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Hacker, bleib bei Deinem Keyboard!

Der CCC und die große Politik

Der Chaos Computer Club hat große Verdienste auf technischem Gebiet. Doch wenn er oder sein Umfeld sich zu politischen Themen äußern, dann möchte man immer wieder rufen: Read The Fucking Manual!

Der Chaos Computer Club (CCC), der sich wie jedes Jahr in den letzten Dezembertagen zu seinem 14. Chaos Communications Congress traf, ist in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Einrichtung. Die Konferenz im Hamburg-Eidelstedter Bürgerhaus hatte auch 1997 wieder alles zu bieten, was den Verein wichtig, liebenswert und ärgerlich macht.

Es gab unterhaltsame technische Präsentationen wie die zum Hack der d-Box, der Set-Top-Box des Kirch- Bertelsmannschen Digitalfernsehens, die von CCCler Tron in jeder denkbaren Hinsicht software- und hardwareseitig aufgebohrt wurde. Oder die zur Digital Inter Relay Communication (DIRC) des Kölner Erfinders Winfried Hoseit, ein Graswurzelsystem drahtloser Kommunikation, das durchaus das Potential hat, den Telekommunikationsmarkt von ganz unerwarteter Seite her aufzurollen.

Es gab die wunderbaren 1. Deutschen Meisterschaften im "Lockpicking", dem zerstörungsfreien Öffnen von Schlössern, ausgerichtet vom "Sportsfreunde der Sperrtechnik e.V." des früheren CCC-Prominenten Steffen Wernéry. Es gab einen mathematischen Beweis für das schlampige Design der ec-Karten-PINs, verantwortlich dafür, daß die PIN einer gegebenen ec-Karte mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 150 bei drei Versuchen geraten werden kann (statt optimalen eins zu 3.000). Und es gab einen schönen Vortrag über Steganographie, der das schillernde Ausmaß dieser Teilwissenschaft der Kryptologie verdeutlichte -- es geht um weit mehr als das triviale Verstecken von Nachrichten in Bildern.

Alles prima. Dafür haben wir den CCC, und dafür haben wir ihn gerne. Aufklärung, coole Technologien, alternatives Expertentum, Spaß am Umgehen von künstlich errichteten Schranken. Super.

Daß er zugleich auch eine Art Selbsthilfegruppe ist, will ich mangels eigener Betroffenheit nur vermerken. Daß durch einen eingetragenen Verein therapierte und domestizierte Hacker weniger bedrohlich sind als frei flottierende, scheint jedenfalls der CCC-Lieblingsfeind Gilb a k a Bundespost a k a Deutsche Telekom AG gemerkt zu haben: Jürgen Haag, Leiter des Zentrums für Netzsicherheit bei der Telekom, ein in Ehren ergrauter Fernmelder, reist seit gut zwei Jahren als geladener Gast, aber auf Kosten seines Arbeitgebers, zu den CCC-Kongressen. Andererseits, so wurde auf dem Kongreß berichtet, tritt CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn bei Werbeveranstaltungen auf, zu denen die Telekom ihre Großkunden (die mit Rechnungen über 350.000 Mark) einlädt.

Die umfangreiche Reisetätigkeit von Andy Müller-Maguhn zu Meetings mit Vertretern aus Politik und Industrie wurde vom Kongreßpublikum hauptsächlich mit großer Zustimmung aufgenommen. Die nicht besonders neue Kritik an solchen Auftritten formulierte dieses Mal vorsichtig der CCC-Alterspräsident Wau Holland, der davor warnte, daß der CCC zum "Trüffelschwein der Industrie" werden könne. Diese Warnung ist ebenso berechtigt wie obsolet. Denn die Wahrheit ist natürlich, daß der CCC in bestimmten seiner Tätigkeitsbereiche schlicht und ergreifend nur die Wahl zwischen der Trüffelschweinexistenz und der in Paragraph 129 Strafgesetzbuch definierten hat.

Der CCC ist wegen dieser Indifferenz zur Industrie in der Vergangenheit oft kritisiert worden. Ich teile diese Kritik nicht; die Indifferenz liegt meiner Ansicht nach in der Natur der Sache. Problematisch würde es, wenn der CCC aufhörte, die Telekom zu kritisieren, um nicht das nächste Großkunden-Buffet zu verpassen. Zu dieser Befürchtung besteht aber, soweit ich sehen kann, kein Anlaß.

Verschwörungstheorien mit Kabelsalat

Nein, blöd bis ärgerlich wird der CCC da, wo er sich aus seinem Bereich hinauswagt und etwa anfängt, über Medien und Politik zu diskutieren. Dann nämlich zeigt sich, daß seine politischen Grundansichten eine banale Mischung von unverdauten halblinken Gutmenschen-Allerweltsweisheiten aus den 80er Jahren sind. TV und Werbung sind scheiße, die Herrschenden machen ja doch was sie wollen, und im Zweifel sind sowieso die Amis schuld. So konnte padeluun in der Debatte um die Geschichte der Onlinekultur in Deutschland unwidersprochen über das Internet sagen, "das Problem ist, daß das alles eine amerikanische Erfindung ist".

