von Alexandra Jacobson
Der Personalcomputer hat sich längst von seinem Image als bessere Schreibmaschine gelöst. Verkuppelt man das Gerät gar mit Hilfe eines Modems mit der Telefonleitung und besorgt sich die richtigen Anwenderprogramme, kann der Benutzer mit dem Katen alles mögliche anfangen, etwa in der der Mutter aller Netze, dem Internet, herumsurfen und dabei auch Leute kennenlernen. Wer eslieber geordnet mag, klinkt sich eventuell in eine MailBox oder in kommerzielle MailBox-Dienste wie AOL oder Compuserve ein.
Selbst wenn iregndwelche unverbesserlichen Kulturpessimisten die sinnliche Erfahrung hartnäckig ignorieren und weiterhin von der Vereinsamung vor dem Computer reden, setzt sich die Erkenntnis langsam aber stetig durch: Der PC ermöglicht eine ganz neue Art der Gesprächskultur oder wie es der amerikanische Internetforscher Howard Rheingold vor vielen Jahren schon auf den Punkt brachte: die Kommunikation vieler mit vielen.
Da liegt der Gedanke nahe, das Hacken nicht auf der Tastatur nicht im stillen Kämmerlein, sondern an einem öffentlichen Ort zu betreiben. Cybercafé heißt die neue Errungenschaft. Kneipen, die neben Speisen und Getränken auch Computer im Angebot haben - meist sind es zwischen drei bis zehn Rechnern - und ihrem Publikum die Chance bieten, beim Biertrinken ihrem Hobby zu frönen. In den USA gibt es schon über hundert elektronisch bestückte Caféhäuser. Auch in Europa sprießen sie aus dem Boden, in Reykjavik oder Madrid, Kopenhagen, Helsinki, Turin oder London. Die Namen sind Programm. Die Etablissements nennen sich Cyberia, Café Access, Virtualia, Compucafé. In Deutschland sind sie vor allem in den Großstädten zu finden.
Dabei stellen viele Gastwirte die Terminals wohl hauptsächlich deshalb auf, um ihr Image aufzupolieren und das begehrte junge Publikum von 20 bis 35 stärker an sich zu binden. Die zumeist männlichen Computerfreaks nutzen die Apparate oft zu einer Art Anmache auf hohem technischen Niveau. Die Süddeutsche Zeitung berichtete vor kurzem über den Versuch einiger Kneipengänger im Münchner Internetvafé mit Hilfe einer Flirt-Line Kontakt zu einer Französin anzubahnen - ein vergebliches Unterfangen.
Auf eine so "völlig banale Ebene" wollen sich zwei Bielefelder Künstler nicht begeben. padeluun und Rena Tangens haben mit ihrem ehrgeizigen Projekt eines Bielefelder Mediencafés anderes im Sinn. Neben Cappucino und Salaten soll es in dem Bielefelder Modell Orientierung und Beratung im Datendschungel geben - der Ober serviert nicht nur Milchcafé sondern auch Informationen zur Datenautobahn. PC-Schulungen für Anfänger und Fortgeschrittene, Workshops, Serviceleistungen für mittelständische Unternehmen, Diskussionsrunden - all das könnte das Mediencafé leisten.
Daß die beiden umtriebigen Persönlichkeiten für diese Aufgabe bestens gerüstet sind, beweisen sie seit langem; unter anderem riefen sie die Bielefelder MailBox Bionic ins Leben; bisher der erfolgreischte Wurf des ebenfalls von padeluun und Rena Tangens gegründeten Vereins FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs).
Eine MailBox ist so etwas wie ein regionales Bürgernetz, das zawr keine Bilder oder Töne überträgt sondern nur Text, dafür aber einen Hauch von Nachbarschaftsgefühl auf der von vielen als kalt und unübersichtlich empfundenen Datenautobahn erzeugt. 800 Menschen aus Ostwestfalen und Umgebung klinken sich mittlerweile in die BIONIC ein, wobei sich die Erfinder padeluun und Rena Tangens schlicht als 'Rahmenbauer' empfinden. Für die Inhalte sollen die Benutzer selber sorgen. Der Rahmen weist allerdings auf einen gewissen Anspruch hin: rassistische und sexistische Äußerungen sind in der BIONIC verboten. Es existieren ganz viele 'Bretter' also Themenrunden, die sich mit Frieden, Ökologie, Datenschutz, Antifaschismus, Demokratie, Kriegsdienstverweigerung, Feminismus beschäftigen.
Nutzer der BIONIC werden höflich gesietzt. Die beiden alternativen Computerfans legen nicht nur auf ethische Werte sondern auch auf Etikette wert. Deshalb fällt es padeluun leicht, in Anzug und Krawatte zu steigen, um auf der alljährlichen CeBit-Messe in Hannover am FoeBuD-Stand auch bei Großbürgern für das Modell des Mediencafés zu werben. Mittlerweile konnten die beiden eine Stiftung für ihr Vorhaben gewinnen, die bis März 1996 über eine Finanzierung des Projekts eintscheiden will. Über die Träger dieser Stiftung verraten die zwei nichts.
Jedenfalls soll geklotzt und nicht gekleckert werden: Das Mediencafé soll keineswegs in den eher beengten Räumlichkeiten des FoeBuD-Vereins in der Marktstraße 18 seine Heimat finden, sondern auf einer 6-700 qm großen Fläche in Citynähe. Der 80köpfige Verein FoeBuD, dessen Mitglieder seit langem begeistert an dem Konzept basteln, wünscht sich für sein Mediencafé 18 feste Stellen und ebenso viele Halbtagsjobs.
Es gibt also tatsächlich Leute, die mit der Computer-Kommunikation hohe Ideale verknüpfen und dabei eher an Basisdemokratien und Emanzipation denken, als an Kommerz, Unterhaltung und globale Flirts. Rena Tangens und padeluun gehören sicher zu den Leuten, denen die Durchsetzung kühner Visionen zuzutrauen ist. Deshalb sollte es niemanden wundern, wenn im nächsten Jahr in Bielefeld das vielleicht anspruchvollste und interessanteste Mediencafé Deutschlands entsteht.
Neue Westfälische, 23. Dezember 1995