Die SPD will in NRW eine massive Verschärfung von Videoüberwachung, Rasterfahndung und von Platzverweisen durchdrücken. Die Bühne der Verhandlungen sind die aktuellen Krisengespräche mit dem grünen Koalitionspartner. Die Grünen sind gegen die Verschärfung, so wurde es zumindest auf der vergangenen Landesdelegiertenkonferenz im Mai von der Partei beschlossen. Druck machen jetzt Bürgerrechtler, Unterstützung kommt von der SPD-eigenen "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen".
Von Manfred Horn
Die NRW-SPD legt sich auf eine Verschärfung der inneren Sicherheit fest. In dem Papier "Bündnis für Erneuerung _ Aufbruch für NRW", das die SPD-Grundlage für die Verhandlungen mit dem grünen Koalitionspartner über eine Neujustierung der Koalition bildet, fordert man die "landesgesetzlichen Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Videoüberwachung, Rasterfahndung und des Platzverweises" zu schaffen. Die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen vom 23. Mai lehnte mit Zweidrittelmehrheit genau diesen Vorschlag ab, auch die "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen" senkte den Daumen. Zudem macht jetzt ein breites Bündnis von Datenschützern und Bürgerrechtlern gegen die Verschärfung des NRW-Polizeigesetzes mobil.
Im Vorspann des SPD-Papiers formulieren die NRW-Genossen, Regierungen erhielten die Zustimmung der Menschen für ihr Tun und nicht für Nichtstun und Unterlassen. Bürgerrechtler fragen sich allerdings, ob es sich in den Punkten Videoüberwachung, Rasterfahndung und Platzverweis nicht um blinden Aktionismus handelt. In einer unter anderem von Hans Lisken, ehemaliger Düsseldorfer Polizeipräsident, dem Verein FoeBuD, Initiatoren der deutschen "Big Brother Awards", Nils Leopold, Geschäftsführer der Humanistischen Union, Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte sowie den Fraktionsvorsitzenden der Münsteraner und Bielefelder Grünen unterzeichneten Erklärung werden die die Vertreter der Grünen wie der SPD in den Koalitionsgesprächen aufgefordert, sich den "undurchdachten und populistischen Vorschlägen zu verweigern". Die geplanten Verschärfungen seien "unverhältnismäßig" und würden die Grundrechte zahlloser unbescholtener Bürger verletzen, ohne einen Beitrag zur Verbesserung der Kriminalitätsprävention zu leisten.
Durch die geplanten Überwachungs-Kameras und die damit verbundene öffentliche Beobachtung werde ein "Konformitätsdruck erzeugt, der geeignet ist, die Bürgerinnen und Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte, z.B. von der Teilnahme an Versammlungen, abzuhalten". Der Druck auf soziale Randgruppen werde erhöht, die Innenstadt zu meiden. Dass sich die Videoüberwachung bundesweit in immer mehr Städten durchsetze, sei kein Argument für diese. Es gebe keinen Beleg für den behaupteten Nutzen dieser Maßnahme. Eine im Auftrag britischen Regierung durchgeführte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Videoüberwachung zu keinem signifikanten Rückgang der Kriminalität geführt hat. Die Anbringung einer verbesserten Straßenbeleuchtung trage zur Kriminalitätsverhütung mehr bei.
Umstritten endete auch ein Überwachungsmodellversuch in Bielefeld, wo vom Februar 2001 bis März 2002 im Pilotversuch Kameras zur Überwachung eines sogenannten "Kriminalitätsschwerpunkts" aufgebaut wurden. Während das NRW-Innenministerium auf die "erfolgreichen Zahlen" verwies und sich in der Umsetzung in ein verschärftes Gesetz bestärkt sieht, bemerken Datenschützer, dass die Zahl der Straftaten im Zeitraum der Kamerainstallationen sogar um 50 Prozent anstieg, von sechs Straftaten im Jahr 2000 auf neun Straftaten im Jahr 2001. Die Zahl der Delikte sei bereits vor Einführung der Kameras zurückgegangen, weil bereits im Jahr 2000 auf dem Pilotprojekt-Gelände Ravensberger Park Sträucher zurückgeschnitten worden seien und neue Beleuchtung installiert worden sei. Gleichzeitig seien in der Stadt die Angebote für Alkohol- und andere Suchtkranke deutlich verbessert worden: Damit sei die Notwendigkeit verringert worden, sich im Park aufzuhalten.
Umstritten ist, ob bei einer derart geringen Zahl von Straftaten überhaupt von einem Kriminalitätsbrennpunkt gesprochen werden kann. Nur circa 0,2 Prozent der in Bielefeld verübten Straftaten finden in diesem Park statt. Die geringe Zahl der Straftaten war für den Gutachter Klaus Boers vom Institut für Kriminologie der Universität Münster Grund zu sagen, eine Evaluation könne es nicht geben, da nicht genügend Zahlen vorliegen.
Nach den Plänen der SPD soll die Videoüberwachung nunmehr nahezu schrankenlos ermöglicht werden. Die Beschränkung auf "Straftaten von erheblicher Bedeutung" wird aufgegeben, Aufzeichnungen können dann bis zu einem Monat gespeichert werden. Nach geltendem Recht ist lediglich dann eine Aufzeichnung von Videoaufnahmen an Kriminalitätsschwerpunkten möglich, wenn diese zur Strafverfolgung benötigt werden. Innenminister Fritz Behrens hofft vor allem auf eine abschreckende und damit vorbeugende Wirkung.
Die Bürgerrechtler sprechen sich ebenso gegen die Rasterfahndung aus. Allein in NRW wurden im Zuge der Rasterfahndung nach den Anschlägen vom 11. September die Daten von fünf Millionen Männer erhoben. Trotzdem hat dies weder in NRW noch in einem anderen Bundesland zu keinem einzigen Fahndungserfolg geführt. Für die Bürgerrechtler ist es unverständlich, warum die SPD dieses "ineffiziente, ungeheuer teure und aufwändige polizeiliche Mittel nunmehr auch noch ausweiten will". Unzutreffend sei auch, dass die geplanten Verschärfungen des Polizeigesetzes, wie in dem SPD-Papier behauptet, eine Anpassung an Vorgaben der Rechtssprechung darstellten. Vielmehr hätten Gerichte wie das Oberlandesgericht Düsseldorf die Rasterfahndung weitgehend für rechtswidrig erklärt.
Auch die "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen" lehnte bereits im April 2003 die Positionen ihrer eigenen Regierungsmitglieder, allen voran Ministerpräsident Steinbrück und Innenminister Behrens, ab. Es müsse nachgewiesen sein, dass die vorgesehenen Maßnahmen "notwendig tauglich und verhältnismäßig" sind und dass sie bei "möglichster Schonung der Bürgerrechte mit vertretbaren Kosten eine deutliche Steigerung der Effizienz der Gefahrenabwehr mit sich bringen". Diesen Nachweis vermisst die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft bis heute. Bei der Ausweitung von Platzverweisen durch die Polizei auf bis zu drei Monaten für eine ganze Gemeinde oder ein ganzes Stadtgebiet sei noch nicht einmal der "Versuch eines Belegs" zu erkennen.
WebWecker, 11. Juni 2003
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/servlet/is/13498/