FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
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Die Datenschützer

Rena Tangens und padeluun streiten für das Recht auf Selbstbestimmung in der Informationsgesellschaft

Sie haben ihren Schutzschild perfektioniert. Eine undurchdringliche Firewall umgibt Rena Tangens und padeluun, mögen die beiden noch so offen sein. Die Welt, die immer mehr sieht und registriert, bleibt außen vor. Irgendwann an diesem Abend in einem Bielefelder Café schiebt Rena Tangens stolz ihre Bahncard 50 über den Tisch. Rechts oben, dort wo ihr Passfoto auf die Plastikoberfläche geprägt sein sollte, klafft ein weißes Quadrat.

Rena Tangens, braune Wuschelhaare, warme Stimme, schwarze Kleidung. Bürgerlicher Name: unbekannt, Alter: unbekannt, Herkunft: unbekannt, Künstlerin im weitesten Sinne. Sie ist eine Ikone in der Computerhacker-Szene, Häckse, Cyberweib. Sie sagt, ihre Bahncard 50 zeige, dass die Leute "nicht ohnmächtig" seien. Dass sie ihre informationelle Selbstbestimmung, das Recht auf Privatsphäre verteidigen können. Trotz Videokameras, PC-Cookies, Payback-Karten und Datenverwertungsklauseln in Verträgen. Daher verleiht ihr Verein zur "Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (Foebud, sprich "Föhbud") seit vier Jahren den "Big-Brother-Award" für Bemühungen, Ausspähungstechniken zu verbreiten. Zu den "Ausgezeichneten" gehören unter anderem Bahnchef Hartmut Mehdorn, die Gebühreneinzugszentrale GEZ, Microsoft, Toll Collect, die Deutsche Post und Bundesinnenminister Otto Schily.

Neben Rena Tangens sitzt padeluun, "klein geschrieben bitte". Gemeinsam haben sie den Verein 1987 gegründet. Er sagt, es sei erstaunlich, wie wenig er seinen bürgerlichen "Zwangsnamen" im Alltag brauche. Padeluun - "das soll mich jeden Tag daran erinnern, dass ich kein normales Leben führe".

Er könnte älter als vierzig sein. Padeluun, dunkle Haare, auch er Künstler. Er trägt einen grauen Overall mit Reißverschlusstaschen, ein Hemd, eine Krawatte mit der Aufschrift "Security". Er sagt: "Wir sind nicht paranoid. Wir leben nur bewusst." Rena Tangens erzählt, sie zahle nicht mit EC-Karte. Sie meidet Supermärkte mit Kameras und kauft auf dem Wochenmarkt ein. Sie streichen in Verträgen die Einverständniserklärung, dass Daten weiter genutzt werden. Beide haben in den vergangenen Monaten kaum Ruhe gefunden.

Vor allem diese Sache mit der Metro-Gruppe ist schuld an den Schatten unter ihren Augen. Seitdem tragen Rena Tangens und padeluun den roten Aufkleber "Stop RFID" - Radio Frequency Identification. Sie entdeckten, dass Metro, der fünftgrößte Handelskonzern weltweit, Kundenkarten in Deutschland verteilt hatte, ohne etwas von dem eingebauten RFID-Chip zu verraten. Wer mit dieser Karte den Metro-Futurestore im nordrhein-westfälischen Rheinberg betritt, könnte per Funk identifiziert werden.

Mit RFID ließen sich Gewohnheiten eines jeden Kunden registrieren und speziell auf ihn abgestimmte Angebote erstellen. RFID irgendwann eingenäht in Kleidung, um Beschäftigte zu überwachen, alles wahrscheinlich, wenn man Rena Tangens zuhört. Die Metro-Group erhielt im vergangenen Jahr den "Big-Brother-Award". Zudem protestierte Foebud im "Futurestore". Es gab eine negative Berichterstattung. Der Handelsriese versprach schließlich, die Karten umzutauschen. Metro setzt aber weiter auf die RFID-Technik, die den Strichcode bei Produkten ersetzen soll.

