Studenten in Münster kämpfen gegen neue Überwachungskameras. Dabei filmt nahezu jede Hochschule in NRW den Campus-Alltag. „Das verhindert eine freie Entfaltung", sagen Juristen. Die Datenschutzbeauftragte sieht sich machtlos
MÜNSTER taz. Studierende in Münster wollen nicht gefilmt werden: Sie wehren sich gegen Videokameras auf dem Hochschulgelände. Ende vergangener Woche überreichten die Studentenvertreter vom AStA eine Unterschriftenliste an die UniKanzlerin Bettina Böhm, in der sie sich gegen eine Ausweitung der Überwachung aussprechen. Auch die bereits existierenden 2o Kameras stehen zur Disposition. „Ohne eine triftige Begründung sind sie laut Datenschutzgesetz unzulässig'; sagt die AStA-Referentin Nina Füller. Tatsächlich sei ihr ein Verfahrensfehler unterlaufen, sagte Böhm zur taz. „Wir werden diesen Fehler wieder ausbügeln'; sagte sie. Außerdem würden lediglich Computerräume wegen Diebstahlgefahr und schlecht einsehbare Eingangsbereiche überwacht.
Dem widerspricht Nina Füller: Beispielsweise ständen die Kameras in der Kriminologie-Bibliothek, wo dann ein Mitlesen der Bücher möglich sei, und in Computerräumen, wo der Bildschirminhalt gefilmt würde. Die NRW-Datenschutzbeauftragte Bettina Sokol sieht sich machtlos. „Wir können erst aktiv werden, wenn es konkrete Beanstandungen gibt“, sagt Sokol. Jede Entscheidung sei eine Güterabwägung zwischen dem Hausrecht, das Videoüberwachung bei Diebstahl- und Gewaltgefahr zulässt, und dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Bei Hochschulen würden wegen der Freiheit von Forschung und Lehre noch strengere Kriterien angewandt.
Matthias Lehnert von den kritischen Juristen Münster sieht in solchen Maßnahmen erste Schritte zu einer „Kultur der Kontrolle" und beruft sich auf das so genannte Volkszählurteil des Bundesverfassungsgericht von 1983. Demnach erhöhe das Registrieren und Speichern von Bürgerdaten den Konformitätsdruck. „Das verhindert eine freie Entfaltung“, sagt Lehnert. Diese Konsequenz sähe man zwar noch nicht bei bisher insgesamt 20 Kameras in nahezu 250 Uni-Gebäuden, sagt der AStA-Vorsitzende Jochen Hesping. „Aber wir wollen mit unserer Beschwerde ein Zeichen gegen den schleichenden Trend zur unbegründeten Überwachung setzen." Tatsächlich sind die Münsteraner Kameras kein Einzelfall. Bei Bettina Sokol stapeln sich zur Zeit Akten, die sich mit Videoüberwachung an Universitäten beschäftigen. Zwei Unis haben von Sokol aber schon ihr Okay für die Überwachung erhalten: An den Hochschulen Köln und Paderborn hat die Datenschutzbehörde die installierten Videokameras ohne Beanstandung abgesegnet. Andere Datenschützer sehen das kritischer: Der Paderborner Rektor Nikolaus Risch erhielt im letzten Jahr den ungeliebten Big-Brother-Award für Hörsaalspionage. Verliehen wurde er von der Datenschutzinitiative FoeBuD aus Bielefeld. Ihre Begründung: Der Fall sei besonders brisant gewesen, weil es einigen Hackern sogar gelang, sich die Live-Bilder der Kameras auf ihrem Computer anzuschauen. Vorbildlich sei dagegen das Verhalten der Universität Bielefeld, die zur Diebstahlvermeidung lieber auf solide Schrauben und Schlösser statt auf passive Videoüberwachung setze.
Ralf Goetze
taz NRW, 01. August 2005
Original: Nicht bekannt