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Letzter Gruß per E-Mail

Er war das Enfant terrible der deutschen Internetszene – jetzt hat sich der bekannte Münchner Jurist Günter Freiherr von Gravenreuth offensichtlich das Leben genommen.

Wenn sich Günter Freiherr von Gravenreuth zu Wort meldete, flogen unweigerlich die Fetzen: In Internetforen, auf Nachrichtenseiten, sogar auf Wikipedia sorgte der Jurist für Streitigkeiten, die oft ihre Fortsetzung im Gerichtssaal fanden. Wie der IT-Nachrichtendienst Heise.de und andere Quellen berichten, hat sich Gravenreuth in der Nacht auf den Montag das Leben genommen.

Gegenüber FOCUS Online wollte die Polizei den Selbstmord zunächst nicht bestätigen, allerdings beruft sich Heise auf eine entsprechende Erklärung der Behörden. Inzwischen wurde jedoch auf der Web-Seite des Anwalts eine Todesanzeige veröffentlicht.

Seit 20 Jahren berühmt-berüchtigt

Gravenreuth galt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der deutschen Computerszene. Frühe Bekanntheit erreichte der Jurist schon zu Zeiten, als das Internet in Deutschland noch weitgehend unbekannt war und Spiele auf Schulhöfen getauscht wurden. Der Münchner Anwalt war einer der Ersten, der die Raubkopierer systematisch verfolgte – bis hin ins Kinderzimmer. Berüchtigt waren die sogenannten „Tanja-Briefe“: In Kleinanzeigen suchte eine angeblich 15-jährige Schülerin Freunde zum – illegalen – Diskettentausch per Post. Wer auf das Angebot einging, erhielt kurze Zeit später Post von Gravenreuths Kanzlei.

Solche Methoden sorgten für viel Empörung – trotzdem empfand sich Gravenreuth nicht etwa als Gegner, sondern als Bestandteil der jungen Computerszene in Deutschland. „Er war fachlich sehr kompetent und privat sicher kein Unsympath“, erklärt Lars Sobiraj, Chefredakteur des IT-Portals Gulli.com. Für den Netzkünstler und Bürgerrechtler Padeluun war er Teil der Szene: „Nicht jeder mochte ihn, aber wir kamen immer mit ihm klar – obwohl auch wir nicht alles schätzten, was er so angestellt hat.“

Kein Gegner, sondern Teil der IT-Szene

Legendär war zum Beispiel sein Auftritt bei einer Party in Köln im Jahr 1998, auf der Jugendliche unter anderem mit Messern auf ein verzerrtes Bild des Anwalts warfen. Gravenreuth höchstselbst betrat den Raum und rief „Ich will jetzt auch werfen“. Ein Jahr später durfte der Jurist sogar offiziell mitwerfen.

Statt meist jugendliche Raubkopierer zu verfolgen, machte er bald mit spektakulären Markenrechtsstreitigkeiten von sich reden. So vertrat er die Firma Symicron, die Markenrechte an dem im IT-Bereich verbreiteten Begriff „Explorer“ für sich beanspruchte und für jede gewerbliche Verwendung Lizenzgebühren kassieren wollte.

Spektakuläre Abmahnungen

Für seine Auftraggeber gewann Gravenreuth zunächst viele Streitigkeiten um den Begriff – und ging dabei nicht zimperlich vor. So drohte er unter anderem, Zeitschriften an Kiosken beschlagnahmen zu lassen, wenn diese Programme mit dem Namensbestandteil „Explorer“ auf den beiliegenden Heft-CDs verteilten. Das provozierte Gegenwehr: Im Jahr 2002 wurde die Marke „Explorer“ wegen Bösgläubigkeit gelöscht.

In eigener Sache war der Jurist vor Gericht in den letzten Jahren aber weniger erfolgreich. So erwirkte der Hannoveraner Heise-Verlag gegen ihn eine Art virtuelles Hausverbot – von Gravenreuth hatte in Tausenden Beiträgen im Web-Forum des Verlags immer wieder für Streit gesorgt. Das brachte den Münchner aber nicht zum Schweigen: Er tobte seinen Mitteilungsdrang in anderen Foren aus. Berüchtigt waren auch die vielen Schriftsätze, mit denen er Redaktionen und andere Institutionen überzog.

Letzter Gruß per E-Mail

In einer publicityträchtigen Aktion ließ Gravenreuth den Domain-Namen der Berliner Tageszeitung „taz“ beschlagnahmen, weil die ihm angeblich noch Geld schuldete, kündigte gar die Versteigerung des Domain-Namens an. Doch der juristische Schachzug sollte sich als folgenschwerer Fehler erweisen: Die „taz“ erstattete Strafanzeige, Gravenreuth wurde wegen Betrug verurteilt. Da er zudem noch andere Vorstrafen aufwies, hätte der Anwalt in Kürze seine Haft antreten müssen.

„Ich glaube, er ist sehenden Auges in sein eigenes Unheil gerannt“, erklärt Gulli-Macher Lars Sobiraj gegenüber FOCUS Online, in Streitfällen hätte der Jurist sich aber immer als sehr stur gezeigt. In einem „letzten Gruß in die Runde“ hatte der 61-Jährige per E-Mail seinen Bekannten unter anderem von Finanz- und Gesundheitsproblemen berichtet.

Torsten Kleinz

Focus, München, 22. Februar 2010
Original: http://www.focus.de/digital/internet/abmahnanwalt-guenter-von-gravenreuth-letzter-gruss-per-e-mail_aid_483002.html

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