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Schier unermesslich groß

Glasers Netzkolumne - aus der STZ vom 05.07.2006

Wenn sich im Zusammenhang mit dem Internet Fragen der Dimension stellen, wird es meistens interessant - und immer ziemlich kompliziert.

Die Frage kam an einem sommerheißen Nachmittag. "Wie groß ist das Internet?" wollte mein Freund p. (mit kleinem p) wissen. Da stand ich, wie Atlas, mit dieser virtuellen Erdkugel auf der Schulter. Gute Frage. Ich dachte, ich hätte sie ihm schon beantwortet. Wir hatten uns über die Firma Wal-Mart unterhalten, die nach eigenen Angaben über 460 Terabyte an Kundendaten verfügt. Ich hatte ihn auf einen Bericht der "New York Times" hingewiesen, der - ungenannte - Experten anführt, denen zufolge es sich dabei um mehr als das Doppelte der Datenmenge des gesamten Internets handle. Das Internet sollte demzufolge also etwa 230 Terabyte an Daten umfassen.

Zur Veranschaulichung dient eine beschriebene DIN-A4-Schreibmaschinenseite, sie fasst 4 Kilobyte. Ein Terabyte entspricht 250 Millionen solcher Seiten - einem Papierstapel von 25 Kilometern Höhe. 230 Terabyte ergeben einen Stapel von 5750 Kilometern, die in der Horizontalen exakt der Entfernung zwischen New York und Paris entsprechen. Charles Lindbergh hat 1927 im Alleinflug 33 Stunden dafür gebraucht.

Der Freund p., der einen Server mit dem schönen Namen "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.", kurz FoeBuD, mitbetreibt, wies mich darauf hin, dass schon der FoeBuD ein Terabyte an Kapazität im Keller stehen habe. Vier 250-Gigabyte-Festplatten nämlich, die heute nicht viel mehr als 500 Euro kosten. Da man davon ausgehen muss, dass das Internet aus mehr als 230 größeren Servern besteht, stand die Frage erneut im Raum: Wie groß also ist das Internet? Der Suchmaschinenspezialist John Batelle schätzt zurückhaltend, dass eine durchschnittliche Webseite 100 Kilobyte groß ist, und dass jede Website, also jede Adresse im Internet, durchschnittlich 1000 Webseiten enthält, was 100 Megabyte für eine Website als Richtmaß ergäbe. Dem britischen Internet-Dienstleister Netcraft zufolge sind derzeit weltweit 82 Millionen Websites am Netz, macht insgesamt 8.200.000.000 Megabyte oder 7820 Terabyte.

Andere Rechnungen kommen zu noch anderen Ergebnissen. Googles Suchroboter durchforsten das Netz ständig auf der Suche nach Webseiten, im Juni 2005 waren es 8.058.044.651 Seiten. Geht man auch hier von 100 Kilobyte pro Seite aus, ergibt das zusammen ungefähr 750 Terabyte - nicht einmal ein Zehntel der Schätzung Batelles.

Manche erinnert der Versuch, die Größe des Internets zu ermitteln, an die mittelalterlichen Scholastiker, die sich jahrelang darum stritten, wie viele Engel wohl auf einer Nadelspitze tanzen können.

Letztes Jahr im August wurde die eher akademische Frage nach der Größe des Webs unversehens zu einer Waffe im Konkurrenzkampf der Suchmaschinen. Yahoo meldete, dass der Index seiner Suchmaschine nunmehr 19,2 Milliarden Webseiten umfasse - mehr als doppelt so viele wie der Konkurrenz-Index von Google mit 8,1 Milliarden Seiten. Das scheinbare Auftrumpfen machte vor allem den Unterschied zwischen Daten und Informationen deutlich. Bloße Daten nützen niemandem etwas. Erst wenn Daten sich zu einer Information formieren, sind sie für Menschen interessant. Ich fragte p., ob er schätzen wolle, wie schwer eine Kugel Eis ist. Er winkte ab. Wir bestellten zwei unhinterfragte Tüten Eis.

Peter Glaser

Stuttgarter Zeitung, 05. Juli 2006
Original: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1195606

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