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Ich glaub, es hackt!

ANETTE GÖTTLICHER und JÖRG FOKUHL

"Die ganzen alten Kisten! Guck mal!" Rena Tangens stupst Sitznachbarin Barbara Thöns begeistert ihren Ellbogen in die Seite. Auf der Leinwand im Bielefelder Atrium-Kino ist gerade der Kongress des Chaos Computer Clubs zu sehen: ein großer halbdunkler Raum, vollgestellt mit "alten Kisten", Computern aus dem Jahr 1986. Die Kamera schwenkt über konzentrierte, blasse Gesichter, grünlich beleuchtet von der Schrift auf den Bildschirmen, über Finger, die eilig Befehle und Programme in die Tasten hacken.

"Diese Szene ist wirklich sehr gut nachgestellt", sagt Barbara, "das sieht verblüffend echt aus. Ich kann keinen Fehler entdecken!" Rena und Barbara müssen es wissen: Sie sind seit über zehn Jahren in der Hackerszene zu Hause und im realen Chaos Computer Club anerkannte Spezialistinnen. Zusammen mit den beiden Expertinnen sehe ich mir den Film "23 - nichts ist wie es scheint" an. Ein Thriller von Kultregisseur Hans-Christian Schmid, der mit "Nach fünf im Urwald" erfolgreich war. Es geht um die wahre Geschichte des jungen Hackers Karl Koch. Eine Geschichte vom Einbruch in fremde Großrechner, von durchgemachten Nächten vor dem Computer, von Geld und Kokain, von Verunsicherung, Angst und einem ungeklärten Tod. Ich will von den beiden Hacker-Frauen wissen: Entspricht die Hacker-Welt des Films der Realität?

"Der Film vermittelt die Botschaft: Hacker sind Leute, die in fremde Computer einbrechen", sagt Barbara, von Beruf Programmiererin und seit 1989 beim Chaos Computer Club aktiv. "In Wirklichkeit steckt aber viel mehr dahinter. Es gibt eine Hacker-Ethik, eine ganze Philosophie. Die fordert, dass Informationen grundsätzlich frei sein sollen und für jedermann uneingeschränkt zugänglich. Wenn nämlich alle Informationen bekannt seien, könnten die Menschen auch vernünftig mit ihnen umgehen und nur dann Dinge ändern und bewegen."

Im Film wird diese Philosophie zwar anfangs gestreift, geht jedoch im Laufe der Handlung, die sich dramatisch zuspitzt, unter, meinen die Hackerinnen. Wesentlich sei eben auch, dass die Hacker entschieden für den Datenschutz eintreten. Das Motto lautet: "Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen." Und welche Information wollen die Hacker öffentlich machen, indem sie sich in fremde Rechner und Systeme einklinken? "Die Message soll heißen: Öffentlichkeit, trau keinem Computer! Kein System ist sicher! Das wollen wir den Leuten immer wieder vorführen. Der größte Teil von .Einbrüchen über Datenleitungen, die zum Beispiel in Banken von den eigenen Mitarbeitern begangen werden, wird überhaupt nicht bekannt gemacht."

"Hacken ist aber noch mehr", fügt Rena hinzu, "es ist eine Lebensanschauung, eine Geisteshaltung, es ist Neugier: Nicht einer Gebrauchsanleitung glauben, sondern selbst nachschauen, wie das funktioniert. Außerdem macht es einfach Spaß, mit kleinen, billigen Rechnern große Proficomputer aufzumachen und deren Systeme zu erforschen."

Das oberste Gebot des Hackers: Nie darf er Geld für seine Aktionen annehmen. Dagegen hat Karl Koch, die Hauptperson des Films, verstoßen - er ließ sich vom KGB für seine Hacks und die beschafften Informationen bezahlen. Ist er also für die Hacker des Chaos Computer Clubs eine negative Figur?

