Wer zwischen Weihnachten und Neujahr auf einen Kongress fährt, muss hart im Nehmen sein - oder Anhänger des Chaos Computer Clubs, der sich seit vielen Jahren zu genau dieser Zeit trifft.
Mitglieder und Sympathisanten des Chaos Computer Club versammeln sich traditionell zwischen den Jahren zum Informationsaustausch und Hacking. Der diesjährige Chaos Communication Congress (CCC) in Berlin war der 2l., deswegen der Kurztitel 21C3. Um es gleich zu sagen: Der Kongress hatte es diesmal wirklich in sich, bot viel Neues und endete schließlich mit einem Besucherrekord (circa 3500 Teilnehmer). Unter dem vielsagenden Motto „The Usual Suspects" trafen sich Hacker aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Übersee zum kreativen Austausch digitaler Gedanken und gingen selbstredend außerdem anderen Tätigkeiten nach.
Unter den „Usual Suspects" des CCC befanden sich erwarteterweise Rena Tangens und ihr Mitstreiter padeluun vom Bielefelder „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." (FoeBuD), um die alljährliche Verleihung der Big Brother Awards aus dem Oktober zu rekapitulieren - begleitet von teilweise lebhaften Publikumsreaktionen. Dabei richtete die Jury den eindringlichen Appell an die Zuhörer, Zivilcourage zu zeigen und die Wissensgesellschaft und ihre Mechanismen konstruktiv in Frage zu stellen. Auf der Website findet sich die Liste der Gewinner aus Politik, Wirtschaft und Arbeitswelt.
Die Kongressteilnehmer konnten in drei Tagen unter insgesamt 200 Veranstaltungen wählen und die „Megatrends" in Sachen Sicherheit für 2005 ausmachen: Biometrie, RFID und Verbraucherschutzfragen, neuartige Bedrohungen aus dem Internet in Form von Superwurms, die unendliche Geschichte namens Toll Collect, eklatante Sicherheitslücken im Gesundheitswesen, Bluetooth-Risiken und und und. Für das Jahr 2005 prognostizierten die Datenreisenden eine zunehmende Bedrohung auf vielen Technikfeldern, die nach Ansicht der Vortragenden nicht abzuwenden sein wird.
Oben erwähnte Hackerkultur kam auf dem 21C3 keineswegs zu kurz. Es gab Workshops zu Themen wie VJing (Videokunst, in Anlehnung an DJ), und Mitglieder der C-Base aus Berlin funktionierten unter den neugierigen Blicken der zahlreichen Besucher einen ausrangierten Zahnarztstuhl in einen funktionstüchtigen Roboter um. Last, but not least waren die Blinkenlights-Tüftler (geschaltete Hochhausfensterbeleuchtung) sowie die Schlossknacker selbstverständlich wieder mit von der Partie.
Der Workshop „First Aid for Nerds - HowTo: Survive the Congress" legte allen Teilnehmern nahe, viel Wasser zu trinken, um schädlichen Einflüssen wie akutem Schlafmangel, Koffeinschocks und dem realen Leben gewachsen zu sein ;-). Solchen therapeutischen Aspekten standen Aktionen gegenüber, die etwa auf den Websites des Entkalkers Calgon oder des Enthaarers Veet Hinweise auf den Kongress platzierten.
Laut Tim Pritlove, einem der Organisatoren der Veranstaltung, gruppierte sich der überwiegende Teil der Workshops um folgende Themenkreise: Hacking, die Auswirkungen moderner Kommunikationstechnik auf die Gesellschaft, Community-Projekte wie Wikipedia und Hackerkultur. In diesem Zusammenhang fiel auf, dass fast zwei Drittel der Redner anglo-amerikanischer Herkunft waren, die ihre Vorträge demzufolge auf Englisch hielten. Das sollte die internationale Ausrichtung des CCC unter Beweis stellen.
Am letzten Tag des Kongresses tauchten Mitarbeiter des Landeskriminalamts auf, nachdem bekannt geworden war, dass wahrscheinlich Hacker aus dem 21C3-Umfeld circa 18 000 Websites „verändert" hatten. Es handelte sich größtenteils um Defacements, die mehr oder weniger kosmetische Veränderung vorhandener Webseiten. Ob deren Urheber allerdings die Aufrufe der Organisatoren (Andy Müller-Maguhn bat, nichts Illegales vom Veranstaltungsort aus zu unternehmen), solches Vorgehen zu unterlassen, in Zukunft beachten, dürfte mehr als fraglich sein.
Auf den drei Etagen des Berliner Congress Centers konnte der aufmerksame Besucher viel Interessantes und Wissenswertes in Erfahrung bringen. Offensichtlich verfolgt der CCC eine neue Strategie. Unter der Ägide der Kabelsalat-Fans soll in Zukunft mehr Raum für Communities und Gleichgesinnte sein. Es war außerdem nicht zu übersehen, dass ein Generationswechsel im Gange ist. Die Organisation kann insgesamt als gelungen bezeichnet werden - man hat sich im Vorfeld des Kongresses Gedanken gemacht, dass war zu merken. Allerdings kamen die WLANer nicht auf ihre Kosten, da sich die Technik bis zum letzten Tag nicht in den Griff bekommen ließ, was nicht für die Organisation im Allgemeinen gilt. (hb)
Thomas Kaufmann
iX, Hannover, 01. Februar 2005
Original: Nicht bekannt