine Teilnahme. Spielten bei der Pressefreiheit große Konzerne eine ähnliche Rolle wie der Vater bei der Demonstration?
Seit dem Gespräch vor jetzt acht Jahren sind für den dreiunddreissig-Jährigen Fragen der Pressefreiheit im weitesten Sinn zu einer Art Hobby geworden. Vom Rundfunk kam er über Zeitungen und Fernsehen aufs Internet. Er merkte: Internet, das manche für das freieste Medium überhaupt halten, ist gar nicht so frei. Nicht nur, dass Provider Nutzer ausschließen können, und das nicht nur bei kriminellem Tun. Zudem ist jede noch so kleine Aktivität im elektronischen Netz zurückzuverfolgen. Technische Entwicklungen und politische Schritte bedrohen aus Hansens Sicht massiv den einst kaum kontrollierbaren Raum freier Kommunikation. Er fragt: Wem gehören die Strukturen der Kommunikation? Wer kontrolliert Informationen und wie? Werden im Grundgesetz garantierte Bürgerrechte bewusst übergangen? Warum gibt es kein Menschenrecht auf Kommunikation?
Hansen ist der Sohn eines Diplomingenieurs aus Eibau in der sächsischen Oberlausitz. Der Vater flüchtete 1951 aus dem 4000-Seelen-Dorf in der DDR, noch heute ein Zentrum für Werkzeug- und für Maschi-nenbau. Im schwäbischen Gaildorf baute er das mittelständische Unternehmen Thermopack auf, produzierte Kunststoffverpackungen. Mit dem Vater gab es zuweilen Streit, meist weil der Sohn nicht so wollte wie der alte Herr. Als der Vater 1987 starb, erbte der Sohn ein Riesenvermögen.
Mit seinem Geld wollte Frank Hansen immer etwas Sinnvolles tun. Er gibt, sagt er, ziemlich viel Geld für Lebensmittel aus; denn er kauft nur in Bioläden. Auch hat er eine zweistöckige Wohnung in einem von ihm sanierten Altbau in Berlin-Mitte. Natürlich fährt er ein großes Auto, »aber eins, das wenig Sprit verbraucht«. Doch: »Ich habe keine Yacht, gehe in keine Spielbank, kaufe mir keine Designerklamotten, fahre 2. Klasse mit der Bahn.« Er findet. wie in Grundgesetzartikel 14 festgeschrieben, »Eigentum verpflichtet«.
Er suchte lange, wie er sich als »Privatier« in diese Gesellschaft am besten einbringen könnte. Bis er im Sommer 2002 einen Artikel über die neue Bewegungsstiftung las. Sie will Kampagnen sozialer Bewegungen und gesellschaftlichen Wandels mit Spenden reicher Leute fördern. Hansen wurde Zustifter. Da er viel spendete, kam er in den Beirat der Stifter. Dort sprach er seine »Magenschmerzen« mit der Kommunikation an. Müsste man nicht da auch Initiativen entwickeln? Die beste Lösung war eine eigene Stiftung: Bridge nannte er sie, das steht für »Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft«. Es soll so sein, dass Interessierten beim englischen Wort für »Brücke« eigene Gedanken durch den Kopf gehen. Organisatorisch ist Bridge Teil der Bewegungsstiftung. Auf andere Zustifter wartet Hansen noch. »Bridge soll kein Einmannbetrieb bleiben, sondern eine eigenständige Stiftung werden.«
Im vergangenen Herbst lobte Bridge einen Preis für Initiativen gegen die drohende Einschränkung der Bürgerrechte in der digitalen Welt aus, dotiert mit 15000 Euro. Drei Monate nach der Gründung hatte die Stiftung noch nicht so viel Geld erwirtschaftet; Hansen legte den Rest drauf. Die Jury entschied sich für den Bielefelder Verein Foebud. Er will ein kleines elektronisches Spielzeug für die Allgemeinheit bauen, das erkennen lässt, etwa durch Pieptöne, ob einer der neu entwickelten Funkchips im Umfeld seines Besitzers auftaucht.
Diese Chips funktionieren nach dem Prinzip der Radar- oder Funkwellen. Sie sind mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar. Bald sollen sie den Strichcode auf Waren ersetzen und Diebstähle verhindern. Das Raffinierte: Die Chips lassen sich heimlich einsetzen, im Schal oder im Schuh. Es gibt sie in passiver und in aktiver Form. Passive melden sich, wenn ein Lesegerät sie anstrahlt. Aktive sammeln Daten - erfasst sie ein Lesegerät, übermitteln sie die Daten über das weitere Tun des Käufers. Auch die Lesegeräte sind heimlich einsetzbar, passen in Tür- oder Fensterrahmen. Passive Chips liefern Bewegungsabläufe, aktive ganze Käuferprofile.
Hansen freut sich, dass sein Geld dazu beitragen kann, eine gerade erst entstehende Sache - erste Läden mit Funkchips gibt es bereits - aufzuhalten oder wenigstens zu kanalisieren. Er ist auch froh, dass die Jury das eingereichte Projekt änderte. Das Gerät sollte nämlich die Funkchips zerstören. Die prämierte Version könnte ihm juristische Streitereien ersparen. Eine erneute Ausschreibung soll es nicht geben. Künftig will Hansen zusammen mit andern Stiftern und Experten entscheiden, welcher im Laufe des Jahres eingereichte Antrag am besten die Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft schützen kann.
Der reiche Erbe sieht in Bridge sein Geld gut angelegt, ganz im Sinne seines einstigen Journalistenkollegen, der auf Order von oben nicht mehr über einen Konzernmulti berichten durfte. Sollte es Foebud gelingen, mit dem Bridge-Preis die heimliche Ausbreitung der Funkchips wesentlich zu behindern, wäre Frank Hansen ein Platz im Geschichtsbuch der Nationen nicht zu nehmen. Kontrollfanatiker aber, für die nur 100 Prozent Kontrolle 100 Prozent Sicherheit bieten, würden sich - weltweit - kräftig ärgern.
Karl-Heinz Baum
Publik-Forum, Oberursel, 01. Februar 2004
Original: http://www.publik-forum.de/ausgabenarchiv/?id=2208