Von Christiane Schulzki-Haddouti
Wer sich Hacker als pickelige, von Verfolgungsängsten geplagte junge Männer vorstellt, die nächtelang an Linux-Rechnern schrauben und im Usenet erbarmungslose Hass-Tiraden gegen Microsoft abfeuern, die von den mythenreichen 80er Jahren schwärmen, in denen man noch per Pfiff kostenlos telefonieren konnte und KGB und NASA vor ihresgleichen zitterten, wird von Christine Baders Film "Hacks" enttäuscht sein. Bader zeigt nicht, wie Hacks funktionieren. Sie erzählt auch keine Anekdoten.
"Hacks" wirft einen Blick hinter jene Kulissen, die TV-Dokumentaristen gerne aufstellen: Flimmernde Bildschirme, klappernde Tastaturen, rauschende Modems im Zwielicht abgedunkelter Räume. Dagegen präsentiert die Filmautorin Menschen, die über das Hacken an sich sprechen oder über Sinn und Potential des weltweiten Datennetzes philosophieren. Beim Chaos Computer Club stehen vor der Kamera nicht die bekannten Gallionsfiguren wie Andy Müller-Maguhn, Frank Rieger oder Wau Holland, die der Öffentlichkeit üblicherweise das Clubimage verkaufen, sondern Mitglieder ohne PR-Lizenz, die etwas über das Selbstverständnis und das Innenleben des Vereins erzählen. Allein die Pressearbeit des Clubs wird so als eigener Hack entlarvt, der der Öffentlichkeit eine "eher subversive" Betätigung als Verbraucherschutz verkauft. Und das ist dann auch schon wieder ein kleiner Hack.
Christine Bader interessierte sich weniger für das Spektakuläre und Heroische. Interviews, in denen sich Hacker-Egos selbstverherrlichend zu präsentieren versuchen, schnitt sie heraus. "Bescheidene Leute" vor der Kamera seien ihr lieber. Damit meint sie beispielsweise die Bielefelder Medienkünstler Rena Tangens und padeluun, die "immer dran, immer da sind und einfach ihre Arbeit machen". Dabei läßt sie die beiden nicht nur einfach erzählen, sondern zeigt sie auf dem eigenen Cebit-Stand samt Mediencafe - beim Messe-Hack. Bader lenkt den Blick aufs Kreative, manchmal Chaotische, aufs Spielerische. Damit die Statements nicht allzu staatstragend wirken, hüpfen kleine animierte Tricktierchen als augenzwinkerndes Smiley-Äquivalent über das Bild.
Der Film emanzipiert sich schnell vom herkömmlichen "Hack"-Verständnis. Fast programmatisch heißt es zu Beginn des Films, ein Hack sei die "elegante Lösung eines kniffligen Problems" und Hacking sei nicht "ein technisches Ding, sondern ein Way of life." Dem klassischen Eindringen in gesperrte Datenbereiche mit Hilfe technischer Tricks wird zunächst die Methode des "Social engineering" entgegengestellt: Für manche Hacker ist es inzwischen interessanter, Informationen direkt aus Menschen hervorzulocken, als auf dem Umweg über den Computer. Sozialen Hackern genügt in der Regel ein Münzfernsprecher, um als vorgebliche Wartungstechniker oder Mitarbeiter einer Personalabteilung ahnungslosen Opfern Paßwörter oder ähnliche Daten zu entlocken.
Die Art und Weise, wie Menschen individuell und kreativ mit Technik umgehen, steht im Mittelpunkt des Films. So erzählt ein kurzes Stück von behinderten Computernutzern, die ihre PCs nutzen, um ihr Leben selbstbewußter und selbstbestimmter führen zu können. Für Bader ist selbst das Treiben des radikalen Umweltschützers und Greenpeace-Mitgründers Paul Watson ein gigantischer Hack. Watson rammt mit seiner "Sea Shepherd" systematisch Walfischfänger auf allen Ozeanen der Welt. Die Umwelthacks von Watson stießen beim Publikum diverser Film- und Hackerfestivals auf die widersprüchlichsten Reaktionen: Während die einen diese Episode schlicht für eine Themaverfehlung halten, erzeugt die Radikalität von Watsons Vorgehen und die ideelle Verbindung zum Hacker-Gemeinwesen bei anderen wiederum heiße Ohren und hitzige Debatten um das eigene Selbstverständnis.
