In einer überraschenden Kehrtwende haben im Lauf der Woche sowohl der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW[1]) als auch die Gesellschaft für Informatik[2] ihre Haltungen zur Frage der Patentierbarkeit von Computerprogrammen teilweise revidiert. Beide Vereinigungen vertraten in jüngster Zeit Positionen, in denen sie Software vom Patentschutz nicht ausgeschlossen sehen wollten. Nicht alle Mitglieder waren jedoch mit einem solchen Kurs einverstanden. Nun haben sich in beiden Organisationen Vertreter durchgesetzt beziehungsweise an Boden gewonnen, die eine Begrenzung von Softwarepatenten entlang der Linien des einstimmigen Bundestagsbeschlusses[3] sowie der 1. Lesung im EU-Parlament[4] zur heftig umkämpften Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" fordern.
Die GI hatte schon früh der EU-Kommission bei ihrem Entwurf[5] den Rücken gestärkt[6]. Die Vereinsführung hoffte, mit dem Vorstoß aus Brüssel einerseits die Rechtslage in der EU zu vereinheitlichen, gleichzeitig aber Trivialpatente wie ein Amazon vom Europäischen Patentamt zugesprochenes Monopol auf Online-Geschenkbestellungen zu verhindern[7]. Im Unterschied zur GI[8] hatte die BVDW-Vorgängerinstitution, der Deutsche Multimediaverband (dmmv), die Entscheidung des EU-Parlamentes zur Eingrenzung von Softwarepatenten aus der 1. Lesung anfangs begrüßt[9]. Nach der Vereinigung mit dem Verband der Softwareindustrie (VSI) und der Umbenennung machte sich Rudi Gallist, damals BVDW-Vizepräsident und ehemaliger Chef von Microsoft Deutschland, aber für die Vorlage des EU-Rates stark[10]. Diese enthält im Gegensatz zur Parlamentsversion zahlreiche Hintertüren[11] für die breite Patentierbarkeit von Software und "technischen" Geschäftsmethoden.
Auf der BVDW-Mitgliederversammlung Anfang der Woche in Berlin forderten Vertreter von Firmen wie GMX oder Lycos nun eine Neuausrichtung der Politik des Verbandes bei Softwarepatenten. "Die aktuelle EU-Richtlinie öffnet die Tore für Softwarepatente in Europa. Wir brauchen daher Änderungen für die 2. Lesung", betont GMX-Geschäftsführer Jens Dhein. Auch Christoph Mohn, Chef von Lycos Europe, fordert, dass kleine und mittelständische Unternehmen durch die Richtlinie nicht benachteiligt werden dürften. Eine einheitliche Meinung will der Verband in einem fachübergreifenden Arbeitskreis festzurren. Es komme dabei auf das Engagement jedes Mitglieds an, die Position des BVDWs stärker in die öffentliche Diskussion einzubringen, freut sich Daniel Vorhauer von hexerei software creations über den frischen Wind.
Das 35-köpfige GI-Präsidium hat derweil nach langen Diskussionen am gestrigen Donnerstag auf seiner Sitzung in Bensberg einstimmig ein ausführliches Positionspapier "zur Patentierbarkeit rechnergestützter Erfindungen" verabschiedet. Es kritisiert darin die "Verschleierungspraxis" in Europa, mit der für die Erlangung eines Patents auf Software "eine ursprünglich nicht notwendige Koppelung an Hardware suggeriert wird". Das Präsidium fordert dagegen eine "klare, systematisch begründete Grenzziehung zwischen patentierbaren und nicht-patentierbaren rechnergestützten Erfindungen".
Zur Erreichung dieses Ziels setzt die GI auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Erteilt werden sollten Patente auf rechnergestützte Erfindungen demnach nur, wenn sie auf neuartige Weise "beherrschbare Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges einsetzen". Weiter fordert die GI, die Prüfungspraxis der Patentämter "deutlich strenger und kompetenter" zu organisieren, sowie eine weite Interoperabilitätsklausel. Ferner schlägt sie die Einrichtung einer Stiftung vor, welche die Mittel zur Beobachtung der bei Patentämtern eingehenden Anträge und zur rechtzeitig Einsprucherhebung durch die "Informatik-Community" bereitstellt.
Eine Warnung vor der möglichen "Amerikanisierung" des europäischen Patentsystems richtet zudem Ed Black, Präsident der Computer & Communications Industry Association (CCIA[12]), an die EU-Abgeordneten, die am Mittwoch in der entscheidenden 2. Lesung über zahlreiche Änderungsanträge[13] an der Ratslinie zu befinden haben. Nach einer Analyse (PDF-Datei[14]) zur Abgrenzung gegenüber den "amerikanischen Verhältnissen[15]" fürchtet Black, dass bereits der Kommissionsvorschlag für die Direktive von dem "fehlgeleiteten Wunsch motiviert war", das in seiner Heimat selbst unter Beschuss gekommene US-Patentsystem[16] nachzubilden. Die Ratsposition werde dem Ansinnen, Softwarepatente außen vor zu halten, noch weniger gerecht.
SAP hat derweil seine Kampagne[17] für den Standpunkt des Rates weiter verstärkt und Kunden und Partner aufgefordert, Last-Minute-Lobbying gemäß der Linie der Walldorfer zu machen. Mit einer ungewöhnlichen Aktion will dagegen der Bielefelder Jörg Baach gegen Softwarepatente ins Feld ziehen und auf die Gefährdungen durch Verletzungsklagen schon beim Betreiben von Websites hinweisen: Er hat Anzeigen[18] gegen die Bundesregierung, die CDU und die FDP gestellt, da diese auf ihren Online-Präsenzen Webshops betreiben und diese "mit Sicherheit einschlägige Patente[19] verletzen" würden. Ein derartiger Rechtsbruch bei staatlich gewährten Monopolansprüchen sei nach Paragraph 142 Patentgesetz[20] strafbar. Mit der Aktion will Baach auch "ein wenig Aufmerksamkeit auf die Scheinheiligkeit der Politik lenken".
Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):
Der Streit um Softwarepatente in Europa[21]
(Stefan Krempl) / (jk[22]/c't) (jk/c't)
Copyright © 2005 Heise Zeitschriften Verlag
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 01. Juli 2005
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/61326