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Lieber Flanieren auf dem Datenbuergersteig statt Rasen auf der Infobahn

Von Doris Schneyink

Zweitausend Meter verlegter Kabel, 60 Rechner und eine Sinnkrise - das ist die Kurzformel fuer den "12. Chaos Communication Congress", der in dieser Woche in Hamburg-Eidelstedt stattfand. Rund 300 Hacker aus ganz Deutschland und den Niederlanden waren angereist, um miteinander zu arbeiten, zu streiten und zu gruebeln: Wer sind wir eignelithc? Und was haben wir der Welt noch zu sagen?

Bis vor wenigen Jahren wussten sie das ganz genau. Hacker gehoerten zu den wenigen Menschen, die etwas von Computern und deren Vernetzung verstanden. Fasziniert von den gigantischen Kommunikationsmoeglichkeiten des Internet und anderer Computernetze, entwarfen sie die Vision des "globalen Dorfes", einer virutellen Gemeinschaft, in der Menschen unzensiert und billig Informationen senden und empfangen koennten. Nun scheint diese Vision Wirklichkeit zu werden: Rund 40 Millionen Menschen nutzen weltweit das Internet, der Zugang ist erschwinglich, die Software einfach zu bedienen.

Aber die Hacker fuerchten, dass ihr Traum zum Alptraum wird, weil das Internet unter die Raeder des Kommerz geraet. "Wir waren wie Pioniere im Wilden Westen, aber jetzt ist das Gebiet erschlossen und die Besitzansprueche sind abgestreckt", bringt Wau Holland das Problem auf den Punkt. Holland ist einer der Gruender des Chaos Computer Club (CCC) der den Kongress regelmaessig organisiert. Tatsaechlich herscht Goldgraeberstimmung im Reich der Daten. Verlage und Firmen gehen in die elektronischen Netze, und es scheint, als reduziere sich die schoene virutelle Gemeinschaft aufs gemeinsame Konsumieren.

"Das Internet verkommt zur Muellproduktions-Anlage", unterstuetzt der Informatik-Professor Klaus Brunnstein die pessimistische Stimmung der Hacker, fordert sie aber gleichzeitig auf, nicht zu resignieren: Man koenne ja den Leuten beibringen, wie man den Muell aussortiert, sprich: wie man das Medium Internet sinnvoll nutzt.

In der Aula des Eidelstedter Buergerhauses stoesst dieser Vorschlag nicht gerade auf Begeisterung. Hacker sehen sich nicht als Paedagogen der Nation, sondern lieber als Visionaere oder noch lieber als Retter: Denn trotz ihrer Begeisterung fuer die Moeglichkeiten der Vernetzung haben sie auch immer vor deren Gefahren gewarnt, freilich mit unkonventionellen Methoden: In den 80Jahren verschafften sich CCC-Mitglieder unerlaubt Zugang zum Rechner einer Hamburger Bank und manipulierten ihn so, dass er Geld auf ein bestimmtes Konto ueberwies. Mit der spektakulaeren Aktion wollten sie zeigen, wie verwundbar Computersysteme sind; aber natuerlich hat es ihnen auch schlichtweg Spass gemacht, das System auszutricksen und sich mit verbotenem Wissen zu bruesten. Verbotenes Wissen sei einer Art Basis-Waehrung untern Hackern, schreibt der US-Journalist Bruce Sterling. Es sei der einzige Weg, um sich einen guten Ruf in der Szene zu verschaffen, weil es entweder von Klugheit oder waghalsigem Diebstahl zeuge. Hacker liebten es, endlos ueber ihr "verbotenes" Wissen zu reden.

Auch auf dem Kongress in Hamburg spuert man noch etwas von dieser "Besessenheit". Unter dem Motto "In jedem steckt ein Anarchist" werden Ausfluege in die Pyrotechnik unternommen und Tips zur Computer Sabotags weitergereicht - nichts, was den Verfassungsschutz beunruhigen muesste, weil alles, was die Referenten verbreiten auch in serioesen Quellen zu finden ist. Aber die Aura von Anarchie und Sabotage gefaellt den zumeist maenlichen Workshop-Teilnehmern.

"Dieses technische Verstaendnis von Hackern ist voellig ueberholt", sagt dagegen der Hollaender Rop Gonggriijp. Man muesse sich von pubertaeren Allmachts-Phantasien trennen. Rop hat zusammen mit Gleichgesinnten in Amsterdam ein Projekt namens "Access For All" - Zugang fuer jedemann - auf die Beine gestellt. "Wir sind einer der groessten Internet-Provider in Holland geworden", sagt Rop. Das heisst, Rop und Co ermoeglichen rund 8000 Nutzern einen Zugang zum Internet fuer eine monatliche Gebuehr. Und weil sie diesen Dienst nicht rein kommerziellen Provider ueberlassen, koennen sie den Neuankoemmlingen die Spielregeln ziegen, zu politischen Diskussionen anregen und Streitkultur pflegen. "Alle Welt redet von der Datenautoabhn", meint Rop. "Was wir brauchen sind aber Datenbuergersteige."

Eine Etage tiefer, im Frauenraum des Kongresses, sitzt die Kroatin Durda Knezevic, Leiterin der "Frauen-Infothek" in Zagreb. Sie ist mit zwei jungen Kolleginnen angereist - alle drei voller Wissensdurst und mit wenig Verstaendnis fuer die Sinnkrise der Compu ter-Freaks. Denn die Idee eines unzensierten elektronischen Datenflusses ist fuer sie kein Hirngespinst. Durda Knezevic ist Mitbegruenderin eines elektronischen Kommunikationsnetzes im ehemaligen Jugoslaien. "Za-Mir" (Fuer den Frieden) heisst das Netz, dessen Ziel es ist, die durch den Krieg unterbrochnen Verbindungen zwischen den Menschen wieder aufzunehmen. "Es ist fast unmoeglich, von Zagreb aus mit Belgrad oder Sarajevo zu telefonieren", sagt Knezevic. Elektronische Post dagegen kann sie versenden: Die Daten gehen nach Bielefeld und werden von dort mit Hilfe von Chaos-Club-Mitgliedern ueber Umwege nach Sarajevo geleitet. "Die Verbindung nach Bielefeld ist fuer uns lebenswichtig." sagt die Kroatin. Seit einigen Monaten existieren "Za-Mir" auch reine Frauen-Foren. Anfangs waren das oft Vermissten-Anzeigen von Frauen", deren Familien auseinandergerissen waren. Inzwischen gibt es ueber 50 verschiedene Foren zu Themen wie Abtreibung, Kriegsverbrechen oder dem Vertrag von Dayton.

Das elektronische Netz funktioniert billig und schnell, und es ermoeglicht einen Erfahrungsaustausch unabhaengig von der Propaganda staatlicher Medien. "Wenn man alle Informationen miteinander teilt, lassen sich Konflikte vermeiden", sagt Durfa Knezevic, die eine Hackerin ist, obwohl sie nicht in verbotene Rechnersysteme eingebrochen ist und auch gar nicht weiss, wie sie so etwas anstellen sollte. Hacken heisst, ein System aufs Kreuz zu legen, es auszutricksen. Und das kann auch ein Propaganda-System sein.

Frankfurter Rundschau, 30. Dezember 1995

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