Dieser notorische Antiamerikanismus liegt den zum Teil ärgerlicheren Positionen zugrunde, insbesondere in den im Moment heißen Debatten zur Kryptologie. Auf dem Kongreß fing es an in dem samstäglichen Workshop zur Kryptologie. Nach einer schönen Einführung ins Thema durch Andreas Bogk ( as seen on TV) übernahm der notorische Jenenser Lutz Donnerhacke (as seen on Usenet [news:de.org.ccc]) und kam binnen kurzem zum derzeitigen Verschwörungstheorie-Favoriten Nummer 1: Daß die neueren PGP-Versionen kompromittiert sind und daß das Folge eines Komplotts des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA)ist.

Wie jede gute Verschwörungstheorie knüpft auch diese an einer Tatsache an, nämlich der, daß die neueren Versionen der Verschlüsselungssoftware Pretty Good Privacy (ab Version 5) fortschreitend die Kompatibilität zu älteren Versionen einschränken. Dadurch werde, so Donnerhacke, insbesondere die gegenseitige Zertifizierung von Schlüsseln aus unterschiedlichen Versionen unmöglich gemacht, wodurch das von unten gewachsene "Web of Trust", das zuvor die Integrität der Schlüssel gewährleistete, untergraben werde. Und das sei das Ziel der NSA gewesen.

Es ist natürlich eine groteske Selbstüberschätzung zu glauben, dieses "Web of Trust" hätte die NSA bedroht. Daß die Bedeutung dieses feuchten Traums aller basisdemokratischen Fantasten leider zurückgeht (und dessen Support deswegen keine hohe Priorität hat), liegt vielleicht eher daran, daß es den kommerziellen Wünschen im Netz nicht entspricht. Donnerhacke erklärte jedoch, die NSA hätte dieses Ziel 1994 öffentlich formuliert, eine Behauptung, für die er auf Nachfrage den Beleg schuldig blieb. Auf dem Webserver der NSA habe ich eine entsprechende Ankündigung jedenfalls nicht gefunden.

Fataler noch, vor allem angesichts der nun möglicherweise anstehenden Kryptogesetz-Debatte in Deutschland, ist die Position führender CCC-Vertreter wie Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger zur Kryptoregulierung in Deutschland (die auf dem Kongreß freilich durchaus auf gemischte Reaktionen stieß). Schon vor einigen Monaten stieß es merkwürdig auf, daß der CCC erklärte, man müßte Innenminister Manfred Kanther "Beihilfe zum Landesverrat vorwerfen", weil dieser die Position der amerikanischen Sicherheitsbehörden unterstützte und eine staatliche Reglementierung von Kryptographie forderte.

Dahinter steckt der derzeitige Verschwörungstheorie-Favorit Nummer 2: Demnach gebe es Geheimverträge der USA und der BRD, die noch aus der Besatzungszeit stammen und in denen irgendwie steht (wie genau, das kann einem auch auf Nachfrage niemand erklären, aber hey: Es sind eben Geheimverträge), daß in der BRD keine starke Kryptographie verwendet werden darf, die die USA nicht mitlesen können. Kanther und Kanzler Kohl seien kürzlich durch hohen Besuch aus den USA nochmals dahingehend gebrieft worden.

Der Clou dabei sei, so geht die abenteuerliche Theorie weiter, daß es gar nicht um den vorgeblichen Zweck der Verfolgung von Terrorismus und Drogenhandel geht, sondern um amerikanische Wirtschaftsspionage. Der Auftrag der NSA sei es nämlich seit Ende des Kalten Kriegs vornehmlich, die ökonomischen Interessen der USA zu verfolgen, und das hieße eben zunehmend -- Wirtschaftsspionage. Und indem er diesen US-Interessen Folge leistet (natürlich gezwungenermaßen, wegen der Geheimverträge), verrät Kanther eben deutsche Interessen.

Tolle Sache. Ausgerechnet Kanther, der reaktionärste, deutschnationalste Minister im Kabinett Kohl als Landesverräter. Ob wenigstens ein REP-Innenminister die Eier haben würde, sich den "Geheimverträgen" zu widersetzen?

Auch diese Verschwörungstheorie knüpft an Tatsachen an: Es gibt (allerdings öffentliche) internationale Verträge, die Deutschland vom Besitz von Atomwaffen ausschließen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß im Zeitalter des globalen Standorte-Kampfes nationale Geheimdienste für die nationale Industrie aktiv werden. Ansonsten halte ich sie aber, bis mir jemand den Geheimvertrag auf den Tisch legt, für frei erfunden.

Mehr noch: diese Räuberpistole bringt keinen Erkenntnisgewinn -- denn Kanthers Wunsch, Kryptotechnik zu verbieten, erklärt sich ohne jedes Fragezeichen durch seinen sattsam bekannten Überwachungswahn. Sie ist nationalistisch -- weil sie die Interessen "der USA" und "Deutschlands" gegeneinander stellt, ohne die unterschiedlichen Positionen zur Kenntnis zu nehmen, die es bis hinein in die jeweiligen Regierungen und Industrieflügel gibt.

Und sie lenkt ab vom wesentlichen -- mir geht es nämlich zum Beispiel am Arsch vorbei, wieviele von wem bezahlte Industriespione am Standort Deutschland herumlaufen. Nicht mein Bier. Ich will meine Privatsphäre geschützt haben und zwar vor Herrn Kanther mindestens genauso wie vor der NSA.

Boris Gröndahl

telepolis, 07. Juli 1997

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