In Baders Film über die europäische Hackerszene gibt es eine Menge kleiner kritischer Anspielungen, die nur Szenekenner entdecken werden. Für Insider ist der Film eine Art Familienalbum - jeder kennt jeden, und alle sind irgendwie miteinander verbunden. Baders Blick kommt immer von innen, nie von außen. Für Außenstehende öffnet er dennoch einen kurzen Blick auf die Denkwelten und Träume, das Lebensgefühl einer alternativen Medienszene. Dabei bleibt es auch -einen intellektuellen Diskurs will und kann dieser Film nicht leisten. Einige der Filmszenen erscheinen heute, fünf Jahre nach Drehbeginn, bereits in nostalgischem Glanz: so die euphorische Aufbruchsstimmung der Amsterdamer Netzwerker von xs4all und der Digitalen Stadt, die in ihrem basisdemokratischen Gesellschaftsverständnis nicht nur den Netzzugang für alle, sondern auch freie Information für alle Bürger organisieren wollten. Inzwischen sind sie längst Bestandteil des alternativen Internet-Establishments.Bereits von historischem Wert sind auch die Szenen vom Künstlerschiff "MS Stubnitz". Den ehemaligen DDR-Fischfänger hatten sechs Künstler gekauft, um auf der Route Rostock-St. Petersburg-Malmö-Hamburg Kunstevents und Medienkultur mit der lokalen Bevölkerung vor Ort zu "vernetzen". Der "etwas größenwahnsinnige" Kulturhack stellte sich jedoch leider am Ende nicht nur als Beziehungskiller heraus, sondern endete für die Organisatoren auch im finanziellen Fiasko.
In der Stubnitz-Episode offenbart sich ein Manko des Filmkonzepts: Da Bader weitgehend darauf verzichtet, aus dem Off zu kommentieren und auf die Kompilation eines selbsterklärenden Statementgefüges setzt, hängt die Aussage des Films völlig vom vorhandenen Bild- und Tonmaterial ab. Der netzspezifische Aspekt des Schiffsabenteuers bleibt so verborgen: Die "Stubnitz" präsentierte sich nämlich nicht nur als Kulturspektakel, sondern bot auch mit Hilfe eines internen Computernetzes sowie einer Internetanbindung per Satellit Medien-Workshops für die jeweilige Bevölkerung an.
Aus den 80 Stunden Rohmaterial entschied sich die Dokumentarfilmerin dafür, einen "fast euphorischen" Film zu machen, "immer nur das Positive" zu zeigen. Ihr Ziel: den Zuschauern Lust zur Aktion zu machen. "Angesichts übermächtiger Konzerne, der fortschreitenden Zerstörung von Umwelt und Gesundheit fühlen sich viele aus der jungen Generation ohnmächtig", meint Bader. Sie wollte daher in ihrem Film zeigen, daß man sich mit Witz und Intelligenz durchaus widersetzen kann.
Mit demselben Material hätte sie jedoch auch einen völlig anderen Film schneiden können, der sich mit der dunklen Seite der Hackerseele auseinandersetzt: Größenwahn und Paranoia. Doch das, so ist sie sich sicher, würde sie dann in einem nächsten, "sehr kritischen" Szenefilm zeigen. In Deutschland läuft "Hacks" im Oktober in einigen ausgesuchten Kinos an. Zuvor hat Bader ihren Film mit Erfolg auf mehreren nationalen und internationalen Filmfestivals gezeigt. Selbst das Publikum des Frauen-Filmfests "Feminale" konnte sich mit dem Film anfreunden.
SPIEGEL ONLINE 42/1998 17.10.1998