Es ist ja nicht so, dass Foebud technologiefeindlich ist. Rena Tangens und padeluun sind vielmehr daran interessiert, wie die Computerisierung sich auf die Gesellschaft auswirkt. Sie sprechen von einem "Rahmen", den sie für Menschen schaffen wollen, damit sie zwanglos miteinander kommunizieren können. Das sei ihr "Kunstwerk". Und dies schließt auch politisches Engagement ein. Deshalb fordert Rena Tangens, zuweilen Beraterin des Deutschen Bundestages, vehement eine Reform des Datenschutzgesetzes. Ihr geht es darum, menschenwürdig, kommunikativ mit der Technologie umzugehen. "Früher, in den 80er Jahren, wurde die Kommunikationsgesellschaft verkündet, heute ist die Welt eine Informationsgesellschaft", sagt padeluun. Er kritisiert das bloße Verbreiten und Konsumieren von Informationen. Das Internet ist stärker kommerzialisiert, als sie zu Beginn befürchtet hatten, als es noch keinen ISDN-Internetzugang gab, sondern Verbindungen über zusammengebastelte Modems hergestellt wurden.

Rena Tangens und padeluun experimentierten Ende der 80er Jahre mit der "Bionic-Mailbox", in der sich die Eingeweihten mit klobigen Rechnern austauschten, frei, unbewacht. Auf der Grundlage bauten sie das "Zamir"-Friedensnetz auf dem Balkan in den Kriegswirren der 90er Jahre auf. Vergleichbar ist das Funktionsprinzip mit den Diskussionsforen im Internet. "Bionic" wird kaum mehr genutzt, ein intakter, fossiler C-386-Rechner steht noch im Büro-Hinterzimmer - Denkmalpflege.

Die Zukunft holt Rena Tangens und padeluun ein. Als sie 1984 ihre Galerie "Art d'Ameublement" (Kunst der Möblierung) in der Marktstraße 18 in der Bielefelder Innenstadt eröffneten, da verblüfften sie Kunstwelt und Alltag. Sie richteten ihr Büro mit Computern im Schaufenster ein und stellen sich seitdem selbst aus. "Büro - eine Installation der Wirklichkeit" steht an der Scheibe. Als sie 1985 den "Chaos Computer Club" präsentierten, und als er sich in fremde Rechner hackte, da waren Rena Tangens und padeluun Avantgardisten. Sie galten als Exoten auf der Cebit, als Cyberpunks. Sie propagierten "Mediencafés". Heute gibt es Internetcafés.

Sind Rena Tangens und padeluun inzwischen überholt oder immer noch weit voraus im Denken? Sie fordern umfassende Kenntnisse beim Umgang mit der Technik, dabei kann jeder PC-Analphabet heutzutage Software installieren. Sie plädieren für eine Privatsphäre in einer Gesellschaft, die sich immer freizügiger gebärdet. "Wollen Sie Videoüberwachung oder Sicherheit", hat padeluun kürzlich eine ältere Dame am Foebud-Infostand gefragt. Sie war irritiert. Rena Tangens fragt indirekt, wollen Sie Payback oder gerechte Preise? Denn das Rabattsystem ist ihrer Ansicht nach unsozial. Diejenigen, die ihr Kaufverhalten nicht transparent machen wollten, müssten höhere Preise hinnehmen.

So kam Foebud vor drei Jahren auf die vielseits beachtete "Privacy Card". Rena Tangens und padeluun kopierten eine Payback-Karte und verteilten hunderte Exemplare mit der Aufschrift "Privacy Card". Ein irrwitziges Kundenprofil entstand. Die Bonuspunkte wurden dem Verein gutgeschrieben. Bis Foebud die Sache öffentlich machte. Angeblich soll die Payback-Karte längst gekündigt sein. Rena Tangens zückt zum Schluss lächelnd ihre Privacy-Card, funktioniert noch, einwandfrei. Dann bricht sie mit padeluun zum Schaufenster-Büro auf. Die beiden werden im hell erleuchteten Raum sitzen und in ihre Computer schauen. Als öffentliche Menschen. Mit einem unsichtbaren Schutzschild.

KRISTIAN FRIGELJ

Frankfurter Rundschau , 12. März 2004
Original: http://www.fr-aktuell.de/uebersicht/alle_dossiers/wirtschaft/cebit_2004/?cnt=403067

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