Eigentlich hinkt "8. Wonderland", der morgen in die Kinos kommt, seiner Zeit schon hinterher. Spätestens vor ein paar Wochen hat eine international agierende Organisation mit ihrem Afghanistan-Leak erstmals publikumswirksam ihre Macht demonstriert. Der französische Film "8. Wonderland" ist eine Mischung aus Piratenpartei, Wikileaks, Smart Mobs, einem Geheimdienst, gepaart mit Liquid Democracy.
Sich über das Netz zu engagieren und Dinge in Bewegung zu setzen, ist an sich nichts Neues. Durch Diskussionen in Foren und Blogs, die Bildung von Facebook-Gruppen oder die Weiterleitung von Nachrichten bei Twitter ist aber alleine noch nichts gewonnen. Den Beteiligten im französischen Science Fiction-Film „8. Wonderland“ würden die Aktionen der Whistleblower von Wikileaks sowieso noch nicht weit genug gehen. Ihre Methoden und Ziele sind weitaus radikaler. Ihnen schwebt ein eigener Staat im Internet vor, über den die Mitglieder aus aller Herren Länder gemeinsam bestimmen.
Ihre dezentrale Lokalisation ist gleichzeitig ihre Stärke. Sie sind überall und nirgendwo und dadurch nur schwer für die Regierungen dieser Welt greifbar. Ihr Ziel ist es, im Web eine eigene Demokratie zu erschaffen, die die hiesigen Staaten mit beeinflussen soll. Über Entscheidungen wird in Echtzeit online abgestimmt. Und die haben es in sich: So macht man einen Atomdeal zwischen Russland und dem Iran zunichte und versetzt gut verdienende Fußballstars in eine Manufaktur, wo sie für Billiglohn Fußbälle nähen sollen. Die Aktivisten entführen einen vom Präsidenten begnadigten Truthahn direkt von einem Erntedankfest und stellen damit die Todesstrafe der USA öffentlich infrage. Auch die eigens aufgestellten Kondomautomaten im Stadtviertel des Vatikans dürften für einige Aufmerksamkeit gesorgt haben.
Die Dinge eskalieren aber, als sie einen korrupten Regierungschef umbringen lassen wollen. Die Chefs der Großkonzerne und Geheimdienste vieler Nationen beginnen sich für den virtuellen und unkontrollierten Kraken im Netz zu interessieren. Ähnlich ergeht es derzeit den Aktiven bei Wikileaks, nachdem man glaubt, dass diese einige Gesetze der USA gebrochen haben sollen.
Die Filmemacher Nicolas Alberny und Jean Mach beleuchten in ihrer Billigproduktion viele Fragen, die heutzutage immer relevanter werden. Die hiesigen Politiker hinken zwar zumeist Lichtjahre hinter der Entwicklung hinterher, aber welchen Einfluss wird die moderne Technik auf unsere Staatsform ausüben? Was bedeutet es heute überhaupt noch einer Nation anzugehören, wenn grenzüberschreitende Gemeinschaften im Internet immer wichtiger werden? Wie kann man seiner globalen Verantwortung heutzutage gerecht werden? Was könnte alles erreicht werden, wenn nur genügend Personen gemeinsam an einem virtuellen Strang ziehen würden? Die wichtigste aller Fragen aber dürfte sein: Wie weit sind wir tatsächlich von der Utopie des Films entfernt?
Technisch gesehen wäre das Szenario jederzeit machbar. Gruppierungen wie der der AK Vorrat, FoeBuD, CCC, Wikipedia, Linux-Ditributionen, OpenOffice.org oder sonstige Open Source-Communities sind nur ein paar der derzeit möglichen Optionen, sich länderübergreifend zu engagieren. Unabhängige Organisationen wie beispielsweise The Yes Men oder Wikileaks haben mit ihren unterschiedlichen Methoden und Zielen gezeigt, dass man sehr viel über das Internet erreichen kann. Glücklicherweise fand sich noch niemand, der mit Unterstützung vieler Aktiver derartig radikale Dinge auf den Weg bringen wollte. Und doch könnte diese Zukunftsvision schon bald Realität werden. Eher, als es manchen lieb und teuer wäre.
B-Movies haben leider auch ihren Haken. Denn bei einem vergleichsweise kleinen Etat kann kein weltberühmter Schauspieler engagiert werden. Daher beschränkt sich vieles im Film auf Dialoge. Ständig tauchen neue Personen auf, andere verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Die Kritiker warnen: Alles im Film geht sehr schnell. Wer alles mitbekommen will, muss den Streifen sehr konzentriert verfolgen.
Die bisherigen Rezensionen des Films gehen auseinander. Klar wäre dem Werk das kleine Budget anzumerken, weswegen es ihm auch an der nötigen Tiefe und Perfektion fehlen würde. Auf Dauer sei es nicht sonderlich spannend, die vielen Gespräche übers Netz zu verfolgen. Andere Medien heben die innovative Ästhetik des Films hervor. Etwas weniger wäre dennoch mehr gewesen. Die Flut an Teilnehmern und Bildern sei überwältigend und doch würde dies nicht selten für Verwirrung bei den Zuschauern sorgen. Nun, da die heutigen Internetsurfer diese Flut an Informationen gewohnt sind, dürfte zumindest diesen das Verfolgen des „verrückten Plots“ nicht allzu schwer fallen.
Warten wir es ab, wie "8. Wonderland" beim Publikum ankommen wird. Spätestens morgen wissen wir mehr. Sollte die Produktion an den Kinokassen durchfallen, so werden mit diesem Werk dennoch zahlreiche wichtige Aspekte behandelt, die bislang im Mainstreamkino zu gerne außen vor gelassen wurden.
Lars Sobiraj
Gulli, Bochum, 11. August 2010
Original: http://www.gulli.com/news/die-digitale-revolution-im-kino-8-wonderland-2010-08-11