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Netzkunst à la Clubmed

Karla Krause

Tilman Baumgärtels in Buchform veröffentlichte Interview-Sammlung mit Netzkünstlern.

Nun liegen sie also auch auf 150 Gramm pro Quadratmeter Papier vor: Tilman Baumgärtels Interviews mit 21 Netzkünstlern aus aller Weit. Erschienen sind sie im Verlag für Moderne Kunst Nürnberg - mit freundlicher Unterstützung von Consors - Die Discount-Broker. 180 Seiten mit 91 Abbildungen, davon 63 in Farbe. Einige davon in miserabeler JPG-Qualität. 58 Mark der Preis.

Zu lesen gab es die meisten Interviews bereits in Telepolis, nun haben sie also auch die Weihen des Print erfahren. Im Feuilleton-kompatibel formulierten Vorwort und eigentlichem Mehrwert des Buches - sinnig "Sourcecode" betitelt - das Programm und Bekenntnis vom Baumgärtel: Das Buch enthalte eine Art Quellcode und solle zeigen, welche Programme die Kunst, die seit einigen Jahren im Internet entsteht, bestimmen, was das jungen Genre der Netzkunst definiert und geprägt hat. Das Buch will erstmals die künstlerischen Entwicklungen dokumentieren, die in den letzten Jahren durch das Netz ausgelöst wurden. Baumgärtel will Besonderes präsentieren: Keine utopische Rede, keine Netzvisionäre, keine Cyberapostel. Das Buch komme, so Baumgärtel stolz, auch ohne das Präfix "Cyber" aus. Der Autor will hingegen von "praktischen Erfahrungen" berichten, die er bei seinen "Field-Studies" in der Netzwerkkunstszene gemacht habe.

Interessant, dass der Umschlag des Buches in Blau gehalten ist. Nein, nicht in einem betörend-leuchtenden Yves-Klein-Blau, auch nicht in einem transparent-transzendenten Himmelblau - eher in einem Clubmed-alles-ist-schön-Blau. Anstatt einer harten Feldstudie gibt es lockere Pausengespräche. Ein Foto in der Umschlaginnenseite dokumentiert Autor Baumgärtel mit Sonnenbrille und leicht entrücktem Lächeln während eines kurzen Reisestopps bei Matthew Füller. Ganz locker unbeschwert auch das Intro von Baumgärtel: Frei sei er vom "futuristischen Cybergeseiber", das in den letzten Jahren das Reden und Nachdenken über das Internet zu einer "recht anstrengenden" Sache gemacht habe. Wie wahr! Er will die Künstler "selbst zu Wort kommen" zu lassen, anstatt "sie und ihre Arbeiten vorschnellen Analysen zu unterziehen". Denkfaulheit des Feldforschers? Von wegen: Eine frühe Kanonisierung könne das Ende einer jungen Kunstrichtung sein, prophezeit der Forscher. Das ist kein leeres Gerede: Baumgärtel ist tatsächlich zu seiner und unser aller Beruhigung vom kunsttheoretischem Totengräber weit entfernt:

In einem einfuhrenden Aufsatz fuhrt Baumgärtel quer durch die Netzkunstgeschichte. Es ist ein Nebeneinander, ein oft unreflektiertes Aufzählen verschiedener Arbeiten unter sechs verschiedenen Charakteristika von Netzkunst: Konnektivität, Globalität, Multimedialität, Immaterialität, Interaktivität und Egalität. Analyse findet nicht statt, Urteile bleiben nicht nachvollziehbar. Er beschreibt Aktivitäten verschiedener Mailinglisten, Gemeinschaftsprojekte und Künstlergruppen. So erwähnt er Joseph Beuys' Konzept der "sozialen Plastik", fragt auch Künstler wie Rena Tangens und padeluun nach ihrer Beziehung zu Beuys - mehr als Namedropping findet aber nicht statt. Teilweise sind seine Urteile auch nicht zutreffend: Mailart sei "bis heute ein weitgehend übersehenes Genre" geblieben. Sogar das Berner Post- und Telekommunikationsmuseum hat der Mailart jedoch einen kleinen Ausstellungsteil gewidmet - und in keinem Fluxus-Katalog fehlen die bunten Postkarten.

Netzkunst, so Baumgärtel resümierend, sei letztlich durch ihre vollkommene Immaterialiät charakterisiert sowie durch ihre Absage an ein produktorientiertes Kunstverständnis. Und dennoch ordnet sich Baumgärtel mit einem Urteil über Websites wie "Jennicam" den Auffassungen des traditionellen Kunstbetriebs unter, anstatt die hier stattfindenden Reibungen zwischen materieller und immaterieller Werkform genau zu analysieren. Diese Websites "könnten" durchaus als Kunstprojekt betrachtet werden, schreibt Baumgärtel, wenn sie denn in einem entsprechenden Kontext stattfinden "würden". Apodiktisch das Urteil: Das Projekt muss "aus einem Künstleratelier und nicht aus einem Raum in einem amerikanischen Studentenwohnheim" kommen - dann wäre es ein Kunstprojekt. Standortbestimmung als Ästhetikkriterium? Die Frage wird etwas ausweichend damit beantwortet, dass die "Egalität" ein Charakteristikum des Internet sei.

Erwartet ein Leser eine Tour-de-force durch die Netzkunstszene, die durch scharfsinnige Beobachtungen und Analysen glänzt, wird er sicherlich enttäuscht. Nimmt er das Bändchen jedoch mit zum Badestrand, kann er mit einer kurzweiligen Lektüre rechnen. Clubmed eben.


Telepolis, 24. November 1999


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