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"De Törn för nix"

Von Lorenz Lorenz-Meyer

Am Sonntag geht in Hannover die Elektronikmesse Cebit Home Electronics zu Ende, ein neuer Ableger der jährlichen Frühjahrsmesse Cebit. Cebit-verwöhnte Besucher mußten sich auf eine Enttäuschung gefaßt machen.

Da stehen sie jeden Tag nach Ende des täglichen Messegeschäfts um 18.00 Uhr im engen Schulterschluß im Kreis und skandieren: "Wie sind wir?" - "Spitze!" - "Und was wollen wir?" - "Umsatz! Umsatz!" Der "Messe-Igel", eine parodistische Aktion der Aussteller auf dem alternativen Gemeinschaftsstand "Chancen 2000", initiiert von den Bielefelder Netzaktivisten padeluun und Rena Tangens, galt in den letzten Jahren als Geheimtip unter den Veranstaltungen auf der Cebit in Hannover.

Bei "Chancen 2000" zeigen seit 1990 Unternehmen, Organisationen, Behörden und Künstler die Computerwelt vor allem aus einer sozialen Perspektive. Geeint durch lockere thematische Zusammenhänge steht hier der Stand des großen Hardware-Herstellers neben dem Stand einer Gesamtschule, der Fachverlag stellt Wand an Wand mit der Fraueninitiative aus. Auf Vorträgen und Podiumsdiskussionen diskutiert man die gesellschaftlichen Aspekte der elektronischen Medien. Hier trafen sich in den letzten Jahren, wenn die großen Abschlüsse unter Dach und Fach gebracht waren, die Firmenchefs mit Hackern, um die neuesten Entwicklungen aus dem Computer-Untergrund kennenzulernen.

In diesem Jahr war "Chancen 2000" zum erstenmal nicht auf der großen Cebit zu finden, sondern wurde von der Messe AG auf die neue, sehr viel kleinere Cebit Home Electronics verlegt. Padeluun und Rena Tangens, die bei "Chancen 2000" ihren Bielefelder "Verein zur Foerderung oeffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FOEBUD e.V.) vorstellen, sind damit überhaupt nicht zufrieden. "Es zeigt sich, daß die Messe AG ganz wichtige Dinge nicht verstanden hat", klagt Rena Tangens. Die Cebit Home sei einfach die langweiligere Messe, die "major players" des Marktes machten sich nicht die Mühe, hier wirklich präsent zu sein. In dieser Umgebung fehle es an interessanten Dialogpartnern.

In der Tat macht die erste Cebit Home Electronics, die vom 28. August bis zum l. September auf dem Messegelände Hannover stattfindet, verglichen mit der "eigentlichen" Cebit einen eher flauen Eindruck. Während die gewaltige Fachmesse Cebit jedes Jahr im Frühling Experten aus aller Welt anzieht und ein echtes Stimmungsbarometer der Branche ist, ist die neue Cebit Home, für die ein zweijährlicher Turnus vorgesehen ist, eine reine Konsumenten-Messe von bislang eher lokaler Bedeutung. Sie zeigt vornehmlich die Oberfläche des Computermarktes, so, wie sie vom Ende der Produktionskette wahrgenommen werden soll - von denen, die nicht mehr selbst melken, sondern nur noch gemolken werden. Daran ändern auch die von den Veranstaltern verwendeten Etiketten "Erlebnis-Messe" und "Trend-Messe" wenig.

Die auf der diesjährigen Messe tatsächlich aufscheinenden Trends lassen sich mühelos an den Fingern einer Hand abzählen:

