Bielefeld (WB). Die Sammelleidenschaft ist ihnen ein Dorn im Auge, doch nur, wenn es um private Daten geht. Rena Tangens und padeluun kämpfen gegen die zunehmende Datenerhebung und -verwertung durch Unternehmen und staatliche Stellen – und das seit nunmehr 25 Jahren. Eine Kunst, in zweifacher Hinsicht.
»Dabei fühlen wir uns gar nicht als Datenschützer.« sagt Rena Tangens. Zusammen mit padeluun hat sie 1987 den Foebud, den »Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs« gegründet. Da waren beide schon seit geraumer Zeit in der Kunstszene aktiv und betrieben die Galerie »Art d’ameublement« an der Marktstraße. Dort war 1985 für ein Wochenende der Chaos-Computer-Club zu Gast, drei Tage und Nächte hockten die Mitglieder als Medienkunstwerk im Schaufenster.
Eine Ausstellung mit Folgen: Interessierte Besucher wollten sich auch weiterhin mit den Galeristen treffen, um über Technik, Wissenschaft, Kunst und Kultur zu diskutieren – die Veranstaltungsreihe »Public Domain« im Bunker Ulmenwall war geboren. Daraus entstand wenig später der Verein Foebud – und eine langer Kampf für Bürgerrechte, freie Kommunikation und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter, der, 25 Jahre später, »Bielefeld zur Hauptstadt des Datenschutzes gemacht hat«, freuen sich Rena Tangens und padeluun.
Der Verein richtet eine eigene Mailbox ein, über die später im jugoslawischen Bürgerkrieg die Menschen zwischen den Regionen via Bielefeld Kontakt halten können, legt sich im Kampf für mehr Datenschutz immer wieder mit großen Firmen und Institutionen an und verleiht seit dem Jahr 2000 in Deutschland den »Big Brother Award« an Unternehmen, Organisationen oder Politiker, die erheblich die Privatsphäre der Bundesbürger verletzten.
Foebud kontra Microsoft oder Bayer AG – David gegen Goliath. »Wir wollen den Menschen zeigen: Der Einzelne kann etwas tun«, sagt Rena Tangens und verweist auf die Erfolge, die Foebud in der Vergangenheit erzielen konnte.
2004 deckte der Verein auf, dass nicht nur die Waren, sondern auch die Payback-Rabattkarten eines Mustersupermarktes der Metro AG einen RFID-Schnüffelchip enthielten. Der Konzern zog die Karte zurück, das Aufsehen war auch international groß, der Kurs der Metro-Aktie brach ein. Eine vom Foebud initiierte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung hatte im März 2010 Erfolg, für die Ausrichtung des Big-Brother-Awards, den »Oscar für Datenkraken«, wurde Foebud 2008 mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.
Vor dem Verein aus Bielefeld haben längst auch multinationale Konzerne Angst, das Fachwissen aus Ostwestfalen ist an höchsten Stellen gefragt. So setzt auch der Deutsche Bundestag in Sachen Datenschutz auf Know-How aus Bielefeld, berief padeluun in die Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft. Bei allem Erfolg, hinaus in die Zentren der Macht will der Foebud nicht. padeluun: »Hier können wir ungestört arbeiten. Die Ostwestfalen zeichnet eine besondere Hartnäckigkeit aus. Wenn sie sich für eine Sache entschieden haben, bleiben sie dabei.«
Und es werden mehr. 550 Mitglieder hat Foebud inzwischen, zwölf feste Mitarbeiter. »Die machen das alles sehr gut, so gut, dass Rena und ich uns immer öfter mal ausklinken können.« So bleibt ihnen in naher Zukunft, hoffen Rena Tangens und padeluun, wieder mehr Zeit für andere künstlerische Aktivitäten. Ihren Kampf für Bürgerrechte und freie Kommunikation wollen sie in jedem Fall weiterführen.
»Das ist eine Aufgabe geworden, die man nicht fallen lassen kann,« erklärt Rena Tangens und padeluun ergänzt: »Wir haben in Deutschland das beste Datenschutzgesetz der Welt. Aber wir müssen unaufhörlich daran arbeiten, dass es so bleibt.« Diese Arbeit habe dann auch Strahlkraft auf andere Länder, wo noch Nachholbedarf in Sachen Datenschutz bestehe.
