Mit der Medienpädagogik ist das so eine Sache. Jeder hält sie für richtig und wichtig. Es gibt viele gut gemeinte Konzepte, aber an ihrer Umsetzung hapert es. Das wurde bei einer Anhörung der Enquete-Kommission "Zukunft der Medien" des Deutschen Bundestages deutlich. Medienkompetenz ist mehr als nur die Fähigkeit, Fernseher und Videogerät bedienen zu können. Darin waren sich die Experten einig.
Und Medienkompetenz ist auch, wie Rena Tangens vom "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" betonte, mehr als nur Medienerziehung. Für die Bielefelder Computerexpertin ist sie "kein pädagogischer Akt von oben", sondern ein "Teil von Kommunikationskompetenz" überhaupt. Das hielt Stefan Aufenanger (Universität Hamburg) nicht davon ab, zu fordern, daß gerade auch in der Lehrerausbildung mehr medienpädagogische Kompetenzen vermittelt Werden müßten. Generell beobachte er "ein wachsendes Interesse an Medienpädagogik". Andererseits würden die Möglichkeiten, pädagogisch zu wirken, "immer schwieriger". Dabei liegt der kritische Einwand nahe, daß mit den gängigen Konzepten nur diejenigen Eltern und Lehrer erreicht werden, "die ohnehin schon sensibilisiert sind", meinte Ingrid Hillebrandt von der "Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz". überdies sieht es oft so aus, daß sich die Medienwirtschaft in zwei Welten teilt: Hier Markt und Geld - dort Medienpädagogik und Medienreflektion, die sich nachträglich um die Pädagogisierung von Mangelerscheinungen kümmern" Zwischen beiden Welten gibt es kaum Berührungspunkte. Das Dilemma aller medienpädagogischen Bemühungen machte Detlev Schnoor von der Bertelsmann-Stiftung deutlich, als er etwas resigniert feststellte, es gebe zwar viele gute Konzepte, aber die entscheidende Frage sei: "Wie bringt man das in die Schulen hinein?" Das sei hierzulande "nicht realisiert", weshalb sich "Grundlegendes verändern" müsse. Auch Schnoor sieht einen "Schlüssel für die Innovation" in der Lehrerausbildung. Die Gütersloher Stiftung veröffentlicht deshalb positive Erfahrungsberichte, "um anderen Lehrern Mut zu machen". Medienpädagogik muß im größeren Zusammenhang gesehen werden - im Hinblick auf Schulentwicklung und Medienvielfalt. Deshalb betonte Gerhard Tulodziecki (Universität Paderborn), nötig sei eine Entwicklung der Schulen mit dem Ziel, "die Freiräume, die sie haben, zu gestalten". Schulen müßten auch eigene Lehrpläne entwickeln können. Längst gehe es nicht mehr nur um technische Installationen wie etwa die Initiative "Schulen ans Netz" von Telekom und Bundesforschungsministerium, sondern um ein übergreifendes Konzept von Medienentwicklung. Die neuen Informationsmedien, meinte Tulodziecki, müßten "im Gesamtzusammenhang der Medienweit" gesehen werden, "mit der Kinder zu tun haben". Eine Vervielfältigung des Medienangebotes wird deshalb auch zu einem veränderten Verständnis von Medienkompetenz führen müssen. Heinz Mandl (Universität München) plädierte denn auch für ein? Ausweitung des Begriffs, schließlich seien die geforderten Medienkompetenzen identisch "mit der Kompetenz, die wir in einer Wissensgesellschaft brauchen". Von hier war der Grundsatzdiskurs über das Menschenbild nicht weit: "Wir haben es nicht mit Maschinen zu tun, sondern mit Menschen", betonte Peter Diepold (Humboldt-Universität Berlin). Medienkompetenz sei nicht nur eine kognitive Fähigkeit, sondern "auch eine ethische und moralische". Für Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club ist die technische Installation ein Spiegel des Menschenbildes. Statt einem Pay-TV-Konzept allein als Kanal vom Programmveranstalter zum passiven Empfänger, der nur die Entscheidungsfreiheit zwischen "ordern" und "pay" hat, forderte er ein interaktives Netzmodell mit vielfältigen Möglichkeiten für jeden Teilnehmer. Auch für Rena Tangens ist Information "mehr, als von einem vorgegebenen Angebot ausgehen zu können". Zur Medienkompetenz gehöre, die Entwicklung nicht allein der Technik. und dem Markt zu überlassen, sondern "die Technik so zu gestalten, daß sie demokratie- und sozialverträglich ist". Man solle deshalb "in Menschen investieren und nicht in Technologien". Die technische Entwicklung ist für Rena Tangens "keine zwangsläufige", vielmehr hätten die Bürger "Handlungsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten". Hier fühlte sich Detlef Garbe von der Deutschen Telekom angesprochen. Der Bonner Konzern lasse sich, so versicherte er, bei seinen Angeboten und technischen Konzepten nicht vom Primat der Technik leiten. Die Technikentwicklung geschehe "heute als Technikgestaltung".
Christoph Werth
Das Parlament, 07. März 1997