Bielefeld (vdH). Es wäre wohl zu langweilig gewesen, wenn sich die Experten einmal einig gewesen wären. Schaden moderne Computer nun den Kindern oder nicht? Ja und nein, meinten die Fachleute, die gestern morgen von 9.20 Uhr bis 12 Uhr auf der Bühne der "Violetta", dem Ü-Wagen von Moderatorin Carmen Thomas, Rede und Antwort standen.
Zum 14. Male seit 1976 war die WDR-Journalistin mit ihrem Team nach Bielefeld gereist. "Abgeschirmt? Kinder und Computer" lautete das Thema. Brandneu war es freilich nicht. Aber ob es daran lag oder an der recht schattigen Kühle in der Marktstraße, daß nur rund 100 Hvöerinnen und Hörer den Weg zur Violetta fanden, blieb letztlich offen.
Carmen Thomas kam diesmal nach Bielefeld, weil Kontakte zwischen ihr und der Vorsitzenden des Bielefelder "Vereins zur Förderung des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs" bestehen. Vor dessen Vereinsräumen in der Marktstraße 18 wurde der Ü-Wagen postiert.
Regelrecht schwarz für die ComputerKinder sah der Kölner Familientherapeut Ekkehard Krebs. Die meisten von ihm untersuchten "Kinder, die deutliche Zeichen von Vernachlässigung aufweisen, haben früh mit Computern zu tun gehabt", versichert er. Und je jünger und somit fixierbarer die Kinder waren, als sie das Spiel mit dem Computer begannen, desto schwerwiegender seien die Folgen. So meint Krebs, daß das schlichte (binäre) Ja-Nein-Prinzip der elektronischen Gerdte auch schlicht strukturierte Persönlichkeiten produziert mit verarmter Gefühlswelt und mangelnder Kreativität. Die von ihm beobachteten Computerkinder seien oft isoliert und aggressiv. Frühestens im fortgeschrittenen Grundschulalter sollten Kinder einen Computer bekommen, meint er.
Den "Kids" auf die Schliche kam Dorothee Meister, Pädagogin an der Universitdt Bielefeld: Die Kinder nutzen das Argument, mit Computern programmieren lernen zu können lediglich als "Vorwand für die Eltern", damit sie einen Computer geschenkt bekommen". Und dann wird nur gespielt. Das wollte auch der Münchner Soziologe Dr. Hans Leu bestätigen. Und er zog gleich die Schlußfolgerung: "Die meisten Kinder lernen am Computer nichts Wichtiges, was sie später in Beruf und Konkurrenzwelt gebrauchen können" - wenngleich sie es ihren Eltern vortäuschen. Aber dafür seien Computer auch "nichts Schlimmes". Und Dorothee Meister fand heraus: Computerkinder "sind genauso in Gruppen eingebunden wie andere", manchmal sei der Computer dazu sogar erforderlich.
Verglichen mit manch anderen Sendungen war der Ü-Wagen diesmal ein bischen fad - von einigen Höhepunkten abgesehen. Und abgesehen von humoristischen Einlagen, die Morderatorin Thomas locker aus dem Ärmel schüttelt. Schließlich war es ihr 862. Ü-Wagen. Die gelegentliche Langeweile lag auch wohl daran, daß das Thema schon vor einigen Jahren fällig gewesen wäre. Der Renner sind heute die kleinen Gameboys, die nur am Rande behandelt wurden. Eigentlich wollte Carmen Thomas ihren Hörern demonstrieren, wie diese kleinen Dinger piepsen und sprechen können, doch sie hatte ihr Exemplar vergessen.
Und es fand sich nicht mal eine Mutter, die ihr - trotz flehender Appelle durch den Äther - während der Sendung einen Gameboy gebracht hätte. Verwunderlich! Denn wie sagte sie ihrem Publikum vor Ort doch in einer Sendepause: "Hier kann man zwar nix gewinnen, aber dafür wird man auch nicht verarscht."
Neue Westfälische, 12. Februar 1993