"Der echte Karl Koch war beileibe nicht diese Hauptperson, als die er im Film dargestellt wird. Er konnte nicht einmal gut programmieren - obwohl er sicher auf seine Weise genial war. Karl war etwas Besonderes, er war manisch, voller Power und hatte einen ungeheuren inneren Antrieb." Die Programme schrieb sein Freund, der im Film David heißt, "und der war viel cooler", sagt Rena. "Sicher hat die Geschichte von Karl das Bild der Hacker negativ beeinflusst. Er selbst wird aber eher als hilflose Figur gesehen. Manche haben ihn sogar nach seinem mysteriösen Tod zu einer Art Märtyrer erhoben."

"Man muss die Geschichte im Umfeld der damaligen Zeit sehen", fügt Barbara hinzu, "in den achtziger Jahren hatte man wirklich Angst. Angst vor einem Atomkrieg und vor Raketen. Man fühlte sich ohnmächtig gegenüber der Obrigkeit, sah keine Zukunft - also hat man in der Gegenwart gelebt. Was heute als ,No-Future-Generation' belächelt wird, war damals bitterer Ernst und eine tief sitzende Angst." Bei Karl Koch, der als äußerst sensibler und politisch engagierter Mensch diese Unsicherheit stärker als andere spürte und in seinem Wahn glaubte, die Welt retten zu können, hat die "Chaos Family" versagt. Das intensive Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Gemeinschaft reichte nicht aus, um ihn aufzufangen.

Und was ist mit den Frauen? In "23 -nichts ist wie es scheint" kommt keine einzige wichtige Frauenfigur vor. "Der Chaos Computer Club und die Hackerszene waren damals wirklich eine reine Männerwelt", erinnert sich Rena. Das änderte sich mit ihrem Auftritt. 1985 stellte sie den CCC in ihrer Galerie als Medienkunstwerk aus, begann sich für diese Welt zu interessieren und fuhr im Dezember zum Kongress des Clubs nach Hamburg. "Außer mir gab es da nur eine einzige Frau und die hat das Chaos-Cafe gemacht. Ich habe mich gefragt: Warum ist das so? Also habe ich auf der nächsten Versammlung einen Workshop zum Thema Frauen und Computer' initiiert. Viele Frauen fühlten sich angesprochen - und kamen!" Seitdem spielen Frauen auch im Chaos Computer Club und in der Hackerszene eine Rolle.

"Es war ein neues Gefühl, das dadurch entstand", erzählt Rena, "man ist nicht mehr ohnmächtig, hinterlässt nun eine Spur bei dem, was man tut. Es geht darum, nicht nur ein Programm zu bedienen (allein dieses Wort!}, sondern Dinge selbst herauszufinden, neugierig zu sein."

Das Hacken beschränkt sich dabei entgegen der allgemeinen Vorstellung keineswegs auf das Herumsurfen in fremden Datennetzen. "Es ist genauso ein Hack, wenn ich im Supermarkt die Gemüsewaage öffne und die Preise nach meinen Vorstellungen verändere", grinst Rena, "natürlich nicht, um damit billiger wegzukommen, sondern um zu zeigen, wie leicht das geht."

Diese Art von Hacking nennt sich social hacking. "Was Frauen oft besser können als Männer - kulturbedingt, nicht biologisch - ist auch social engineering", erklärt Barbara.

"Man findet zum Beispiel mit psychologischen und sprachlichen Mitteln ein Passwort heraus. Statt nächtelang - wie Karl Koch - alle möglichen Codes auszuprobieren, rufe ich zum Beispiel ganz frech bei der Firma an, gebe mich als Servicetechnikerin aus und frage einfach nach dem Passwort. Das klappt erstaunlich oft - die Leute machen es einem da sehr leicht!"

Und was halten die beiden Hackerinnen vom Film "23 - nichts ist wie es scheint"?

Barbara meint: "Der Film ist insgesamt eine prima Sache. Im Gegensatz zu vielen anderen Hacker-Filmen ist er sehr gut und sorgfältig gemacht." -"Schade ist nur", fügt Rena hinzu, "dass es nie eine Geschichte über einen positiven Hack gibt. Aber so etwas ist wahrscheinlich nicht spektakulär genug..."


COSMOPOLITAN 11/98


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