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Bürgernetze wollen Menschen verbinden

Hamburg (dpa) - "Wir wollen Menschen vernetzen, nicht Computer". Der Betreiber der Bielefelder Mailbox Bionic, der nur unter seinem Szenenamen Padeluun auftritt, ist von der Zukunft der elektronischen Bürgernetze überzeugt. "Hier erhalte ich ungefilterte Augenzeugenberichte über den Krieg in Bosnien, kann direkt mit Umweltschützern im brasilianischen Regenwald Kontakt aufnehmen und mich an der weltweiten Debatte um die Todesstrafe beteiligen." Aktive Teilnahme statt passives Konsumieren, darin liegt die Stärke der elektronischen Bürgernetze mit ihrem Mailboxverbund.

Bürgernetze bieten weltweite Kommunikation zum Pfennigtarif - Dank der Arbeit ehrenamtlicher Betreuer. Zwischen fünf und 20 Mark pro Monat verlangen die meisten Mailboxen, eine Mischung aus schwarzem Brett und Briefkasten. Auch für die Technik sind keine Unsummen nötig. "Schon ein gebrauchter PC und ein Modem, das den Computer mit dem Telefonnetz verbindet, reichen völlig", sagt Joachim Breu von der Hamburger Mailbox CL-HH. Der Nutzer meldet sich bei einer Mailbox an und erhält eine weltweit gültige elektronische Adresse. Damit kann er an Computerkonferenzen mit Tausenden von Themen teilnehmen, elektronische Briefe schreiben (E-Mail) oder Informationsdienste abonnieren.

Es begann mit Fido

Die Geschichte der Bürgernetze begann Anfang der 80er Jahre mit dem Amerikaner Tom Jennings. Er schrieb damals ein Programm, das dafür sorgte, daß sich sein Rechner und der PC eines Freundes automatisch anriefen und ihre Daten, die aus Diskussionsbeiträgen, Briefen und Programmen bestanden, austauschten. Jeden Morgen hatten Jennings und sein Freund dann den gleichen Informationsstand. Jennings Hund gab dem Netzwerk den Namen: Fido-Netz. In Deutschland entstand Mitte der 80er Jahre das auf der Zerberus-Software basierende Z-Netz, aus dem sich später das selbstorganisierte Computernetzwerk Linksysteme (CL-Netz) entwickelte.

Im CL-Netz mit seinen etwa 50 000 Nutzern sind unter anderem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI), Greenpeace sowie Friedens- und Klimagruppen vertreten. So erreichten AI-Berichte über Massaker in Ruanda die Netzteilnehmer innerhalb Stunden. Doch auch lokale Projekte vernetzen sich. "Im Raum München tauschen etwa 30 Jugendzentren Informationen über Veranstaltungen aus, sprechen Aktionen ab und koordinieren ihre Zusammenarbeit", berichtet Gabriele Hooffacker, eine der Mitbegründerinnen des CL-Netzes. "Die Jugendlichen lernen so Informationen zu bewerten und auszusortieren", sie erlangen Medienkompetenz.

Gewappnet durch jahrzehntelange Erfahrung sehen die Bürgernetze auch den Rummel um das World Wide Webb (WWW), einer komfortablen graphischen Multi-Media-Oberfläche, im Internet gelassen. Den WWW-Anhängern halten sie entgegen: Es kommt nicht darauf an, in der bunten Bilderwelt des Web zu surfen, sondern Teil des Netzes zu sein. "Das Web ist wie eine Visitenkarte oder ein Schaufenster, und oft kommen die WWW-Seiten oft noch wie ein schlecht gemachtes Prospekt daher", bemängelt Padeluun.

Ergänzung und keine Konkurrenz zum Internet

Auch Hooffacker sieht im Internet keine Konkurrenz zu den Bürgernetzen, die auch eine eigene Struktur und Übertragungstechnik haben. Denn wer der bunten Werbebilder im WWW überdrüssig sei, entdecke früher oder später die Bürgernetze. Und das sei eine große Chance, "denn wir haben die Inhalte", zeigt sich Stefan Hackenthal von der deutschen Koordination der Association for Progressive Communications (APC) selbstsicher.

In der APC haben sich Netze aus 50 Ländern, darunter Brasilien, Rußland und Deutschland, zusammengeschlossen. Hier diskutieren seit Jahren alle wichtigen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen ihre Erfahrungen und veröffentlichen ihre Papiere. APC organisierte auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 und auf dem Menschenrechtsgipfel in Wien 1993 den Informationsfluß für die Nicht-Regierungsorganisationen (NGO). Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 waren Dank des Einsatzes der APC-Technikerinnen die Forderungen der nichtstaatlichen Frauenorganisationen trotz massiver Störversuche der chinesischen Regierung nicht zu überhören.

Dorn im Auge von Diktatoren

Diktaturen und repressiven Staaten sind die Bürgernetze ein Dorn im Auge. Trennen sie ein System vom Telefonnetz ab, dann suchen sich die Nachrichten dank einer pfiffigen Technik einen anderen Weg durch die Netze, ähnlich wie in einem Nervensystem. Nachts, wenn die Telefonleitungen frei sind, tauschen die Computer sekundenschnell ihre Nachrichten aus. Am nächsten Morgen haben alle Teilnehmer die gleichen Informationen. So gelangten während des Putsches gegen Michail Gorbatschow in Moskau Augenzeugenberichte ins Ausland.

Während des Bürgerkrieges in Bosnien und Kroatien schlössen sich zwischen 1991 und 1994 in Zagreb, Sarajevo, Belgrad und drei weiteren ehemals jugoslawischen Städten Friedensaktivisten im ZaMir-Netz zusammen. Als in der Aufbauphase der niederländische Helfer Warn Kat über die Bürgernetze einen Hilferuf aussandte, meldeten sich weit über tausend Menschen für einen Friedenseinsatz in der Bürgerkriegsregion. Für Padeluun zeigt die Erfolgsgeschichte des ZaMir-Netzes, "daß die Netze einfach nicht totzukriegen sind".

Informationen über Zugänge zu den Bürgernetzen bieten:

FoeBuD e.V./Bionic, Marktstraße 18, 33602 Bielefeld, Tel: 0521-175254, Fax 0521-61172, Mailbox: 0521-68000, E-Mail: foebud@bionic.zer.de

Kommunikation und Neue Medien e.V., Postfach 190520, 80605 München, Tel: 089-1675106, Fax: 089-131406, E-Mail: cl-service@link-m.de)

Auch RZ-Online unterstützt das nicht-kommerzielle Fido-Netz und wird demnächst als Gateway für Mail und News zwischen Internet und Fido fungieren.


Ulrich Berger



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