  1. "Wir sind da!", verkündet beispielsweise die Deutsche Bundeswehr auf ihrem Stand und gibt damit das Motto für eine Vielzahl von Präsentationen vor: Große Unternehmen, etwa die Macher der Zigarettenmarke "West", und Institutionen, wie der Deutsche Bundestag, zelebrieren stolz ihren Auftritt im Netz. An ihren Ständen gleicht die Messe einem überdimensionalen Internet-Cafe. Die Besucher sollen sich dort die glanzvollen Webseiten der Aussteller ansehen, nutzen aber oft die Gelegenheit für Surftouren mit ganz anderen Zielen.
  2. Die Verbindung von Computer und TV nimmt langsam Gestalt an. Die Kirch-Gruppe und der Unternehmensverbund MMBG, hinter dem sich unter anderem Berteismann und die ARD verbergen, präsentieren ihre Projekte für ein digitales Fernsehen. Was in Wirklichkeit vor allem ein neues Marktkonzept ist (Stichwort: "pay per view") wird den Konsumenten als ein Paradies neuer Wahlfreiheit verkauft: mit Hilfe des Digital-Decoders sei in Zukunft jeder sein eigener Programmdirektor. Von einem tatsächlich beachtenswerten Angebot, aus dem der Kunde sich auf Wunsch Sendungen seiner Wahl bestellen könnte, sind die stereotypen neuen Spartenkanäle (Spielfilm, Sport, Erotik,...) jedoch noch weit entfernt. Auch das Experiment ONLINE-TV, das die Programmzeitschrift TV Today auf ihrem Stand vorführte, wirkt noch keineswegs ausgereift. Auf den Webseiten der Zeitschrift kann der Benutzer einen TV-Kanal anwählen. Dann werden dort im Fünf-Sekunden-Abstand Standbilder aus den gerade laufenden Sendungen auf einem kleinen virtuellen Bildschirm eingeblendet. Der weitere Nutzen dieser cleveren technischen Spielerei bleibt allerdings unklar.
  3. Sichtbar ist auch das Bemühen der Aussteller, den kommenden Internet-Markt mit den Insignien der Teenager-Kultur zu verknüpfen. Das Netz, vom Benutzer bislang nur allzu oft noch als nervenaufreibend langsam und träge erlebt, wird auf der Cebit Home mit grellen Farben und schnellen Rhythmen inszeniert. Inline-Skater und Fahrrad-Artisten liefern neben leichtgeschürzten Gogo-Tanzensembles ein bemüht Jugend- und zeitgeistnahes Tableau, vor dem die PC-Bildschirme mit den Internet-Angeboten und die anderen elektronischen Ausstellungsstücke oft recht deplaziert und verloren wirken.

Vollends gespenstisch erscheinen die Anstrengungen der Veranstalter, den Pulsschlag der Zukunft zu treffen, in jenen zwei Messehallen, in denen gegen zusätzliches Eintrittsgeld ein spezielles Entertainment-Programm abgefackelt wird. In der ersten, komplett verdunkelten Halle läuft auf einer riesigen Leinwand zu den üblichen Techno-Klängen ein hektisch bewegtes Nichts von Film-Clip ab. Danach spielt sich ein Messe-Girlie mit pathetischen Worten zur Mistress of Ceremony auf und nötigt unwillige Zuschauer, sich auf der Bühne an irgendwelchen belanglosen virtuellen 3-D-Spielereien zu beteiligen. Am Rande stehen einige schummrig beleuchtete Getränkestände, auf denen man sich für 7,50 Mark eine Cola ausschenken lassen kann. Für die zweite Halle, die man durch eine billig-psychedelisch ausgeleuchtete Schleuse erreicht, gab es wohl nicht mehr genug Anbieter. Hier findet der enttäuschte Besucher nur eine Bude, in der er sich bei Sphärenklängen und stroboskopischen Lichteffekten entspannen können soll. Man fühlt sich fatal an den letzten Jahrmarktbesuch erinnert, nur daß das Angebot dort reichhaltiger und unterhaltsamer war.

Als "verhalten optimistisch" wurde die Grundeinstellung der Branche zur Cebit Home vor Beginn der Messe bezeichnet, eine Formulierung, die diplomatisch Desinteresse signalisiert. Nach dem Ende der Messe werden die Veranstalter uns wahrscheinlich erzählen wollen, die Cebit Home habe alle Erwartungen übertroffen. Ob es ihnen gelingt, für ihr neues Produkt auf dem hartumkämpften Messemarkt einen echten Platz freizuschaufeln, wird sich wohl erst bei der nächsten Runde im Jahr 1998 zeigen, wenn die vagen Hoffnungen auf eine multimediale Zukunft, die in diesem Jahr noch allzu dünn instrumentiert wurden, mit mehr konkreten Erfahrungen und funktionierenden Geräten unterfüttert werden können. Dieses Jahr allerdings ging es vielen Besuchern wie Asterix und Obelix auf ihrer Odyssee ins Plattdeutsche: Ihre Reise nach Hannover war ein "Törn för nix" - auf (fast) hochdeutsch: Außer Spesen nix gewesen.



SPIEGEL ONLINE 36/1996



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