:::»Bequemlichkeit ist Feind der Freiheit«::: Ein Interview mit Rena Tangens und padeluun über digitale Gefahren
Sie kommen ursprünglich aus der Kunstszene und haben einmal gesagt, die Arbeit von Foebud sei Teil eines fortgesetzten Kunstwerks. Wie groß ist der Kunstaspekt heute noch in Ihrer Arbeit und wie sieht er aus? Rena Tangens: Für uns ist das immer noch ein Kunstprojekt - Kunst im Sinne von Erik Satie, der Musik komponiert hat, die benutzt, nicht bewundert werden soll. Es ging ihm darum, den Leuten ein angenehmes Gefühl zu vermitteln. padeluun: Auch wir wollen eine anregende Umgebung, einen Rahmen schaffen, um dort Dinge geschehen zu lassen. Kunst ist für uns kein bestimmtes Projekt, sondern eben dieser Rahmen.
Bei der geplanten Volkszählung 1983 gab es in der Bevölkerung einen Aufschrei der Entrüstung über aus heutiger Sicht harmlose Fragen, heute stellen die Leute bedenkenlos ihr ganzes Leben für alle sichtbar ins Netz. Macht da der Kampf für Datenschutz überhaupt noch Sinn? padeluun: Es ist eine Mär, dass früher die Proteste gegen Datenerhebung größer waren. Bei der größten Kundgebung gegen die Volkszählung in den 80er Jahren waren 15 000 Menschen, gegen die Vorratsdatenspeicherung haben 2008 in Berlin fast 100 000 Menschen protestiert. Nur das Beharrungsvermögen war früher größer. Rena Tangens: Wie notwendig dieser Kampf ist, zeigt zum Beispiel die Volkszählung im vergangenen Jahr. Da wurden nur noch zehn Prozent der Menschen befragt, den Rest erledigten Datenbanken, deren Inhalt für ganz andere Zwecke gesammelt worden war, da aber ohne Zweckbindung genutzt wurden, um sie zusammen zu führen. Das pervertiert die Zweckbindung von Daten und ist unserer Ansicht nach nicht verfassungskonform. Das Machtgleichgewicht verschiebt sich zu Ungunsten des Einzelnen.
Und wenn dann doch einer sagt: Ich habe nichts zu verbergen? Rena Tangens: In dem Zusammenhang erzählen wir gerne die Geschichte von einem hochrangigen Google-Mitarbeiter. Die Computerzeitschrift »ct« wollte eine Geschichte machen zum Thema »Was man über Menschen im Netz so alles findet« und er hatte sich zur Verfügung gestellt. Als der Google-Mensch dann am Ende gesehen hat, was die ct-Redakteure alles über ihn herausgefunden hatten, Fotos von seinen Kinder und vieles mehr, hat er die Veröffentlichung des Artikels untersagt. padeluun: Wissen gibt Macht über eine Person. Je mehr Wissen an zentralen Punkten gesammelt wird, um so gefährlicher wird es. Das kann keinem egal sein, sollte es zumindest nicht.
25 Jahre Arbeit im Datenschutz heißt ja wohl auch: 25 Jahre ein Leben am und im Computer. Möchte man da nicht einfach mal den Netzstecker ziehen und sagen: Ich bin jetzt weg! Rena Tangens: Dafür gehe ich Wandern in den Alpen. padeluun: Und ich war gerade zwei Wochen in Finnland, ohne Strom und fließend Wasser. Also: Ja, möchte man und machen wir.
Worauf muss sich denn der Bürger in den kommenden 25 Jahren technisch einstellen und wo lauern die Gefahren? padeluun: 25 Jahre sind eine lange Zeit. Als wir 1987 gesagt haben, dass in nicht allzu ferner Zukunft fast jeder einen Computer haben wird und diese alle miteinander vernetzt sein werden, haben die Leute uns einen Vogel gezeigt. Also machen wir besser keine Voraussagen, was da noch kommen kann. Rena Tangens: Die Gefahr lauert in der Bequemlichkeit. Bequemlichkeit ist der Feind der Freiheit. Trotz Computer oder Handys oder was da noch kommt müssen wir selbst das Steuer in der Hand behalten, selbst entscheiden. padeluun: Das ist wie beim Autofahren. Als Beifahrer nimmt man die Strecke ganz anders wahr, kann sich an Wesentliches kaum erinnern, im Gegensatz zu dem Fahrer. Wir dürfen nicht Beifahrer des eigenen Lebens werden. Das ist die Gefahr. Wir haben es in der Hand, was auf uns zukommt und wie es auf uns zukommt. Dazu müssen wir uns weiterhin aktiv einbringen.
Heinz Stelte und Thomas F. Starke (Foto)
Westfalenblatt, Bielefeld, 28. August 2012
Original: http://www.westfalen-blatt.de/index.php?id=618&tx_ttnews[swords]=foebud&tx_ttnews[backPid]=657&tx_ttnews[tt_news]=9022130&cHash=9de818f8d2809ac1a71939cf09f02350